Berichterstattung über Wahlkampf

"Das hat mir manchmal wehgetan beim Lesen und beim Zusehen"

12:17 Minuten
Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet beim Triell – Dreikampf ums Kanzleramt von ProSieben, SAT.1 und Kabel Eins mit den Kanzlerkandidaten im Studio Berlin-Adlershof.
In den TV-Debatten sei keine richtige Diskussion zustande gekommen, kritisiert die österreichische Politikjournalistin Corinna Milborn. © imago / Future Image / F. Kern
Vera Linß und Dennis Kogel im Gespräch mit Corinna Milborn · 25.09.2021
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Nie war ein Bundestagswahlkampf so spannend, sagen die einen. Nie war ein Wahlkampf so sinnentleert, kritisieren die anderen. Die Rede ist sogar von Medienversagen. Was ist dran an der Kritik?
"Der deutsche Wahlkampf war ein Triumph der Nebensächlichkeiten", schreibt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in der "Zeit". "Wie wir Medien vor der Wahl versagen", steht über dem Kommentar, den der Journalist Peter Unfried in der "taz" veröffentlicht hat.
Die Vorwürfe gegenüber der Wahlberichterstattung häufen sich. Einer der Hauptkritikpunkte: Die wichtigen Zukunftsfragen seien nicht ausreichend thematisiert worden. Das sieht auch die Politikjournalistin Corinna Milborn so, die in Österreich selbst Duelle und Elefantenrunden moderiert hat. Als österreichische Journalistin wirft sie von außen einen Blick auf die deutsche Wahlkampfberichterstattung.

"Die großen Zukunftsfragen waren gar nicht so groß"

Über die Fernseh-Trielle sagt Corinna Milborn: In den TV-Wahlkämpfen sei keine richtige Diskussion zustande gekommen und man habe sich kein Bild machen können, was die Unterschiede sind. Als möglichen Grund für die fehlenden tiefgründigen Debatten nennt sie, dass vor der Wahl nur drei Parteien herausgegriffen und die anderen weggelassen wurden.
Außerdem habe man sich bei den Spitzenkandidaten sehr auf nebensächliche und persönliche Details konzentriert, "teils wochenlang und auch in der Qualitätspresse". Das habe dazu geführt, "dass die großen Zukunftsfragen gar nicht so groß waren. Und ich fürchte, dass das mit einem unreflektierten Umgang mit Social Media zu tun hat."

Zu viele Versprechen zu selten hinterfragt

"Weil ja auf Social Media Polarisierung belohnt wird und da natürlich Propaganda betrieben wird", erklärt Milborn. "Ich hatte den Eindruck, dass auch Qualitätsmedien sich dann genötigt sehen, das aufzunehmen und das in einem viel zu großen Ausmaß gemacht haben."
Auch die Kritik, dass die Klimakrise nicht den nötigen Stellenwert bekam, kann Corinna Milborn nachvollziehen: Man habe sich oft zu schnell mit oberflächlichen Aussagen zufriedengegeben. "Und ich hatte immer den Eindruck – das hat mir manchmal wehgetan beim Lesen und beim Zusehen – dass zum Beispiel Versprechen, dass ohnehin irgendwie alles bleibt, wie es ist, und da keine großen Verbote kommen, einfach nicht hinterfragt wurden."

"Komplexe Themen müssen an die breite Masse"

Auch die Digitalisierung sei im Wahlkampf zu kurz gekommen. Die Politikjournalistin schlägt vor, die fokussierte Aufmerksamkeit vor Wahlen gerade für komplexe Themen zu nutzen. Für Sendungen mit den Spitzenkandidaten schlägt sie vor, solche Themen häppchenweise zu bearbeiten und "in Minutenbeiträgen präzise die wichtigen Fragen rauszuarbeiten".
Denn wenn die Journalist:innen die Politiker nur reden lassen, "dann begibt man sich so ein bisschen in den Dienst der Parteien, die ihre Sachen rüberbringen wollen, anstatt in Vertretung der Gesamtbevölkerung nachzufragen: 'Was habt ihr vor?' Weil das sind ja die Fragen, die die Bevölkerung angehen."
"Viele Menschen interessieren sich ja vier Jahre lang nicht für Politik und steigen dann ein, weil sie ihr Wahlrecht ernst nehmen. Und da kann man jetzt auch nicht sagen, diese komplexen Themen, die sollen einer Infoelite überlassen werden. Die müssen an die breite Masse. Und das ist auch gerade die Aufgabe von Massenmedien", erklärt Corinna Milborn.
(nog)
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