Bergsteigen in "Erichs Lampenladen"

Von Katja Bigalke · 04.08.2005
Bevor im Dezember der Palast der Republik endgültig abgerissen wird, kann dort bis zum 26. August ein weißer Berg aus Kunststoff erklommen werden. In der Ausstellung "X Ideen für den Berliner Schlossplatz", die dort zu sehen ist, haben 19 Künstlergruppen Vorschläge gemacht, wie der Platz bis zum Wiederaufbau des Stadtschlosses genutzt werden kann.
" Das geht ja gar nicht, ein Berg, der flattert. "

Benjamin Foerster-Baldenius hat einen Berg geschaffen, mitten in der Stadt. Er ragt aus dem Dach des Palastes der Republik, ist 44 Meter hoch, und besteht aus Metallgerüsten und darüber gespanntem Fließ. Und: er flattert - noch.

" Das ist äußerst uncool. Dafür muss eine Lösung gefunden werden."

Der schlaksige Mann mit der wilden Lockenmähne ist am Schlossplatz für Lösungen zuständig. Er ist für die nächsten drei Wochen so etwas wie der künstlerische Direktor im ehemaligen Renommiergebäude der DDR. Ein Mann mit Visionen:

" Der Berg ist eine Suchmaschine, nicht nur Projektionsfläche. Jeder kann ihm eine Bedeutung geben, was der Berg für sie und die Stadt bedeuten kann."

Foerster-Baldenius hat sich den Berg gemeinsam mit seinen neun Kollegen vom Architekturbüro Raumlabor ausgedacht. Letztes Jahr haben er und seine Mitstreiter den leer stehenden Palast schon mit 280.000 Litern Wassern geflutet und daraus eine mit Schlauchbooten befahrbare Fassadenrepublik gemacht. Dort gab es die Insel der Liebenden und eine Akademie, in der Nassprofessoren über die Grausamkeiten der Berliner Baupolitik dozierten. Dieses Jahr soll eine Bergwanderung Läuterung bringen.

" Das Problem an dieser Stelle ist ja, wenn der Palast abgerissen ist, entsteht hier eine Wüste für Fußball, Rummel und den ganzen Zirkus. Aber braucht die Stadt einen Rummelplatz oder braucht sie einen Ort für die Zukunft? "

Auf dem Philosophenweg, dem Pilgerpfad oder beim sportlichen Erklimmen der Höhen: Stets geht es um die Sinnfrage. Was gehört in die Mitte der Stadt?

" Das preußische Schloss – das kann es auch nicht sein. Im Moment ist die Situation festgefahren: Es gibt den symbolüberladenen Palast und den symbolüberladenen Beschluss, ihn abzureißen, und der Berg bekämpft das. Gesellschaften suchen sich ja immer Ort wie Berge, um ihnen eine Symbolkraft zu geben. Mythen oder Könige setzen sich auf Berge. Berge sind auf jeden Fall potenter als 'ne Wüste."

Berge, Seen, Wälder: Die Raumlaboranten haben ein offenes Verständnis von Architektur. Es geht ihnen weniger um Glas und Beton als um die Bespielung von Zwischenräumen. In der Schrumpfstadt Halle-Neustadt organisierten sie vor zwei Jahren ein Theaterfestival zur Wiederbelebung. Teil der Reanimation war eine Fahrradrallye im verödeten Zentrum der Stadt und ein zum Jugendhotel umgebauter Plattenbau.

Auf dem Moritzplatz in Berlin Kreuzberg soll demnächst eine Baumhaussiedlung entstehen. Das Kollektiv liebt das Unfertige, Informelle. Häuser bauen sie zwar auch, aber eher selten. Im Fall von Foerster-Baldenius sogar nie:

" Die Arbeit mit Bauherrn schreckt mich ab. Ich arbeite eher mit Theatern und temporären Sachen, weil: das ist dann irgendwann auch vorbei und hat auch mehr gesellschaftliche Kraft als ein Einfamilienhaus. Das eine ist ein Job, aber das hier ist 'ne Aufgabe. "

Der 37-Jährige wollte früher eigentlich selber Schauspieler werden. Schon zu Schulzeiten spielte er Theater und auch später während seines Architekturstudiums in Berlin. Heute nennt er sich einen darstellenden Architekten. Ein raffinierter Kompromiss.

"Das ist halt ein Architekt, der so Zeug macht wie ich. Ja, sich ausgesprochen nicht mit dem Bau von Häusern zu beschäftigen, sondern mit allen anderen Randgebieten der Architektur."

Dazu gehört zum Beispiel das Entwickeln von Wohnformen, für die man keine komplizierten Baugenehmigungen braucht – Mischungen aus Datscha und Gewächshaus – oder ein temporäres Schwimmbad in einem Bauschuttcontainer.

" Mich interessieren festgefahrene Situationen und da den Aufmischer zu spielen."

Beim Anblick des entkernten Konferenzsaales im Volkspalast kommt jemand wie Foerster-Baldenius dann geradezu ins Schwärmen:

" In diesem Saal fällt es einem wie Schuppen von den Augen. dass es ein Irrsinn ist, diesen Palast abzureißen. Man trauert darum nicht, wenn man nur das Foyer sieht, aber wenn man das hier sieht mit den Hebetribünen und der individuell verstellbaren Brücke, dann denkt man schon, das ist bescheuert. "

Das Raumlabor hat im Palast der Republik einen Berg geschaffen, auf dem noch einmal jenseits von hochoffiziellen Kommissionen nachgedacht werden soll. Eine Plattform für Künstler, die hier an ihren Modellen von Berlins zukünftiger Mitte basteln. Ob bei der Rast in der Bergkapelle oder beim Philosophen-Karaoke, ob in der Diskussion mit der Bergpartei oder im Raum für den Gruppenkoller...

"Wir entwickeln hier im Prinzip einen Freiraum, um eine eigene Arbeit zu präsentieren. Jeder kann den ganzen Berg für sich vereinnahmen. Zum Beispiel der Sektenpriester. Dass das möglich ist, das macht das Raumlabor. "

Die Planung, die Absicherung, das Fundament. Im Zentrum der Stadt regiert noch einmal die Fantasie. Es gibt die letzte Inszenierung des Palastes, bevor die Abrissbagger anrücken. Solange dürfen sie hier noch campieren: Architekten, die auf eine originelle Art die Zukunft Berlins entwerfen.

" Leute, die eher nicht aus der etablierten Kunstszene kommen und so vor sich her wurschteln. Da muss man nur die Türen aufmachen und die Leute kommen. Wir gehören zu den Wurschtlern. Ist aber eine ziemlich große Gruppe in Berlin."
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