Belletristik

Vagabundieren durch eine Stadt des Zerfalls

Von Rainer Moritz · 14.03.2014
Nachdem sie verlassen wurde, treibt Isabel durch Berlin und laviert ständig am Abgrund. Die Figuren im neuesten Roman des Deutsch-Türken Feridun Zaimoglu sind psychisch Eingekerkerte in einer sich zersetzenden Stadt. Ein rigoroser und manchmal recht vorhersehbarer Roman.
Eine Frau wird verlassen. Und so verlässt die türkischstämmige Isabel Hals über Kopf ihre Berliner Wohnung, nachdem ihr Freund, der "schöne Mann", ihr den Laufpass gegeben hat. Sie findet Unterschlupf in einer Wohnung am Alexanderplatz, die für sie jedoch nicht mehr als ein Provisorium werden wird. Kurzzeitig tauscht sie die Unterkunft mit ihrer Freundin Christine. Was immer Isabel indes tut, Halt findet sie nicht: Sie vagabundiert durch ein Berlin, das als "verwalteter Stillstand" empfunden wird und nichts mit dem saturierten Glanz der neuen Bürgerlichkeit am Prenzlauer Berg zu tun hat.
Isabel, die verletzte, sich am Rande der Magersucht befindende, von einem Hündchen begleitete Frau, treibt durch die Stadt, verkehrt in Transsexuellen-, Schwulen- und Lesbenbars, neigt zu irrationalen Handlungen, trifft die Pfandflaschensammlerin Helga, isst in Sozialstationen und laviert permanent am Rand des Abgrunds. Ab und zu verdient sie sich als Model oder als "Zofe" damit ein paar Euro dazu, dass sie einen Keuschheitsgürtel anlegt und neben dem Bett eines kopulierenden Ehepaars sitzt, mit dem Rücken zu den lüsternen Akteuren.
Stadt des "Zerfalls"
Der emsig schreibende Feridun Zaimoglu schont seine Leser nicht und setzt einen rauen, ungeschliffenen Stil ein, der das Unverbundene dessen, was seine Figuren erleben und tun, sprachlich zu spiegeln sucht. Knappe Sätze, oft nur aus einzelnen, artikellosen Substantiven bestehend, reihen sich aneinander, stehen so vereinzelt in diesem Roman wie Isabel und Christine in ihren Leben. Letztere hat ihre schwangere Tochter Juliette, eine Modedesignerin, durch Selbstmord verloren. Deren Ex-Freund Marcus, der als Soldat im Kosovo Furchtbares erlebt hat, will Klarheit über Juliettes Tod und schließt sich mit Isabel zusammen, ohne dass es beiden gelänge, ihr psychisches Eingekerkertsein zu überwinden. Gemeinsamer Gegner ist Patrick, Juliettes Bruder, der sich als Erpresser versucht.
Das Berlin, das Zaimoglu schildert, ist eine Stadt des "Zerfalls", der an allen Ecken und Enden tobenden Kämpfe – ob in Parks, in den Straßen oder in der Mensa, wo Marcus als Aufseher arbeitet. Isabel ist von all dem überfordert, zumal sie ständig mit dem Leid anderer konfrontiert wird: "Jeder erzählt mir seine Geschichte. Als wäre ich eine Hexe mit Heilkräften."
Heiratsanwärter suchen das Weite
Isabels konservative, aber keineswegs fundamentalistischen Eltern in der Türkei, die Mutter Derya, eine "störrische Dame", und der den nahen Tod spürende Vater Kambay sorgen sich um ihre Tochter. Bei einem kurzen Aufenthalt in der Türkei, der es Feridun Zaimoglu erlaubt, die Tonlage überzeugend zu wechseln und zu einem für das marode Berlin offenbar unmöglichen Witz zurückzufinden, soll Isabel unter Heiratsanwärtern auswählen – unter drei Männern, die von Isabels Unkonventionalität rasch abgeschreckt werden und das Weite suchen.
"Isabel" ist ein rigoroser, manchmal etwas einförmiger und vorhersehbarer Roman, der verkrüppelte Menschen zeigt. Hoffnung scheint für diese kaum noch zu bestehen.

Feridun Zaimoglu: Isabel. Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
237 Seiten, 18,99 Euro

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