Benjamin Dürr: "Erzberger"

Aufrecht vom Kaiserreich in die Weimarer Republik

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Enzberger" von Benjamin Dürr.
Benjamin Dürrs Biografie zeichnet mit leichter Feder, aber dennoch pointiert und faktenreich das Leben eines "Unbeugsamen" nach. © Deutschlandradio / Ch. Links Verlag
Von Nana Brink · 26.06.2021
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In der Demokratiegeschichte Deutschlands gibt es nicht allzu viele Vorbilder. Matthias Erzberger könnte eines sein. Doch der 1921 ermordete Politiker ist recht unbekannt geblieben. Eine neue Biografie möchte dies ändern.
Ein Sympathieträger war er nicht, sagte über ihn Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, als er seine Büste in einem Parlamentsgebäude vor ein paar Jahren enthüllte: "Erzberger war vermutlich kein einfacher und auch kein unbedingt sympathischer Mensch, aber er hat einen gewaltigen Anteil an der Geschichte des Übergangs vom Kaiserreich in die Republik."
Bis heute gilt Matthias Erzberger, Zentrumspolitiker der Weimarer Republik, Unterzeichner des Versailler Vertrages, Finanzminister und 1921 von rechtsterroristischen Attentätern ermordet, als einer der am meisten unterschätzten Politiker seiner Zeit. Wie wurde aus dem Sohn eines Schneiders im schwäbischen Buttenhausen der Wegbereiter der Demokratie in Deutschland?

Ein konservativer Sozialpolitiker von unten

Erzbergers Leben "war ein Auf und Ab, gekennzeichnet von zahlreichen Brüchen", überschreibt der Politikwissenschaftler und Journalist Benjamin Dürr den Lebenslauf dieses Ausnahmepolitikers und beginnt mit seiner Kindheit in einem entlegenen Dorf auf der Schwäbischen Alb. Als Spross einer armen katholischen Tagelöhnerfamilie inmitten einer protestantischen Umgebung macht Erzberger früh die Erfahrung, ein Außenseiter zu sein.
Als Klassenbester wird er Lehrer, fällt durch sein Redetalent auf, wird Journalist und schließlich Mitglied der Zentrumspartei, für die er 1903 in den Reichstag einzieht. Schon hier zeigen sich, so Dürr, Erzbergers Eigenschaften: ehrgeizig, gewandt und nah an den einfachen Leuten.
In Berlin, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der preußischen Residenzstadt zur europäischen Metropole wandelt, wird der Autodidakt zum Berufspolitiker. Seine Partei ist die zweitgrößte nach den Sozialdemokraten. Als Vertreter des linken Flügels des Zentrums kümmert sich Erzberger um die Belange seiner Klientel, fordert Verbesserungen ihres Arbeitsalltages, ohne je die Klassenfrage zu stellen. Er wird zum "Gesicht eines neuen Politikertypus: unerschrocken, volksnah und medienwirksam".

Hass richtet sich gegen ihn

Er ist ein Pedant, der im Budgetausschuss akribisch als Kontrolleur der Regierung auftritt und die Kolonialpolitik als "Spielwiese der Eliten" brandmarkt, was ihm schnell zu einiger Popularität verhilft und den Hass konservativer Kreise auf sich vereint. Die verspotten ihn im Parlament als "Negerfreund".
Der Beginn des Ersten Weltkrieges ist auch für den Politiker Erzberger eine Wendemarke. Vom Befürworter des Krieges wird er zum Kriegsgegner. Auslöser sind der Massenmord an den Armeniern und der Stellungskrieg, in den sich das Deutsche Kaiserreich seit 1916 verstrickt hat.
Als er sich in einer von Tumulten begleiteten Rede 1917 für einen "Verständigungsfrieden" einsetzt, wird er zum Hassobjekt der rechtsnationalen Kräfte. Als Leiter der Waffenstillstandskommission im November 1918 unterzeichnet er schließlich das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne und stimmt für die Reparationszahlungen des Deutschen Reiches an die Westmächte.
Aus dem "Aufsteiger" und "Populisten", so sein Biograf Dürr, ist ein "Realist" geworden, der schließlich in der neugegründeten Republik 1919 Finanzminister wird. Seine letzte Phase als "Visionär" beginnt: Er reformiert das Steuerwesen und belastet größere Vermögen stärker, was ihn endgültig zur Zielscheibe der Feinde der Weimarer Republik macht. Nach einem zermürbenden Prozess, in dem er sich gegen Vorwürfe einer "unsaubere Vermischung politischer Tätigkeit und eigener Geldinteressen" wehrt, tritt er 1920 nach einem Attentatsversuch auf ihn zurück.

Das zweite Attentat kostet ihn das Leben

"Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen", soll er gegenüber seiner Tochter erwähnt haben. Am 26. August 1921 wird er von ehemaligen Marineoffizieren, Mitgliedern eines Freikorps, auf offener Straße in Bad Griesbach im Schwarzwald erschossen.
Benjamin Dürrs Biografie zeichnet mit leichter Feder, aber dennoch pointiert und faktenreich, das Leben eines "Unbeugsamen" nach. "Auch wenn Erzberger in vielerlei Hinsicht ein Kind seiner Zeit war: In seinen Sternstunden gelang es ihm, ihr einen Moment voraus zu sein."

Benjamin Dürr: "Erzberger – Der gehasste Versöhner. Biografie eines Weimarer Politikers"
Christoph Links Verlag, Berlin 2021
300 Seiten, 25 Euro

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