Berlin-Adlershof

Einst DDR-Fernsehen, heute Theater

15:41 Minuten
Nachrichtenraum der "Aktuelle Kamera" am 01.01.1991 in Adlershof. In einem Raum sitzen mehrere Männer, an der Wand befinden sich Monitore, neben Sesseln stehen Telefone.
Nachrichtenraum der "Aktuelle Kamera" am 01.01.1991 in Adlershof. © picture alliance/dpa/ZB/Paul Glaser
Von Thomas Klug · 19.02.2020
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Berlin-Adlershof ist ein Ort mit viel Geschichte: Hier wurde die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt gegründet und zu DDR-Zeiten wurden hier Sendungen wie die "Aktuelle Kamera" produziert. Nun geht es in die Zukunft – mit viel Theater.
Es ist eine Baustelle.
"Die Grundfläche sind 400 Quadratmeter, die Deckenhöhe 16,80 Meter. Es ist ein Theater."
Es dauert noch – wenige Wochen. "Ab April läuft eine Eulenspiegel-Inszenierung mit dem Titel: ´Die wahren Lügen des Till Eulenspiegel`".
Kathrin Schülein freut sich. Ihr Theater wird größer. Eine zweite Bühne. Und dann dieses Stück:
"Es ist für Erwachsene und auch für Jugendliche gedacht. Wir wollen auch mit Schulen zusammenarbeiten. Es sind drei sehr kontroverse Geschichten, die man ja kennt. Hans Sachs hat sie mal geschrieben."
Berlin Adlershof und Till Eulenspiegel. Vielleicht passt Till Eulenspiegel hier so gut hin wie sonst nirgends, hier an diesen seltsamen Ort Berlin-Adlershof mit seinen Überraschungen:
"Dass es überhaupt ein Theater hier gibt... Theater in der Nähe. Berlin ist ja ein bisschen größer. Man muss nicht einen halben Tag unterwegs sein, um ins Theater zu kommen", sagt Maja Bunke. Sie kommt regelmäßig hierher und guckt, was es zu sehen gibt:
"Von Lesung, Talk, Theater, Konzert. Das kommt noch dazu. So ein vielseitiges Theater hab ich sonst auch noch nicht erlebt."
Ein kleines Theater – bald mit zwei Bühnen:
"Man kann auf ganz großen Bühnen stehen oder auf ganz kleinen. Die Kunst und die Qualität kann überall stattfinden und das Publikum ist überall genauso wichtig", sagt Mattis Nolte, Tänzer und Schauspieler.
"Es gibt so ein paar Wohngebietszeilen, wo die Häuser noch aussehen wie seinerzeit, nur sind sie jetzt saniert. Aber die Straße ist immer noch klein, die Autos passen noch immer nicht nebeneinander durch, da sind noch die kleinen Straßen, durch die man damals eben auch gegangen ist und die einem an die eigene Jugend oder Kindheit erinnern, sowas ist immer ein schönes Gefühl", sagt Tino Eisbrenner. Sänger, Autor, Poet, Schauspieler:
"Aber ansonsten hat sich hier natürlich in großen und in lauten Schritten sehr viel verändert. Gerade Adlershof – hier war früher viel Industrie, da ist viel weggerissen worden und völlig umgewidmet worden."

Ein Ort mit großen Worten und Geschichte

Der S-Bahnhof zieht sich wie ein Riegel durch den Stadtteil. Adlershof ist bekannt. Der Grund dafür erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Und auf den zweiten... Naja.
"Die Zukunft liegt so nah" steht auf einer riesigen Tafel am Rande einer Baustelle. Und dann noch etwas mit Office und Campus. Zukunft in Adlershof. Die Geschichte will es, dass es hier nie an großen Worten mangelte. Große Worte in Seifenblasenform.
Ein Bagger lärmt, ein Arbeiter steht daneben und weiß gerade nicht weiter. Die Zukunft, wie sie sich der Bauherr vorstellt, ist ein Bürogebäude. Ein Wegweiser weist die Richtung zur Bundesagentur für Arbeit. Das Schild ist verbeult. Soll man ihm trauen? Adlershof hat reichlich Vergangenheit hinter sich. Ein bisschen davon ist denkmalgeschützt. Anderes, nicht wenig, abgerissen.
"Hier gegenüber vom Haus gab es einen Park, wo heute dieses Studentenwohnheim und Apartments stehen. Den haben sie weggerissen, den Park, und haben jetzt lediglich eine Sichtachse gelassen wegen des Denkmalschutzes, also, weil das Gebäude denkmalgeschützt ist. Das Gebäude grenzt an drei weitere Gebäude an, die alle vier zusammengehören, das so genannte Franz-Ehrlich-Ensemble."
Kathrin Schülein steht vor dem Theater, das ihr eigenes ist. Der Wind pfeift ihr ins Gesicht. Ein Gefühl, das jeder kennt, der eine Kulturstätte betreibt.
"Ich bin Tänzerin geworden. Und Tänzerin wird man nicht, wenn man denkt, man muss jetzt einen Beruf ergreifen. Genauso macht man das auch bei einem Theater. Da steckt so viel Leidenschaft und so viel Idealismus drin. Und möglicherweise auch eine ganze Portion Naivität. Aber nur die hat mich ja so weit kommen lassen. Und natürlich wahnsinnig viel Kraft."


In den Reiseführern gibt es für Adlershof nicht viel Platz. Das ist nicht ungerecht. Gerecht ist es auch nicht. In Adlershof hat manche Zukunft ihre Vergangenheit gefunden. Der erste deutsche Motorflugplatz wurde in Adlershof-Johannistal eröffnet – sagen die einen. Die anderen sagen, es war erst der zweite. Adlershof neigt zu Übertreibungen. Unstrittig ist, dass in Adlershof die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt gegründet wurde und das Deutsche Reich hier seine Zentrale Polizeifunkstelle unterhielt. Es folgte die DDR und ihre Akademie der Wissenschaften.
"Franz Ehrlich war der Architekt, der im Auftrag des Fernsehens der DDR bis 1952 diese vier Gebäude gebaut hat und die heute alle vier unter Denkmalschutz stehen."
Auf dem Foto im Theater sind zu sehen: Maja Bunke, Tino Eisbrenner und Kathrin Schülein (v.l.n.r.)
Im Theater: Maja Bunke, Tino Eisbrenner und Kathrin Schülein (v.l.n.r.) gestalten die Zukunft. © Deutschlandradio/ Thomas Klug

Hohe Mauern in Adlershof

Das Fernsehen der DDR hat Adlershof geprägt, 37 Jahre lang. Das wird ein Stadtteil so leicht nicht los. Muss er das überhaupt? Geschichte kann schwierig sein. Kathrin Schülein will sie nicht einfach verschwinden lassen. Das geht auch gar nicht, wenn das Theater genau dort steht, wo das Fernsehen der DDR sendete. Nie ganz unbemerkt. Manchmal geliebt – wenn die Kindersendungen nicht gerade ideologische Kapriolen schlugen, was sie manchmal taten. Geliebt auch, wenn es nicht gerade 19.30 Uhr war und das Hochamt für Übertreibungen dröhnte.
Um 19.30 Uhr hatte das Fernsehen treue Zuschauer – die Machtelite der DDR wollte schließlich sehen, wie gut sie im Fernsehen rüberkam. Die, nun ja, Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" sendete so, wie es das Politbüro mochte. Die Redaktion sah sich selbstironisch als die "Trompete der Partei", was sehr zutreffend war – im Gegensatz zu den Jubelberichten. Das mit der "Trompete der Partei" ging leider nicht über den Sender. Stattdessen:
"Aus allen Teilen der DDR erreichten uns in den letzten Stunden begeisterte Zustimmungserklärungen für die richtungsweisenden Zielsetzungen des VII. Parteitages der SED. Ich stelle mich voll und ganz hinter die Resolution des VII. Parteitages."
Was für ein Theater. Und genau da steht Kathrin Schülein. Früher waren hier hohe Mauern. Die DDR-Obrigkeit trennte damit gern die verschiedenen Welten. Die eigene Welt von der Welt, über die sie herrschte und die wiederum vom Fernsehen. Finnland konnte sehr weit weg sein. Für das Fußvolk der DDR-Bürger ungefähr genauso weit weg wie das volkseigene Fernsehen. Der Staatsfunk brauchte Abstand vom Staatsbürger.
"Man brauchte einen Passierschein, und den hat dann irgendeine Dienststelle des DDR-Fernsehens ausgestellt. Ohne Passierschein konnte man nicht auf das Gelände rauf."


Die Schranke ist weg. Und die Gebäude sind weniger geworden. Einiges ist übriggeblieben. Ein paar Fernsehsendungen werden noch produziert, andere als früher. Und ganz vorn am alten Fernsehgelände spielt das Theater Adlershof. Erinnerung und Neuanfang. Manchmal gastiert Tino Eisbrenner hier:
"Das hat natürlich auch Kultcharakter für mich, dass dieses Theater auf einem Gelände steht, wo ich früher durch die Schranke in das Fernsehgelände gefahren bin, das hat natürlich auch neugierig gemacht, wenn man sagt, guck mal, hier waren wir, da haben wir das und das gemacht. So ein paar Erinnerungen – das ist schon schön, wenn die an irgendeinen Ort noch lebendig bleiben."
Gleich gegenüber war das Wachregiment Felix Dserschinski stationiert, was dem Ministerium für Staatssicherheit unterstand. Die Nähe zum wichtigsten Medienstandort der DDR war nicht zufällig.
"Das ist das erste und wahrscheinlich einzige Fernsehtheater, das jemals in Deutschland oder auf deutschem Boden gebaut wurde. Es ist 1952 fertiggestellt worden, war ein Auftrag des Fernsehens der DDR, bis 1957 wurden Inszenierungen gesendet, Opern, Schauspielaufführungen. Und 1957 ist das Haus dann umfunktioniert worden, es ist komplett entkernt worden und von da an wurde die ´Aktuelle Kamera` gesendet."
Kathrin Schülein hat dieses Theater vor wenigen Jahren wiederbelebt. Das können nicht viele Menschen von sich sagen. Und ein bisschen hat sie auch das DDR-Fernsehen aufgeräumt:
"Als ich hier reinkam, da war dieser gesamte Raum in der Mitte mit ganz, ganz vielen aneinandergrenzenden Tischen und ich glaube so 40, 50 Stühlen besetzt, und hier war dann am Ende der Konferenzraum von Adameck, vom Direktor des Fernsehens der DDR. Es stand alles noch so. Und hinter dieser Wand, der Spiegelwand, da befindet sich der alte, große, stillgelegte Theatersaal."
Der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl kommt am 30.12.1991 vom Gelände des Deutschen Fernsehfunks in Berlin-Adlershof. Ein Mann im Mantel kommt aus einem Eingangstor. 
Eines der Eingangstore des Deutschen-Fernsehfunk-Geländes im Dezember 1991 in Adlershof.© picture alliance/dpa/ZB/Klaus Franke

Erhalten, was erhaltenswert ist

Es ist schwer, etwas davon übrigzulassen. Viel Gerümpel, viel ideologischer Ballast der Republik, der gewesenen. Darunter findet sich Fernsehkunst, manches davon mit propagandistischen Dellen, manches einfach im Stil einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Manches altmodisch, manches fast seltsam modern und lebendig. Kathrin Schülein will erhalten, was ihr erhaltenswert scheint. Ihr Rezept: Eine Mischung aus alt und neu. Manch ehemaliger Fernsehstar ist hier zu erleben und Künstler, die mit dem alten Adlershof gar nichts zu tun hatten.
"Deshalb haben wir ja auch ganz, ganz andere Sachen mit hier aufgenommen, wie diese kabarettistische Schauspielkür von unseren beiden sehr beliebten Schauspielern und Musikern Saskia Kästner und Dirk Rave, die als Duo sich hier durch die Groschenheftromane spielen und singen."
Die Adlershofer Vergangenheit spielt für Mattis Nolte keine Rolle. Er hat seine eigene. Früher war er Tänzer, heute arbeitet er als Schauspieler:
"Ich hatte das Bedürfnis, mit Stimme zu arbeiten, mit Stimme, Gesang, ja und auch Charakterrollen oder Figurenentwicklung. Und ein bisschen war auch der Gedanke im Hintergrund, dass der Tänzerberuf sehr, sehr kurz ist, wie der Leistungssport auch. Und das man schon früh mit der Frage konfrontiert wird, wie soll das später im Leben werden", erzählt Mattis Nolte.
"Ich spiele hier eine inszenierte Kishon-Lesung mit Stücken und Szenen von Ephraim Kishon und einen Tschechow-Abend, wo zwei komische Einakter von Anton Tschechow gegeben werden: ´Der Bär` und ´Der Heiratsantrag`. Und als nächstes Projekt stehen Till-Eulenspiegel-Szenen an."
Die Band Jessica und ihr Sänger Tino Eisbrenner. Das Lied mit dem seltsamen Text war ein Erfolg in der späten DDR.
"Für jemanden, der aus dem DDR-Fernsehen schon rausgeguckt hatte, gab es nach der Wende erstmal harte Zeiten, weil sich natürlich alle, wir auch, erstmal in den Westen orientierten, guckten, was da alles glänzt."
Jessica gibt es nicht mehr. Und Tino Eisbrenner hatte sich zurückgezogen. Es war ein Rückzug in die Welt.
"Da muss man schon kurz mal gucken, wer man überhaupt ist. Und da habe ich gedacht, ab zu den Kindheitsträumen und bin bei den Indianern gelandet, schlussendlich bei den mexikanischen Maya auf Yucatan, hab mich da von mir selbst entfernen können und mich damit wieder zu mir selbst wenden können. Hab dann gemerkt, du willst Sänger sein, willst Texter sein, Lieder schreiben, du brauchst dazu deine Sprache und bin zurückgekehrt nach Deutschland."
Nach der jugendlichen Popkarriere zeigt Tino Eisbrenner seinen tieferen, poetischen Blick auf die Welt. "Die letzten heiligen Dinge".
Der Vorteil eines gewesenen Jungstars: Wenn es vorbei ist, kann man die eigene Vielfältigkeit zeigen. Kreischende Fans sind ja auf Dauer auch nicht zu ertragen.
"Ich kann aber auch die musikalisch-literarischen Programme anbieten. Mit einem solchen war ich dann auch das erste Mal im Theater Adlershof und habe ´Deutschland – ein Wintermärchen` hier gemacht und fange an, dazuzugehören und mich dazugehörig zu fühlen."


Das Theater Adlershof – es lebt die vielfältige Geschichte Berlins. Tino Eisbrenner glaubt, es ist mehr als Theater. Es sei Heimat.
"Wenn hier Franziska Troegner auf die Bühne geht zum Beispiel. Oder auch ein Sänger wie Tino Eisbrenner oder auch Stücke von Tschechow gespielt werden. Oder selbst Till Eulenspiegel – da gab es eine großartige Verfilmung von der DEFA mit Winfried Glatzeder in der Hauptrolle – das assoziative Gedächtnis arbeitet dann in den Leuten und die fühlen sich hier auch zu Hause. Das ist nicht in erster Linie, weil da eben ein Theater ist, sondern hier wird auch ein Heimatgefühl transportiert."
Ein großes Wort. Katrin Schülein weiß, dass ihr Theater nicht einfach Theater ist. Es ist Treffpunkt. Und es ist irgendwie auch eine Ost-West-Verbindung im Kleinen:
"Es gibt ja den alten Kiez Adlershof und es gibt die neue Seite, wo heute an der Stelle der Akademie der Wissenschaften der große Wista, der größte Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Europas beheimatet ist und das Studio Berlin, also die Fernsehstudios hinter unserem Gebäude, die arbeiten ja alle noch und sehr erfolgreich. Diese beiden Stadtteile sind durch die S-Bahn getrennt. Und das ist dem Bezirk schon lange ein Dorn im Auge, das jetzt Adlershof Ost und Adlershof West – das ist jetzt die Ironie – Adlershof Ost und Adlershof West kommen irgendwie nicht so richtig zusammen. Und dieser Brückenschlag ist uns durch das Theater tatsächlich gelungen."
Franz-Ehrlich-Haus in Adlershof
Franz-Ehrlich-Haus in Adlershof© Thomas Klug
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