Boomtown Adlershof

Berlin kann auch anders

Berlin-Adlershof
Das Zentrum für Photonik und Optische Technologien im Technologiepark Berlin-Adlershof © picture alliance/dpa/Foto: Jens Kalaene
Von Verena Kemna |
Im Südosten Berlins hat sich in Adlershof über die Jahre einer der erfolgreichsten Standorte für Hochtechnologie in Deutschland entwickelt. Mehr als eintausend Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen haben sich angesiedelt. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Propellergeräusche, Krach aus einer Werkhalle, menschliche Stimmen. Die Klanginstallation "Air Borne" auf dem Parkgelände in Deutschlands größtem Wissenschafts- und Technologiepark. Klänge, die an die Ursprünge von Adlershof erinnern sollen. Hier, im Berliner Südosten, ganz in der Nähe des künftigen Berliner Großflughafens, gründete Graf Zeppelin 1912 die "Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt", kurz DVL.
Einige historische Gebäude sind erhalten. Zwei restaurierte Labor- und Werkstattgebäude aus der Zeit sind Blickfang und Orientierungshilfe. Bogenfenster reichen bis unter das Dach, die Gebäude stehen mitten auf einem Stein gepflasterten Hof. Moderne Glasfassaden ergänzen das Forum.

Essen, sitzen, reden...

Wo vor hundert Jahren Propellerflugzeuge knatterten, ist ein Platz entstanden, groß wie zwei Fußballfelder. Es ist das Forum von Adlershof. Essen, sitzen, reden, mit Blick auf die Neubauten der naturwissenschaftlichen Institute der Berliner Humboldt-Universität. Markant, auch zwei fünf Meter hohe Stelen. Von oben herab scheinen die beiden identischen Kopfskulpturen das Gelände zu überblicken. Kluge Köpfe sind das Potential von Adlershof. Christin Schäfer ist froh, wieder da zu sein.
"Ich kenne Adlershof. Ich habe bereits 2002 bis 2006 als Wissenschaftlerin hier gearbeitet, beim Fraunhofer Institut. Damals haben wir uns mit maschinellem Lernen, intelligenter Datenanalyse beschäftigt. Das mache ich jetzt auch wieder als Wiederkehrer. Jetzt habe ich eine kleine Firma gegründet, acs plus und wir bieten an, Datenprodukte im weitesten Sinne, auch Datenservices, auch Datenberatung."

Die Datenhandwerkerin

Die zierliche Person ist gerade mal Anfang 40 und hat gleich mehrere Karrieren erfolgreich beendet, als Wissenschaftlerin und in der Bankenwelt. Auf Status und Geld verzichtet die diplomierte Statistikerin gerne. Sie sitzt im Restaurant des Gründerzentrums auf der Dachterrasse. Wer ihr zuhört, merkt schnell, Christin Schäfer brennt für ihre Vision.

"Ich liebe nun mal Daten. Und ich wollte zurück zu meinen Daten und ich wollte keine Powerpoints über Daten, sondern Daten. Dann kam eben der Beschluss, Karriere Nummer drei: Ich gründe meine eigene kleine Firma, ich komme zurück in meine Home Base, ich bin wieder zurück in Adlershof und ich mache meine Daten."
Ihr Büro ist ein langgestreckter Raum. Zwei Mitarbeiter arbeiten an ihren Laptops. Christin Schäfer sieht sich als Datenhandwerkerin, spezialisiert darauf, aus einem Wust von Daten, genau die herauszufiltern, die für den Kunden wichtig sind.
"Das ist wirklich sehr aufregend, muss ich auch sagen, bei allem Stress, den eine Gründung mit sich bringt, habe ich diese Entscheidung nicht bereut. Für alles, was ich an Geld, an Sicherheit an Status gehabt habe, ich bereue es keinen Tag, diese Curiosity, das ist so viel mehr wert, ich bin sehr glücklich, dass ich das machen darf."
Adlershof bietet alle Voraussetzungen.
"Allein die Bibliothek, die wir auf der anderen Straßenseite haben. Der Zugang zu Information ist phantastisch, man hat hier unheimlich viele Professoren, mit denen man sich austauschen kann."
Sie muss zurück ins Büro. Ihr Profil passt perfekt zum Wissenschafts- und Technologiepark Berlin Adlershof. Roland Sillmann leitet die zuständige Betreibergesellschaft, die Wista-Management GmbH, ein Unternehmen des Landes Berlin. Der studierte Maschinenbauer hat Erfahrung als Firmengründer und als Geschäftsführer. Seine Vision beschreibt er am liebsten auf dem Dach der Betreibergesellschaft.

Berlin Adlershof
Blick auf die Wissenschaftsstadt Berlin Adlershof © Deutschlandradio / Verena Kemna

Adlershof: Arbeits- und Studienplatz von 25.000 Menschen

Der Weg nach oben führt vorbei an den Büros der Projektgesellschaft Adlershof, die Areale für immer neue Firmenansiedlungen entwickelt. Schon jetzt arbeiten und studieren über 25.000 Menschen auf dem vier Quadratkilometer großen Areal. Der Blick von oben zeigt, wie es in Zukunft weiter gehen soll. Überall ragen Baukräne in den Himmel. Adlershof ist auf Expansionskurs, erklärt Roland Sillmann.
"Hier ist die große Bibliothek der Humboldt-Universität, daneben kommt dann das Gründerzentrum. Sie sehen in jede Richtung Kräne, weil hier immer wieder gebaut wird. Sie sehen auch einige Freiflächen, wo demnächst neben dem Forumsplatz wieder ein neues Gebäude entstehen wird. Also wo man auch permanent sieht, dass es sich weiterentwickelt. Egal, wohin man guckt, es wird gebaut."
Dazwischen Grünflächen, dicht an dicht parkende Autos, die Straßenbahn sorgt für eine gute Anbindung an die Berliner S-Bahn. Adlershof wird auch als Wohngebiet ständig weiter entwickelt. Wohnen, arbeiten, forschen, für viele ist Adlershof ganz einfach, der "klügste Kiez Berlins". Vom Dach zurück ins Erdgeschoss.

Eine Win-Win-Situation

Mittagspause bei einem Treffen von Industriepartnern und Start-Ups. Der Raum mit den Stehmikrofonen auf der Bühne ist verwaist. Nebenan ein reichhaltiges Buffet und unzählige Stehtische an denen diskutiert wird. Roland Sillmann erklärt, was dahintersteckt. Sechs etablierte Unternehmen treffen auf zwanzig Start-Ups. Gerade einmal fünf Minuten Zeit haben sie, um sich und ihre Ideen zu präsentieren. Wenn Start-Ups und Unternehmen zusammen finden, bleiben fünf Monate Zeit, um gemeinsame Pilotprojekte zu entwickeln.
Eine Win-Win Situation. Start-Ups bekommen Coaching und finanzielle Unterstützung – die Industrie gibt das Geld und profitiert von innovativen Ideen, etwa zu Smart Energy. Martin Mahlberg, ein schlanker Mann in Anzug und Krawatte ist Geschäftsführer des etablierten Berliner Energieversorgers BTB, ebenfalls ansässig in Adlershof.
"Also man merkt ganz klar, dass der Schwerpunkt auf dem Thema Digitalisierung der Energiewende liegt. Big Data, also wie gehe ich mit vielen Verbrauchsdaten um, ist ein ganz großer Schwerpunkt. Das sieht man auch bei diesen Start-ups, die sich sehr viel mit diesem Thema auseinandersetzen, da liegt die Zukunft. Energieversorgung ist eben mehr als aus einem primären Energieträger Strom zu machen, sondern die Frage, wie macht man das intelligent und wir hoffen hier, Antworten auf diese Fragen zu bekommen."
Investition in die Zukunft
Mahlberg ist zum zweiten Mal dabei. Vier Pilotprojekte hat der Energieversorger mit Start-Ups bereits durchgezogen. Mehrere Zehntausend Euro lassen sich die Unternehmen die Teilnahme kosten. Eine Investition in die Zukunft, meint der Geschäftsführer des Energieversorgers BTB.
"Weil wir einfach glauben, es ist gut investiertes Geld, sich frische Gedanken von außen reinzuholen und wir gehen auch davon aus, zumindest nachdem, was ich bisher gesehen habe, dass wir auch in diesem Jahr tolle Pilotprojekte anstoßen werden, die dann auch in die Fläche, den Roll-Out gehen und wir somit eine Amortisierung hinbekommen. Ich denke mal, dass es in diesem Jahr so ein bis drei werden, je nachdem, was der Nachmittag noch bringt."

Start-Up neben etabliertem Unternehmen

Maximilian Both vertritt das Start-Up Rabot Energy. Das Team entwickelt Projekte zum Handel mit Energie. Ein Beispiel:
"Sie haben ihr Elektroauto und sagen, bis morgen früh um acht Uhr soll es wieder geladen sein und stecken es um 18 Uhr in die Steckdose. Wann es geladen wird, ist ihnen ja eigentlich egal. Und wir wollen uns darum kümmern, dass es genau dann lädt, wenn viel Strom im Netz ist und wenn wenig Strom im Netz ist, könnten wir zwischendurch wieder Strom abgeben, um das Netz zu stabilisieren und so den Anteil an Erneuerbaren im deutschen Strommix zu erhöhen."
Auf den ersten Blick lässt sich nicht erkennen, wer am Buffet zu den Start-Ups und wer zu den etablierten Unternehmen gehört. Fast alle tragen Anzug und Krawatte, sind zwischen 20 und 50 Jahre alt. Maximilian Both hält Ausschau nach seinem Partner und verschwindet in der Menge.
"Jetzt gerade geht es los mit den Gesprächen und vielleicht ist mein Kollege schon dabei…"
Auch Roland Sillmann ist in Gespräche vertieft. Als Organisator muss er wissen, was läuft. Die meisten Start-Ups in Adlershof beginnen mit ein oder zwei Gründern und entwickeln sich zu Unternehmen mit bis zu 20 Angestellten. Dabei sei der Adlershofer Unternehmertyp ein besonderer. Nicht das schnelle Geld, sondern die langjährige Weiterentwicklung steht im Vordergrund. In der Regel geht es um Hightech-Produkte für Marktnischen, also klein aber fein, erklärt Sillmann.
"Vielleicht haben sie nur fünf Kunden weltweit. Da brauchen sie nicht mit einer Vorversion die nicht funktioniert auf den Markt gehen und gleich drei von den fünf Kunden verprellen, das funktioniert nicht. Da müssen sie sehr bedacht, sehr besonnen sein und auch sehr klug handeln."

Kooperationen mit Instituten und Unternehmen

Adlershof steht für Kooperation etwa mit den wissenschaftlichen Einrichtungen der Humboldt-Universität und den vielen außeruniversitären Instituten auf dem Gelände. Sillmann und sein Team beraten die jungen Unternehmen, zeigen Netzwerke auf, holen potentielle Kunden nach Adlershof.
"Als Beispiel: Wenn sie als junges Unternehmen bei Siemens anrufen und sagen, ich habe was zu verkaufen, wird niemand kommen. Wenn ich allerdings bei Siemens anrufe und sage, wir haben sechs Start-Ups, die hätten etwas, was für euch interessant sein könnte, dann kommt von Siemens auch ein Einkäufer und die sechs Start-Ups können ihr Produkt präsentieren."
Es sind nur wenige hundert Meter vom historischen Gebäude der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt zu einigen geschwungenen Neubauten mit viel buntem Beton und Glas. Im Zentrum für Photonik und Optik ist vor kurzem die Start-Up Firma Sicoya eingezogen. Eine Denkwerkstatt fast ohne Zwischenwände. Viel Tageslicht fällt durch die großen Fenster mit Blick auf die Grünflächen von Adlershof. Torsten Fiedler, studierter Betriebswirt in Jeans und Shirt, ist der Sprecher des Gründerteams. Er steht in einem großen hellen Raum mit Couch, Palme und Kaffeemaschine.

Es steht für manche viel auf dem Spiel

"Ich mach die Investor-Relations, Reporting, Personalwesen – alle anderen sind ´Teccis` im Start-Up – und die anderen Aspekte, die werden mir zugeordnet."
Soeben hat er den 34. "Techi" – sprich "Mitarbeiter" – eingestellt. Noch stehen Umzugskartons auf dem Boden, viele der Computerplätze sind leer. Die meisten Mitarbeiter seien in L.A., um erstmals bei einer Messe das Produkt vorzustellen. Täglich telefoniert Fiedler mit den Kollegen dort, es steht viel auf dem Spiel. Einige Millionen Venture-Capital stecken in dem Start-Up. Dabei wäre die Gründung von Sicoya ohne die vorherige fast zehnjährige Forschungs- und Entwicklungsarbeit an der Technischen Universität Berlin undenkbar. Torsten Fiedler ist seit der Gründung vor einem Jahr dabei. Der einzige im Team, der kein Naturwissenschaftler ist.
"Wenn im Labor neue technologische Verbesserungen erzielt werden, dann sieht man bei den anderen das Leuchten in den Augen, dann muss man erstmal sehen, wie kann man das jetzt nachvollziehen. Es ist halt sehr schwer für jemand Außenstehendes, der nicht Physik studiert hat, und die meisten haben ja auch promoviert, das nachzuvollziehen, die Technologien in Gänze."
Es geht um photonisch integrierte Schaltkreise für optische Verbindungen in Datenzentren. Vereinfacht gesagt: Immer größere Datenmengen müssen immer schneller verarbeitet werden. Die bisherige Technologie setzt Grenzen, erklärt der 31-Jährige.
"Deshalb sind die optischen Transceiver ein großer technologischer Sprung nach vorne. Man spricht neudeutsch von ´disruptive technology`."


Hightech für deren Entwicklung die Jungunternehmer einen Reinraum brauchen. Viel zu teuer auf dem freien Markt, aber bezahlbar am Standort Adlershof. Wie ein Vorhang hängen durchsichtige Plastikstreifen in einem großen Raum von der Decke und schirmen das Labor ab. Dahinter sorgen Luftfilter für "reine Luft". Jeder Schmutzpartikel könnte die High-Tech Chips unter den Mikroskopen zerstören. Torsten Fiedler schiebt die Plastikstreifen zur Seite. Die Luftfilter sind laut. Unter dem Mikroskop sind Pünktchen und hauchdünne Linien zu erkennen. Sebastian Kupijai misst optische Signale. Der Physiker kennt das Start-Up vom ersten Tag an. Der Garagenbastelcharme in den Räumen der Technischen Universität ist verflogen. Die Begeisterung ist geblieben.

"Damals war ich noch alleine im Labor, der erste, der hier rumgefummelt hat. Mittlerweile sind wir doch gewachsen, musste ich mich umstellen, dass ich nicht mehr der allein Verantwortliche bin. Mittlerweile klappt das ganz gut, da sind wir acht, neun Leute im Labor und ganz gut eingespielt."
Berlin Adlershof
Ein Labor in Berlin Adlershof © Deutschlandradio / Verena Kemna

Hilfsbereitschaft und Kommunikation auf Augenhöhe

Torsten Fiedler zählt auf, was Adlershof bietet: hilfsbereite Kollegen, Gesprächspartner auf Augenhöhe, kurze Wege. Es gehöre zum guten Ton, dass alle zusammenhalten. So hat ein Ingenieur einer "Nachbarfirma" schnell geholfen, als kurz vor der Präsentation noch etwas bearbeitet werden musste.
"Das hätten wir sonst für viele Wochen wegschicken müssen. Da haben wir einfach einen kurzen Telefonanruf gemacht, und die haben gesagt: Ach ihr seid Nachbarn, dann kommt doch runter. Dann hat der Ingenieur sich da hingesetzt, das eine Stunde bearbeitet und dann hat das auch wirklich funktioniert und da hat er gesagt, ach, wir brauchen auch keine Rechnung schreiben, wir helfen uns hier in Adlershof und da waren wir wirklich toll beeindruckt."

Dass bei Sicoya etwas Besonderes entwickelt wird, dafür steht auch der "Startup Energy Transition Award". So heißt es auf einer durchsichtigen Kunststoffplatte, die in einem Holzrahmen steckt. Was auf den ersten Blick unscheinbar aussieht, hat es in sich. 500 Start-Ups aus über 60 Ländern hatten sich um die Trophäe beworben.
"Wir waren ganz begeistert, dass wir nach dem Pitch den Preis gewonnen haben für ´Future Production` und dazu gab´s auch noch 10.000 Euro. Aber auch die Anerkennung, dass man sieht, man bewegt etwas, das ist sehr schön und ich denke, auch eine prima Teammotivation für die anderen Kollegen, dass wir den Award gewinnen konnten."
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