Belletristik

Skurriles Beziehungsnetz

Von Martin Sander |
Roman Simić erzählt von der Unberechenbarkeit menschlichen Miteinanders. Er versteht es meisterhaft, den Leser in das Leiden seiner Figuren hineinzuziehen.
Den vakanten Putzjob in der Wohnung des Erzählers, der in Zagreb lebt, hat eine alleinerziehende Mutter übernommen. Sie ist aus Bosnien zugezogen und braucht den Job zum Überleben. Gründlich dringt sie in jeden Winkel vor und findet schließlich hinter dem Schrank einen Umschlag mit der seltsamen Aufschrift "Beitrag zur Archäologie der Zukunft". Damit allerdings will der Erzähler nicht konfrontiert werden. Kaum hat die neue Putzfrau das Haus verlassen, kündigt er ihr per SMS.
"Von all den unglaublichen Dingen", unter diesem Titel hat der Verlag Voland & Quist den inzwischen zweiten Band mit Erzählungen des 1971 in Zadar geborenen kroatischen Autors Roman Simić auf Deutsch herausgegeben. In den elf Geschichten geht es aus unterschiedlichen Blickwinkeln, oft in der Ich-Form, um das unberechenbare, merkwürdige, manchmal skurrile Netz der menschlicher Beziehungen.
Rätselhafte Postkarten von undurchsichtigem Kumpan
In "Die Vögel des Diomedes", dem längsten Text, der mit der Kündigung der bosnischen Putzfrau seinen Anfang nimmt, verarbeitet der Erzähler seine Freundschaft mit einem Radovan Šprajcer, Absender des hinter dem Bücherregal gelandeten Briefs. Man hat sich 1991 beim Militärdienst in der Jugoslawischen Volksarmee kennengelernt, gehörte zu einer Clique, die sich dem Suff hingab oder Sex-Besuchen bei einer etwas älteren Arbeiterin nahe der Kaserne. Gemeinsam erlebte man den Zusammenbruch des Tito-Staats.
Noch viele Jahre später schickt der versponnene und undurchsichtige Šprajcer dem Erzähler, inzwischen Familienvater mit Bausparvertrag, rätselhafte Postkarten, in denen er sich als Weltendeuter gibt. Da Šprajcer beim Militärdienst Günstling eines jugoslawischen Geheimdienstlers und späteren serbischen Kriegsverbrechers war, müsse Šprajcer in Wirklichkeit auch Geheimagent gewesen sein, das sei des Rätsels Lösung, erklärt ein anderer Ehemaliger aus der Militärclique, heute Busfahrer und ein ganz biederes Gemüt. Seine Verschwörungstheorie hat auch für den Erzähler ihren Reiz, glauben will er daran aber nicht.
Quälende Eindrücke mit biografischem Bezug
Die Unwägbarkeit des Zwischenmenschlichen entdeckt Simić ansonsten vorzugsweise in Ehen und Familien. Fast alle Texte sind im Kroatien der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit angesiedelt. In einem Fall wird man in die ex-jugoslawische Künstlerszene Berlins versetzt. Der autobiographische Bezug zeigt sich der ersten Geschichte des Bandes, "Füchse", besonders deutlich. Hier setzt sich der Erzähler, Kind einer serbischen Familie aus Kroatien, quälenden Eindrücken aus, die bei ihm das serbische Massaker an der kroatischen Bevölkerung von Vukovar 1991 hinterlässt. Simićs kroatische Ehefrau Ivana Bodrožić verlor damals ihren Vater und wurde als Kind aus Vukovar vertrieben. Sie selbst hat dazu einen vielbeachteten Roman verfasst.
Simić schreibt "Von all den unglaublichen Dingen" in einem schlicht wirkenden, der Reportage verwandten Erzählstil ohne auffällige Sprachbilder und fast ohne ironische Brechungen. Seine Figuren leiden an ihrem Leben, und Roman Simić versteht es meisterhaft, den Leser da hineinzuziehen.

Roman Simić: "Von all den unglaublichen Dingen"
Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert
Verlag Voland & Quist, Dresden 2013
171 Seiten, 18,90 Euro

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