Stadien als Stätten der Erinnerungskultur

Zeugnisse der Geschichte

06:16 Minuten
Das Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion in Berlin.
Die Zukunft des Stadions im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin ist ungewiss. © Imago / Schöning
Von Jörg Degenhardt · 06.11.2022
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Olympiastadion, Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, Stadion der Weltjugend: In Berlin gab und gibt es Stadien, die für (Sport-)Geschichte stehen. Wie soll zum Beispiel mit dem Stadion im Jahn-Sportpark umgegangen werden – Abriss und Neubau oder Erhalt?
Der geschichtsträchtige Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin soll als "Sportpark für alle" zum barrierefreien Inklusionssportpark umgestaltet werden. Das hat die Senatsverwaltung beschlossen. Noch ist nicht klar, was das für das Fußball- und Leichtathletikstadion auf dem Gelände bedeutet – Abriss und Neubau oder Erhalt durch Umbau?
Für Professor Volkwin Marg ist Abreißen grundsätzlich kein Thema. Marg gilt als einer der bedeutendsten Architekten der Gegenwart. Er hat Stadien rund um den Erdball gebaut – aber auch den Flughafen Tegel und die neue Messe in Leipzig.
Margs Ansatz ist klar: "Man kann Geschichte nicht liquidieren, man kann sie nur bewältigen. Wenn Bauten eine Bedeutung haben für die Geschichte als Zeichen oder als Erinnerungsmerkmal - dann muss man diese Zeugnisse bewahren."

Stadionerhalt als Herzensangelegenheit

Das Stadion der Weltjugend, das ehemalige Walter-Ulbricht-Stadion, im Ostteil der Stadt existiert schon lange nicht mehr. Im Juni 1992 begann der Abbruch. Heute residiert dort die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes.
Streit gibt es zurzeit um den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark: Für den Architekten Philipp Dittrich ist der Erhalt des nach Turnvater Jahn benannten Stadions, noch zu DDR-Zeiten als Staatsbau komplett saniert, eine Herzensangelegenheit.
Dittrich hat eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen, um die Zukunft der Anlage, auf der jetzt der FC Viktoria 1889 spielt, zu sichern. Auch er findet klare Worte: "Es ist ein Fußball- und Leichtathletikstadion mit 20.000 Sitzplätzen und es soll ersetzt werden durch ein Fußball- und Leichtathletikstadion mit 20.000 Sitzplätzen, an exakt derselben Stelle. Was ist jetzt der große Gewinn? Es sieht jetzt so aus wie nach der Komplettsanierung 1987. Das heißt es ist jetzt genauso alt wie Lionel Messi – und der spielt jede Woche noch auf Topniveau Fußball. Es kann doch nicht sein, dass wir Gebäude abreißen, die genauso alt sind wie Leute, die noch aktiv Profifußball spielen.

Einst spielte hier der BFC Dynamo

Dittrich beklagt das Fehlen von Informationen, die dem prägnanten Bau ein Alleinstellungsmerkmal geben. Warum zum Beispiel ist die Haupttribüne hier auf der falschen Seite, auf der Ostseite, sodass die Nachmittagssonne zur besten Anstoßzeit den Besuchern mit den teuersten Tickets direkt ins Gesicht knallt?
Schuld war die Mauer. Die stand gleich 14 Meter hinter der Gegentribüne. Da wäre kein Platz mehr gewesen für die ausladende Vorfahrtsrampe für Stasi-Chef Mielke, der im Stadion dereinst seinem Lieblingsverein, dem BFC Dynamo, zujubelte.
Der 10-fache DDR-Meister hat sich der Initiative zum Erhalt des Stadions übrigens nicht angeschlossen. Sie seien in Hohenschönhausen zu Hause, hätten sie ihm gesagt, so Dittrich, und dass sie eher ungern im Jahnsportpark gespielt hätten.
Architekt Volkwin Marg
Der Architekt Volkwin Marg hat zahlreiche Stadien in der ganzen Welt gebaut.© dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt
Das Olympiastadion im Westteil der Stadt muss keinen Abriss fürchten. Trotz seiner Geschichte. Für die WM 2006 wurde es umgebaut. Nach Entwürfen des Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner.
"Da wurde ein Wettbewerb gemacht, ohne auf den historischen Kontext einzugehen, nicht mit einer Silbe, sondern es hieß: macht das Ding FIFA-gerecht – und da sagt natürlich jeder anständige Fußballlehrer: Ihr Vollidioten, ihr müsst erstmal diese Lücke vollbauen, das Stadion hat doch eine Lücke! Und wir waren die einzigen, die gesagt haben, nein, die Lücke bleibt offen, damit der Kontext des Ganzen übrig bleibt", sagt Volkwin Marg.
Die Lücke im Oberrang soll an die Nazi-Spiele von 1936 erinnern. Sichtbare Spuren der Vergangenheit lassen sich an dieser Stelle reichlich finden. 

Rolle der Stadien in Demokratie und Diktatur

Welche Rolle haben die Berliner Stadien in Demokratie und Diktatur gespielt? Gerald Karpa, der Klubchronist des 1. FC Union Berlin, sagt:

Im Jahn-Sportpark, im Olympiastadion, im Sportforum in Hohenschönhausen und auch im Stadion an der Alten Försterei haben vor allem Sportler etwas geleistet. Alle möglichen Sportarten sind dort betrieben worden: in den Leichtathletikstadien alle möglichen Meisterschaften und im Olympiastadion zum Beispiel Polizeisportfeste und Jugendwettkämpfe, Das Olympiastadion ist also nicht nur der Ort der 36er-Nazi-Olympiaspiele, sondern vor allem erst mal eine Sportstätte.

Gerald Karpa, 1. FC-Union-Chronist

Und auch das Stadion An der Alten Försterei sei schließlich bis zum Ende der DDR immer die Sportstätte eines sozialistischen Klubs gewesen, gegründet 1966 von der SED. 

Stadien als politische Schauplätze

"Gegründet haben den 1.FC Union Berlin nicht etwa Schauspieler, Kirchenleute oder Musiker mit Berufsverbot. Insofern war das hier nicht Hort des Widerstandes, sondern das Stadion war das Stadion eines Elementes des sozialistischen Sportbetriebes", sagt Chronist Karpa. "Auch wenn die Zuschauer dann irgendwie, aus ganz verschiedenen Gründen, ein kleines Gegenbekenntnis zum Arbeiter- und Bauernstaat bzw. zur ständigen Gängelei geleistet haben."
Stadien, so zeigt sich, waren nicht nur Orte für sportlichen Wettstreit, sondern auch Schauplätze für politische Präsentation und für politischen Widerstand. Sie bleiben damit wichtige Bausteine der Erinnerungskultur.
Die Zukunft von Berlins Stadien als Teil der Sportgeschichte des 20. Jahrhunderts war unlängst Thema einer Podiumsdiskussion, organisiert von der Bundestiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

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