Ukraine-Krieg in den Medien

Auf der Suche nach der Wahrheit

53:52 Minuten
Kriegsreporter und Fotografen in Kiew tragen Helme und weitere Schutzausrüstung.
Kriegsreporter in Kiew: Welchen Bildern und Berichten können wir glauben? © picture alliance / abaca / Raphael Lafargue
Moderation: Birgit Kolkmann · 11.03.2022
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Vor-Ort-Recherchen zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind gefährlich. Die Bedingungen des Krieges erschweren die Überprüfung von Informationen. Zugleich erwarten Leser, Hörer und Zuschauer verlässliche Berichterstattung in Echtzeit.
Er wolle wahrheitsgetreu, aber nicht neutral über den Krieg in der Ukraine berichten, erklärt der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur Paul Ronzheimer, der zurzeit in Kiew ist. Er plane, weiterhin in der Ukraine zu bleiben. Es habe sich in den vergangenen 16 Tagen als „absolut richtig“ erwiesen, vor Ort zu sein, sagt Ronzheimer.
„Ich würde mir für die Ukraine wünschen, dass noch mehr deutsche Reporter hier sind. Es gibt so viele amerikanische Journalisten hier, englische Journalisten, französische Journalisten. Also es ist möglich, von hier zu arbeiten. Am Ende sind Journalisten auch menschliche Schutzschilde. Solange berichtet wird und die Wahrheit gezeigt wird, gibt’s eine Möglichkeit, dass der Krieg zumindest weniger brutal und grausam geführt wird, obwohl wir natürlich sehen, wie grausam er bereits ist.“

Russische Propaganda klar benennen

Seiner Einschätzung nach trifft es nicht zu, dass beide Kriegsparteien in vergleichbarem Ausmaß Falschmeldungen lancierten. Es sei nicht die ukrainische, sondern die russische Regierung, die gezielt Propaganda betreibe, betont Ronzheimer.
„Ich sehe nicht, dass die Ukrainer in einer Weise Propaganda machen. Nehmen wir zum Beispiel den Angriff auf das Kinderkrankenhaus. Der ist eben passiert. Nehmen wir die Situation in Mariopol, wo die Menschen eingeschlossen sind, kein Wasser haben, keine Elektrizität. Ein Fotograf, mit dem ich viel zusammengearbeitet habe, der dort gerade für AFP arbeitet, mit dem ich auch in Kontakt stehe, der hat dort dramatische Bilder fotografiert", erzählt er.
"Das ist alles geprüft, das ist kein Regierungsmaterial, sondern das passiert hier tatsächlich. Ich glaube, dass Russland es schafft durch die Propaganda, immer wieder dafür zu sorgen, dass die Menschen das in Zweifel stellen und ich glaube, dass wir das ganz klar benennen müssen."

Kriegsberichterstattung erfordert Sorgfalt und Kompetenz

Es gelte, zwischen Propaganda und PR zu unterscheiden, fordert Christian Mihr, der Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen“. Während die russische Regierung offensiv Desinformation und Lügen verbreite, betreibe die ukrainische Regierung PR unter den Bedingungen eines Angriffskrieges.
Vor diesem Hintergrund komme es bei der journalistischen Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine ganz besonders auf "Verifizierungskompetenz, regionale Kompetenz und Kompetenz im Umgang mit nachrichtendienstlichen Informationen" an. „Natürlich haben in einem solchen Krieg alle Seiten Interesse daran, Informationen zu steuern. Insofern ist Kompetenz in der Berichterstattung und so alte journalistische Tugenden wie Sorgfalt wichtig, um Dinge ordentlich einschätzen zu können.“

Stimmung der russischen Bevölkerung schwer einzuschätzen

Auch die freie Hörfunk-Journalistin Gesine Dornblüth, die lange Jahre Korrespondentin in Moskau war und zurzeit den Krieg zwischen Russland und der Ukraine von Berlin aus mit ihrer Expertise journalistisch begleitet, sieht einen substanziellen Unterschied zwischen der Informationspolitik der russischen und der ukrainischen Regierung: „Ich erkenne noch nicht, dass da bewusst Falsch-Nachrichten von ukrainischer Seite verbreitet werden, die auch nur annähernd dem nahekommen, was wir aus Moskau erleben.“
Sie versuche, Kontakt zu Menschen zu halten, die sie seit Jahren kenne und zu Kollegen, die seriös arbeiteten, sagt Dornblüth. „Das wird, je länger man nicht in ein Land reisen kann, umso schwieriger. Das Problem ist, dass wir nicht nur jetzt im Krieg Schwierigkeiten haben, in die Ukraine zu reisen, sondern dass wir aufgrund von Corona auch schon zwei Jahre Schwierigkeiten hatten, nach Russland zu reisen. Das macht’s unheimlich schwierig, gerade die Stimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung auch jenseits des Moskauer Autobahnrings einzuschätzen.“

"Von keiner Seite vereinnahmen lassen“

Kritische Selbstreflexion journalistischer Arbeit ist auch in Kriegszeiten wichtig, meint die Journalistik-Professorin Marlis Prinzing von der Hochschule Macromedia in Köln.
Dabei gehe es vor allem darum, sich von keiner Seite vereinnahmen zu lassen. „Es geht um Selbstreflexivität und es geht auch darum, dass wir ein Augenmerk darauf haben, dass das mit auch das Neue ist, wie hier in diesem Krieg mit großer Intensität auf zweierlei Ebenen gekämpft wird: Wir haben die klassisch-militärische Ebene und die mediale Ebene, wo es derzeit so aussieht, als läge da die ukrainische Seite sehr, sehr weit vorne. Gerade über die sozialen Medienkanäle ist der Erfolg bei denen, die ihre Narrative durchsetzen.“
(ruk)

Es diskutieren:
Gesine Dornblüth, freie Hörfunk-Journalistin und ehemalige Korrespondentin des Deutschlandradio in Moskau
Christian Mihr, Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen"
Marlis Prinzing, Professorin für Journalisik an der Hochschule Macromedia in Köln
Paul Ronzheimer, stellvertretender Chefredakteur der BILD-Zeitung

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