Beobachterin des "Cumhuriyet"-Prozesses

"Journalistische Aktivitäten, die nicht vor ein Gericht gehören"

Ein Demonstrant vor dem Istanbuler Gericht hält ein Porträt des türkischen Journalisten Kadri Gürsel.
Ein Demonstrant vor dem Istanbuler Gericht, in dem 17 Journalisten der unabhängigen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" vor Gericht stehen. © afp / Ozan Kose
Nora Wehofsits im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 26.07.2017
Mitarbeiter der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" stehen in Istanbul vor Gericht. Angesichts der teils absurden Anschuldigungen, frage man sich, wie dieses Verfahren den Weg in den Gerichtssaal gefunden habe, sagt Prozessbeobachterin Nora Wehofsits vom European Centre for Press and Media Freedom.
Seit dem Putsch vom 15. Juli 2016 sind in der Türkei über 150 Medienhäuser geschlossen und mehr als 160 Journalisten verhaftet worden. Die Türkei ist das Land mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden weltweit.
Seit dem 24. Juli 2017 stehen 17 Journalisten der "Cumhuriyet", einer der wenigen noch unabhängigen türkischen Zeitungen vor Gericht. Ihnen werden unter anderem terroristische Aktivitäten vorgeworfen. Nora Wehofsits, Mitarbeiterin des European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF), beobachtet den Prozess in Istanbul – und konnte miterleben, wie die Anklagepunkte vielfach wie Ballons geplatzt sind. Sie sagt:
"Wenn man die Beschuldigungen hört und dann auch die Verteidigungen, denkt man sich oft: Wie kann so etwas den Weg in einen Gerichtssaal gefunden haben. Wir sprechen im Endeffekt über journalistische Aktivitäten, die eigentlich nicht vor ein Gericht gehören. Insofern werden dort wirklich Themen wie Medienfreiheit und Journalismus behandelt."

Hohe Haftstrafen drohen

Doch selbst angesichts der teils geradezu absurden Anklagen, hätten die angeklagten Mitarbeiter von "Cumhuriyet" ernste und reale Konsequenzen zu befürchten, die zugleich auch eine Bedrohung für die noch freien Journalisten seien: Es gehe um mögliche Haftstrafen zwischen sieben und 43 Jahren.
Sie selbst und andere Kollegen, etwa von Reporter ohne Grenzen, seien unbehelligt in den Gerichtssaal gelassen worden. Sie seien dort Zeugen "berührender Momente" geworden – etwa wenn die Angeklagten im Gerichtssaal versuchten, für kurze Augenblicke Kontakt zu ihren Angehörigen aufzunehmen.
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