Berlinale-Ehrenbär

Willem Dafoe über die Schönheit des Bösen

Willem Dafoe in dem Film "Antichrist". Der Schauspieler wird auf der Berlinale für sein Lebenswerk geehrt.
Willem Dafoe in dem Film "Antichrist". Der Schauspieler wird auf der Berlinale für sein Lebenswerk geehrt. © Christian Geisnaes
Von Katja Nicodemus · 21.02.2018
Er fände es "humaner", Bösewichte zu spielen als tugendhafte Personen, sagt Schauspieler Willem Dafoe anlässlich der Verleihung des Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk. Schließlich leben wir mit Makeln.
Dieses zerklüftete Gesicht. Die scharf gezeichneten Züge, die tiefen Linien. Willem Dafoe sieht aus wie ein Bergsteiger, der sich nur für Achttausender interessiert.
Man muss sich nur den australischen Film "The Hunter" anschauen, den er sich für seine heutige Ehrung im Berlinale-Palast ausgesucht hat. Dafoe spielt einen Jäger, der für einen Konzern das letzte Exemplar einer ausgestorbenen Raubkatzenart töten soll. Er spricht kaum. Er liest Spuren, ist ständig in Bewegung, immer auf dem Sprung und scheint mit der Natur zu verschmelzen.

"Ich fühle mich eher wie ein Tänzer"

Die Körperlichkeit seines Spiels erklärt er selbst mit seiner Theaterarbeit. Mitte der 70er-Jahre wurde Dafoe Mitbegründer der Wooster Group, einer legendären experimentellen New Yorker Theatertruppe.
"Ich fühle mich manchmal eher wie ein Tänzer denn wie ein Schauspieler. Meine Idee der Performance, meine Entwicklung als Schauspieler wurde durch die Wooster Group sehr geprägt. Es ist ein in erster Linie physischer Ansatz. Es geht um die Körperspannung, um die Anmut und den Ausdruck der Bewegungen. Wenn man in der Bewegung und in der Aktion aufgeht, sich beidem hingibt, entsteht die Figur."
Bei seiner Rollenwahl liebt Dafoe das Komplexe und Extreme: Auf der Leinwand hat er eine besondere Leidensfähigkeit und ist spektakuläre Tode gestorben. Etwa in Martin Scorseses "Letzte Versuchung Christi", wo er nackt ans Kreuz geschlagen wird oder in Oliver Stones "Platoon", wo er erst von einem Kameraden angeschossen und dann auch noch von den Kugeln der Vietcong zerfetzt wird. Extrem, das heißt: Auf furchterregende Weise komplex sind auch seine Bösewichter. Etwa Bobby Peru mit dem braunen Gebiss in David Lynchs "Wild at Heart". Oder auch die Bad Guys in "Speed 2" und "Spiderman". Wenn Dafoe von ihnen spricht, dann wie von alten Freunden.
"Ich muss sie beschützen, als komplexe Persönlichkeiten zeigen und nicht einseitig. Ich gehe mit Vergnügen und Liebe an sie heran. Ich finde es viel humaner, diese Charaktere zu spielen als tugendhafte. Tugendhafte Figuren machen mich misstrauisch, denn sie liegen nicht in der Natur des Menschen. Wir leben mit dem Makel, und darin liegt eine gewisse Schönheit."

Ein Mann der Extreme

Immer wieder hat Dafoe in Hollywood gearbeitet. Doch an seiner feinnervigen Männlichkeit vermögen mainstreamige Werte und Rollenbilder nicht zu haften. Lieber lässt er sich von großen Autorenfilmern wie Paul Schrader, David Lynch, Martin Scorsese oder Lars von Trier deren Abgründe auf den hageren Leib schreiben. Oder er arbeitete ganz an der Peripherie der amerikanischen Filmindustrie. So wie in "Florida Project" von Sean Baker. Dafoe spielt Booby, den sanftmütigen Hausmeister eines heruntergekommen Motels, das von mittellosen Langzeitmietern bewohnt wird.
"Dieser Typ ist nicht besonders talentiert oder geschickt, aber er hat eine große Güte und ein Bewusstsein unserer gegenseitigen Abhängigkeit voneinander. Das ist ein ganz ursprünglicher menschlicher Impuls. Zu verstehen, dass dein Wohlbefinden von anderen abhängt und deren Wohlbefinden von dir."
Der Schauspieler und Preisträger des Goldenen Ehrenbärs, Willem Dafoe, auf der Berlinale 2018.
Schauspieler Willem Dafoe bekommt auf der diesjährigen Berlinale den Ehrenbär für sein Lebenswerk überreicht.© Ralf Hirschberger / dpa
Auch in "Florida-Project" ist Dafoe ständig in Bewegung. Hier verbindet sich seine Körperlichkeit mit der Arbeit für das Hotel. Er schraubt, hämmert, kraxelt auf Leitern, repariert die Klimaanlage. Wie ein Freund und Vater wacht Bobby über die Motel-Mieter und deren Kinder.
Vor allem über die sechsjährige Moonie und ihrer kleine Gang. Er versucht, deren Mutter vor dem Absturz und vor der Prostitution zu bewahren. Und er weist die kleinen Strolche in ihre Grenzen, wenn deren Streiche zu wild werden. Es liegt eine bittere Ironie in der Tatsache, dass das pinkfarbene Paradise Motel direkt neben Disneyworld liegt. Doch keines der Kinder, die dort wohnen, hat den Vergnügungspark je von innen gesehen.
"Als mein Sohn klein war, fuhr ich mit ihm nach Disneyworld. Damals hatte ich aber keine Ahnung von der Existenz dieser Langzeit-Motelgäste, die ja letztlich Obdachlose sind, die in Motels unterkommen. Die gibt es nicht nur in Florida, sondern überall in diesen urbanen Gebieten, wo die Banken- und Finanzkrise durchschlug und die Hauskredite platzten."
Mehr als 100 Filme hat Willem Dafoe in fast 40 Jahren gedreht. Kürzlich spielte er mit Marina Abramovic Theater, demnächst ist er in einem Science-Fiction-Film zu sehen. Man hat das beruhigende Gefühl, dass der Mann, der aussieht, als habe er Extremes hinter sich, noch allerlei Extremes vor sich hat.
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