Berlin

Biere für jeden Geschmack

Von Katja Bigalke · 19.03.2014
In Berlin geht biermäßig die Post ab. Das jedenfalls würden einige kleine Brauer sagen: Sie kreieren neue Sorten und begeistern damit ihre Gäste. Ein Rundgang.
Eine abseits gelegene Nebenstraße im nördlichen Wedding. Eine Wohngegend mit Spielplatz, Kirche und kleinen Fachgeschäften. Am Freitagabend ist hier nichts los. Außer in der Vagabund Bar.
Spätestens um 22 Uhr gibt es in dem gut 40 Quadratmeter großen Schankraum nur noch Stehplätze. Die Jungs hinter dem Tresen zapfen Bier im Akkord.
Kein Pils sondern: Pale Ale, India Pale Ale oder Imperial Stout. Biere für die Geschmackserweiterung, so die Macher:
"Pils ist 200 Jahre alt. Pale Ale ist älter, 'n bisschen mehr Hopfenaroma. Dann: Indian Pale Ale - das hat ein Aroma von Gewürz und Blumen und es riecht genau wie Maracuja. Es gibt auch viele gute säuerliche Biere wie Gose..."
In der Vagabund Bar gibt es ausschließlich Bier-Spezialitäten. Auch aus der hauseigenen Brauerei, die die drei amerikanischen Barbesitzer in einem Nebenraum betreiben. Seit Anfang 2013 werden hier unter dem Vagabund-Label etwa 200 Liter Bier pro Woche gebraut. Manchmal schaffen die drei das. Manchmal nicht. Dann gibt es vorübergehend auch mal nur Gast-Biere in der Bar. So wie an diesem Abend.
"Mindestens für die nächsten 3 Wochen haben wir kein Bier von uns. Das ist ein Problem - ein gutes Problem, aber ein Problem immer noch,"
sagt Matt Walthall, einer der drei Amerikaner, denen die Vagabund Bar gehört. Seit 2005 lebt der gelernte Historiker in Berlin. Kam als Urlauber, blieb wegen der Liebe und arbeitet mittlerweile hauptberuflich als Erzieher in einer Kita. Nebenbei braut er. Er fing damit an, weil es in Berlin keine obergärigen Biere wie helles Pale Ale oder dunkles Stout gab, die wie in Maryland schmeckten, wo er herkommt.
"Verschiedene Biersorten, das sind echt schwer hier zu finden und dann echt teuer und ich hab ein bisschen selbst gebraut, diese Biere die wir vermissen, weil wir hatten keine andere Wahl."
Erst renovieren, dann brauen
Zuerst wurde zuhause gebraut, im Kochtopf auf dem Herd - 25 Liter.
"Nach vier Jahren: Unsere Freunde kommen und sagen: 'Hey ich wollte das haben, kannst du das noch mal brauen?' Und es ist egal, wenn du ein Brausystem hast, das ist 25 Liter braut oder 2000. Es dauert immer so lange. Fast einen Tag und dann kommt die Idee vielleicht. Wir können eine kleine Nanobrauerei basteln. Das ist alles eine große Bastelaktivität hier für uns."
Matt und zwei seiner Freunde fanden ein etwas herunter gekommenes Ladenlokal im Wedding, renovierten und kachelten es und zogen ein. Nun mit drei etwas größeren Kochtöpfen, einem Gär- und mehreren Lagertanks. Doch auch diese Brauerei scheint mittlerweile an ihre Grenzen zu stoßen.
"Ich glaube wir sind die erste Craft Beer Bar hier in Berlin und wir sind total überrascht dass so viele Leute kommen, wir konnten nicht genug brauen."
Vier Abende die Woche ist die Vagabund Bar geöffnet, vier Abende die Woche ist sie voll. Es ist als habe Berlin nur darauf gewartet, dass in Sachen Bier endlich mal etwas Neues passiert. Amerika, erklärt Matt, sei vor gut 30 Jahren an einem ähnlichen Punkt gewesen. Der Biermarkt wurde von einigen wenigen Brauereien dominiert, die mehr oder weniger dasselbe helle Lager produzierten.
Dieser Mangel an Vielfalt habe letztendlich zur Gründung sogenannter Craft Beer Brauereien geführt: kleiner Braustätten, die vor allem für den lokalen Markt handwerklich gebraute Biere anboten. Heute ist es so, dass in den USA der Biermarkt zwar allgemein schrumpft, der Craft Beer-Markt jedoch wächst und mittlerweile sieben Prozent Marktanteil hat.
"Portland Oregon hat über 50 verschiedene Brauereien und ich glaube 700.000 Einwohner und, Berlin hat 3,5 Millionen Leute und wir haben unter 15 Brauereien. Deutschland ist jetzt, wo der Biermarkt war in den 70ern in den USA."
Und so scheint sich auch hierzulande langsam etwas zu ändern. In der Vagabund Bar jedenfalls gibt es nicht die üblichen, Lokal-Marken wie Berliner Kindl, Schultheiss oder Berliner Pilsner. Alles Biersorten, die sich, die zum Oetker Konzern gehörende Radeberger Gruppe einverleibt hat. Bei Vagabund werden heimische Biere aus Nano- und sogenannten Gaststättenbrauereien ausgeschenkt. Schoppebräu zum Beispiel.
Thorsten Schoppe hängt über einem übermannsgroßen kupferfarbenen Kessel in der Gaststätte Pfefferbräu in Prenzlauer Berg, kontrolliert den Fortschritt eines Reinigungsprogramms. Zweimal die Woche braut der 42-Jährige hier 1000 Liter Pfefferbräu. Mal hell, mal dunkel, mal ein Weizenbier oder etwas Saisonales wie ein Maibock. Das ist das Standardprogramm, sagt er. Freie Kapazitäten - sowohl hier als auch an seinem zweiten Standort in Berlin Kreuzberg - nutzt er gern für experimentellere Biere.
"Da füllen wir dann ein bisschen so die Biere ab die, die mir persönlich Spaß machen. Aber nicht immer so massenkompatibel sind. Die sind alle oberhalb von 7 Prozent Alkohol weil wir damit eine große Geschmackstiefe erreichen. Habe gerade ein Stout mit Lakritz-Geschmack hergestellt ohne dass das Lakritz drin wäre, oder hopfenaromatische Pale Ales die Geschmäcker von Pfirsich, Grapefruit oder Holunder drin haben."
Mit Kreationen wie dem XPA-X-Berg Pale Ale, dem Roggenbier Roggen Roll oder Woody Woodpecker, einem zehnprozentigen Pale Ale, das er in einem Whiskeyfass nachreifen lässt, hat sich Schoppe einen Namen als Pate der Berliner Craft-Brauer gemacht. Der muskulöse Mann mit dem dunklen, zu einem Pferdeschwanz zusammen gefassten Haar, ist einer der wenigen ausgebildeten Braumeister der Szene und so braut er auch mal für die Kollegen wenn deren Kapazitäten nicht reichen. Für die Vagabund Jungs zum Beispiel, aber auch für den Brewbaker aus Moabit oder für die Bier4Wedding-Crew. Da kommen einige Liter zusammen. Mit der Arbeit in einer Großbrauerei, wo Schoppe gelernt hat, hat das aber nix zu tun sagt er:
"Man sieht nix, schmeckt nix und man darf erst recht nichts selber machen. Da fehlte mir das Produktverbundene. Und da fehlten mir die Freiheiten die ich jetzt sehr schätze. Und in diesem Geist bin ich auch nach Berlin gekommen."
Eine Stadt, die eine etwas traurige Geschichte des Brauereiwesens hinter sich hat wie er findet.
"Es gab mal zwischenzeitlich mal irgendwas zwischen 200 / 300 Brauereien hier, und das hat sich letztendlich auf eine Brauerei konzentriert: Radeberger/Schultheiss/Kindl und zusätzliche 22 kleine Brauereien, die sich in und um Berlin angesiedelt haben."
Umso mehr freut Schoppe, dass er mit dem Pfefferbräu auf dem Gelände einer ehemaligen Großbrauerei wieder an die alte Tradition anknüpfen kann.
"Das war früher hier ne relativ anständige Brauerei. Das ganze Ding heißt Pfefferberg weil hier ein Herr Pfeffer auf diesem leichten Berg mal ne Brauerei gebaut hat. 1840-1920 und dann wurde die von Schultheiss aufgekauft und geschlossen. Wo wir uns jetzt hier befinden, das war mal die Schankhalle. E schön wenn man so einen Ort der die letzten Jahre als Schweinezucht oder Lagerhalle durchschlagen musste, wenn man hier wieder frisches Bier braut."
Neue Zutaten für neue Biere
Man könnte sagen, Schoppe arbeitet am Ruf des Berliner Biers. Dass der nicht besonders gut sei, liege ja nicht an der Spree, sagt er. Überall auf der Welt könne man heute gutes Bier brauen. Wasser ließe sich aufbereiten und dank Internet käme man auch an die guten Zutaten.
"Finde ich einen hübschen Ansatz das Regionale. Aber es ist leider größtenteils nicht möglich. In Berlin haben wir wenige Getreidefelder also können wir unser Malz nicht hier herholen. Die nächste Mälzerei ist 150 Kilometer von hier entfernt. Ich bekomme mein Malz aus Bamberg und mein Hopfen kommt aus der Hallertau bei München. Für manche Biere benutzen wir aber auch Hopfen, der aus den USA kommt."
Die Verwendung neuer, auch aus anderen Regionen importierter Zutaten macht den Berliner Biermarkt vielfältiger. Frank Jürgen Methner, Schoppes ehemaliger Professor am Fachbereich Brauwesen der Technischen Universität, begrüßt diese Entwicklung. Er meint: Die Eintönigkeit der deutschen Bierlandschaft kommt auch daher, dass zum Beispiel 60 Prozent der deutschen Brauereien dieselbe Hefe benutzen:
"Sie haben heute zum Teil Schwierigkeiten, die einzelnen Biertypen, wenn sie die nebeneinander haben, einzelner Brauereien zu unterscheiden, selbst die Fachleute tun sich da manchmal schwer, weil Rohstoffe oder Hefestämme häufig identisch sind und da bleibt es nicht aus, dass auch das Endprodukt sehr ähnlich ist."
Besonders traurig macht Methner, dass bei der schleichenden Anpassung und Homogenisierung der Geschmacksrichtungen eine seiner Lieblingsbiersorten auf der Strecke blieb: Die Berliner Weiße. Zwar gibt es die noch dem Namen nach, nicht aber in ihrer alten Form.
"Ja weil man heute ein anderes Verfahren durchführt und diesen einen speziellen Hefetyp der nennt sich Brettanomyces, dass man den für die Herstellung des Bieres nicht mehr einsetzt und dadurch geht ihm sehr viel Charakter verloren."
Dabei eigne sich gerade das Sauerbier mit der eingetragenen Berliner Herkunft wie kein anderes als Aushängeschild für die Hauptstadt.
Das dachte sich auch Andreas Bogk, als er beschloss in einem Kreuzberger Keller, ursprünglich ein Schonsteinfegerbüro, die Produktion der original Berliner Weiße wieder aufzunehmen. Die alte Hefekultur Brettanomyces fand der Hobbybrauer und IT Experte auf dem Grund einer verstaubten, über 20 Jahre alten Flasche Berliner Weiße:
"Die kommt aus einer alten Flasche Berliner Weißen, es stand noch VLB Getränke Kombinat drauf und da habe ich die noch lebende Hefekultur vom Boden gekratzt."
Mit Hilfe einer Biotechnologin isolierte er die Hefekultur und ließ sie wachsen. Bogk öffnet den Kühlschrank in seiner Brauküche, holt einen Träger mit einem guten Dutzend Plastikpipetten heraus
"Da sieht man was da gewachsen ist da unten in der Ecke, der weiße Rand."
An den Rest der Zutaten kam Andreas Bogk wesentlich unkomplizierter. Die für Sauerbier notwendigen Milchsäurebakterien stammen von der Sammelstelle für Mikroorganismen. Hopfen und Malz von Anbietern auf der ganzen Welt.
"Die Grundmalze die wir hier auch unten sehen sind Pilsner Malz, Münchener Malz, Wiener Malz ..."
Bogk sammelt sein Malz in Fässern. Mal ist das Korn hell, mal dunkel geröstet. Jede Biersorte braucht anderes Malz erklärt BogkMalz bilde geschmacklich den Körper des Bieres. Hopfen sei dann später für das feinere Aroma zuständig. Bogk wirft mit Hilfe eines Bohrers seine Schrotmaschine an.
Langsam verschwindet das Malz im Trichter, kommt unten geschrotet wieder heraus. Bogk zeigt auf das zerraspelte Korn.
"Wichtig ist dabei, dass die Spelzen erhalten bleiben, das sind die Hüllen, die ums Korn waren, die werden hinterher zum Läutern gebraucht um die festen von den flüssigen Bestandteilen zu trenne, weil Bier sollte ja flüssig sein und nicht Brei."
Das geschrotete Malz setzt Bogk mit Wasser an und erhitzt es. Vierzig Liter pro Sud - mehr Kapazitäten hat er nicht. Ein dickflüssiger Brei entsteht. So wird Zucker aus der Getreidestärke gewonnen, erklärt Bogk - "die Basis von Alkohol und Kohlensäure". Anschließend wird die Flüssigkeit durch das ausgekochte Korn gesiebt. Bei Bogk dauert das an diesem Tag noch ein paar Stunden - Johannes Heidenpeter - am anderen Ende Kreuzbergs ist hingegen schon ein paar Schritte weiter: 500 Liter Malzwasser - sogenannte Würze - blubbern schon in einem großen Kessel vor sich hin.
Riecht nach Blumen
Auch Johannes Heidenpeter, im bürgerlichen Leben Künstler, braut im Keller - direkt unter der Markthalle Neun. Seine Töpfe und Tanks sind ein buntes Sammelsurium, das er sich peu a peu gebraucht zusammengekauft hat. Überall hängen Schläuche, stehen Pumpen herum.
"Also im Moment sehe ich das absolut als Kunst. Der Aufbau der Brauerei ist meine größte Installation bis jetzt."
Eine Installation mit Output. Heute wird Thirsty Lady gebraut. Heidenpeters wohl bekanntestes Bier. Ein helles, obergäriges Pale Ale, das am Ende nach Holunder riecht und fruchtig schmeckt. Dank einer ganz besonderen Hopfensorte. Er öffnet ein Packet mit getrockneten Hopfendolden. Sehr fruchtig, sagt er
"Das ist frischer Hopfen, aus den USA. Das Problem mit den tolle Hopfensorten ist, dass viele von denen nicht in Deutschland angebaut werden. Die Deutschen haben das verpennt und fangen gerade erst an mit neuen Hopfenzüchtungen."
Heidenpeter misst 200 Gramm Hopfen ab, streut ihn in die Malzbrühe. Je nach dem zu welchem Zeitpunkt man den Hopfen dazutut und mitkochen lässt, verändert sich der Geschmack des Bieres, verrät er. Er liebt es mit Bieraromen zu experimentieren. Auch jenseits des deutschen Reinheitsgebots:
"Ich benutze gerne Koriander, auch mal Stern-Anis oder Orangenschalen."
Die Deutschen sind zwar technisch auf einem sehr hohen Niveau der Bierproduktion sagt er, aber sie haben es - im Gegensatz zu den Belgiern etwa - verpennt, neue Rezepte auszuprobieren. Dass sich das gerade ändere - zu mindest in Berlin - sei mehr als an der Zeit gewesen
"Also ist insofern naheliegend, als dass in Berlin das Publikum weit genug ist. Weil in Berlin viele Leute aus dem Ausland leben, kennen viele andere Biere und die Schwelle ist nicht mehr so groß. Ich habe Bekannte, die auch im kleinen Stil brauen, an der Peripherie, auf dem Land. Wenn die dieselben Biere machen würden, die ich hier mache, hätten die sicher noch Schwierigkeiten, die loszuwerden."
Heidenpeters, Vagabund Bier, Schoppe-Bräu oder Bogk Bier. Kleine Berliner Biermanufakturen hinter denen längst Gewerbe mit Genehmigungen vom Hygiene- und Hauptzollamt stehen. Bei den einen geht es sehr professionell zu wie bei Thorsten Schoppe oder Johannes Heidenpeter bei den anderen wird immer noch viel improvisiert wie bei Vagabund und bei Andreas Bogk.
Andreas Bogk hat dafür das interessanteste Finanzierungsmodell. Die Ausstattung seines Braukellers hat er sich per Spenden im Internet organisiert. 20.000 Euro sind über das Crowdfunding-Projekt zusammengekommen. Seine Unterstützer bezahlt er in Bier. Wenn es gelingt.
Von der Berliner Weißen Sudnummer 24 kann man das behaupten.
"Farbe ist schon mal schön: hell, golden, klar. Mmh. Nummer 24 ist gut."
Und zwar ohne Sirup.
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