Bénédicte Savoy u.a.: „Beute"

Sammeln war selten unschuldig

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Die beiden Cover der Publikationen unter dem Titel "Beute".
In den beiden "Beute"-Bänden, einer Anthologie und einem Bildband, geht es um den Umgang mit Kunstraub und Kulturerbe aus neuen Perspektiven. © Deutschlandradio / Matthes & Seitz
Von Eva Hepper · 26.05.2021
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Ein Bildband und eine Anthologie zeigen - gegenseitig aufeinander verweisend - die Historie des Umgangs mit Kunstraub und Kulturerbe. Sie erzählen Weltgeschichte anhand der Inszenierung von Objekten zwischen Erwerb, Entwendung und Restitution.
Die Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt die leeren Sitzreihen eines Passierflugzeuges der Air Afrique. Tatsächlich befindet sich an Bord nur eine einzige Reisende, die verloren im Mittelgang steht. Es ist eine hölzerne Statue, und worum es hier geht, offenbart der Schriftzug, der über ihrem Kopf ins Bild gesetzt ist: "Wird afrikanische Kunst jemals wieder nach Hause zurückkehren" steht dort auf Englisch.

Verschleppung von Kulturgütern und ihre Inszenierung

Das beredte Titelblatt des Magazins "Africa Report" aus dem Jahr 1974 hat nichts an Brisanz eingebüßt, wie die aktuelle Debatte zu Kunstraub, Kulturerbe und Restitution zeigt. Zu entdecken ist die Abbildung gemeinsam mit über 80 weiteren Darstellungen – Fotografien, Zeichnungen, Gemälden, Comics, Filmstills und Social-Media-Posts – in einem beeindruckenden Bildband mit dem schlichten Titel "Beute".
Herausgegeben von der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und einem Forscherinnenteam der TU Berlin, untersucht das Werk, unter welchen Umständen Kunst und Kulturgüter seit der Antike "verlagert" wurden, und wie diese sogenannte Translokation in Bildern dargestellt beziehungsweise inszeniert wurde.

Ein origineller und überzeugender Debattenbeitrag

Um es vorwegzunehmen: Dieser Bildband gehört zu den originellsten und überzeugendsten Debattenbeiträgen zum Thema. Er zeigt, wie über Jahrhunderte hinweg Bildmotive, Erzähl- und Rechtfertigungsmuster entstanden sind, die sich tief im kollektiven Bewusstsein von Gesellschaften verankert haben. Tatsächlich sind es stets wiederkehrende Szenen, die die Wegnahme, den Abtransport und die Aneignung von Kulturobjekten darstellen, wie auch deren Rückgabe bzw. "Heimkehr".
So lässt sich etwa eindrucksvoll nachverfolgen, wie das antike Bildmotiv des Triumphzugs in der Renaissance wieder auftauchte, später von Napoleon geschickt genutzt wurde und wie es sogar heute noch Rückgabezeremonien weltweit prägt. Gezeigt wird dies mit einem Relief des Forum Romanum (81 n. Chr.), das Beutestücke aus Jerusalem abbildet, mit einer französische Vase (1813), die die Präsentation von konfiszierten italienischen Kulturgütern darstellt, oder mit Videostills von der Rückkehr des Axum-Obelisks (2009) nach Äthiopien; er war seit den 1930er-Jahren als Kriegsbeute in Rom.

Weltgeschichte aus vielen Perspektiven

Da sämtliche Bilder ausführlich in ihrem Kontext erklärt werden, erzählen sie Weltgeschichte aus vielen Perspektiven. Translokation allerdings ist so alt wie die Menschheit. Das belegt auch die den Bildatlas begleitende Anthologie, die etwa 60 Texte aus über 2000 Jahren versammelt.
Sie beginnt mit der Empfehlung des griechischen Geschichtsschreibers Polybios (um 150 v. Chr.), die Notlage Besiegter nicht auszunutzen, geht über die scharfe Ablehnung Victor Hugos gegen die Plünderung des Pekinger Sommerpalastes (1861) und endet mit einem Apell zum Umdenken von der Globalisierungskritikerin Aminata Traoré (2005).
Spannend ist, wie Bildband und Anthologie sich mit Querverweisen aufeinander beziehen und so gemeinsam ihre Wucht entfalten. Dabei enthalten sich die Autorinnen weitgehend einer moralischen Bewertung. Die Dokumente sprechen für sich.

Bénédicte Savoy, Merten Lagatz, Philippa Sissis (Hg.): "Beute. Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe"
Matthes & Seitz, Berlin 2021
389 Seiten, 38,- Euro

Bénédicte Savoy, Isabelle Dolezalek, Robert Skwirblies (Hg.): Beute. Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe"
Matthes & Seitz, Berlin 2021
430 Seiten, 38,- Euro

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