Bernd Cailloux: „Auf Abruf“

Slapstick und existenzielle Sorgen

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Das Buchvover zeigt eine Illustration eines Mannes, der einen Fußball kickt.
© Suhrkamp Verlag

Bernd Cailloux

Auf AbrufSuhrkamp Verlag, Berlin 2025

120 Seiten

18,00 Euro

Von Meike Feßmann |
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Ein gealterter Schriftsteller kommt nicht mehr aus seiner Badewanne und beginnt zu halluzinieren. „Auf Abruf“ von Bernd Cailloux ist eine lässige Novelle über das Altern – fein austariert zwischen existenzieller Sorge und Selbstironie.
Zum Kicken geht’s in den Tiergarten, zum Feierabendbier ins Schöneberger Stammcafé und hin und wieder mit dem Rad hinaus aufs Land. Die Einladungen zu Lesungen sind seltener geworden. So nimmt der Erzähler, wie immer relativ nah am Autor-Ich, die Einladung zu einem Bücherbasar in Brandenburg an.
Dass er sich die ein bisschen schönreden muss, gehört dazu. Verlockungen der Prignitzer Seenlandschaft werden eingepreist, aber natürlich arbeitet das alles weiter in einem Kopf, der aufs Nachdenken geeicht ist und aufs Ausbalancieren von Selbstzweifeln.
Wo soll das alles hinführen? Lohnt sich der Aufwand? Was sehen die anderen? Einen alten Zausel? Irgendwie schwingt er sich dann doch immer auf – und registriert haarklein, wie die körperliche Konstitution zerbröselt, die den Auftritt in der Außenwelt bedauerlicherweise konturieren müsste.

Ethnograf der inneren Widersprüche

Bernd Cailloux, selbstironischer Ethnograf der inneren Widersprüche von 1968, wird am 9. Juli 80 Jahre alt. Sein Held ist 73, als ihm das unerhörte Ereignis zustößt, von dem diese Novelle erzählt. Gerade hat er ein tolles Tor beim Freizeitkicken geschossen, beeindruckte danach die neuen, deutlich jüngeren Freunde im Stammcafé mit einer pantomimischen Nacherzählung, da wird ihm im Supermarkt schwindlig.
Nicht so schlimm, nur die Bandscheiben, sagt er zu einem hilfreichen Paar, das ihn freundlicherweise zu seiner Stamm-Apotheke begleitet. Dort findet er Hilfe und schafft es auf eigenen Beinen nach Hause in die Badewanne.
Der Ich-Erzähler hat ein tragfähiges Netz aus Bezügen. Doch er lebt allein. Gute Freunde sind längst gestorben, eine Familie hat er nie gegründet. Die „Martyrien des Schreibens“ quälen ihn, jedes Buchvorhaben bedeutet ungesunde Gewohnheiten und Verzicht auf Außenkontakt. Seine Zellen erinnern sich an eine Hepatitis-C-Infektion in jungen Jahren, die „Krankheit mit den fünf Buchstaben“ ist auch im Spiel.
Und nun liegt er in der Badewanne und kommt nicht mehr heraus. Er meint, in der Prignitz zu sein. Erinnerungen – die Cailloux-Leser aus anderen Büchern kennen – tauchen auf. Das Wasser ist längst kalt, aber er kann weder die Beine richtig bewegen noch den Oberkörper. Ein Slapstick aus Physik und Physiologie, so will es scheinen.
Schließlich wacht er in einem Neuköllner Krankenhaus auf, wo ihm ein spanischer Neurochirurg die Lage erklärt. Ein subdurales Hämatom sei für Neurochirurgen so etwas wie der Blinddarm. Sein Gehirn habe die Abwesenheit von äußeren Eindrücken mit „altem Material aus dem Speicher“ überbrückt.

Eine Novelle von anrührender Lakonie

Die Badewanne als Purgatorium, das muss Bernd Cailloux erst einmal jemand nachmachen. „Auf Abruf“ ist eine lässige Novelle über das Altern, bis auf kleine Holprigkeiten fein austariert zwischen existenzieller Sorge und selbstironischer Nonchalance.
Anna, eine der Geliebten, die ihm während seiner Halluzinationen erscheinen, bringt es auf den Punkt. Er solle sich nicht so anstellen mit seiner Todesangst, schließlich lebe jeder „auf Abruf“.
Manchmal erinnert die Novelle an Sibylle Lewitscharoffs Roman „Von oben“, obwohl die Autoren stilistisch Antipoden sind. Auch an Jonas Lüschers Corona-Phantasmagorie „Verzauberte Vorbestimmung“ denkt man zuweilen. Der Erzähler ist nach seiner „Generalprobe“ seltsam getröstet. Eine Novelle von anrührender Lakonie.
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