Belletristik

Buntscheckiges Leben

Von Helmut Böttiger · 03.02.2014
Kurz vor Beginn der Balkankriege um 1990 wird im Garten unter der blutroten Buche ein großes Fest ausgerichtet. Ausgangspunkt für tragikomische Liebeswirren mit historischem Tiefgang.
Martin Mosebach ist im Moment auf dem Gipfel seiner Wirkung. Zur Premiere seines neuen Buches im Literarischen Colloquium Berlin versammelten sich katholische Priester in ihren Soutanen, viele Thomas-Mann-Zitate mit Einstecktuch und generell Publikum mit einem gewissen aristokratischen Touch – das unterscheidet diesen Autor doch sehr stark vom üblichen Literaturgewerbe. Hier waltet etwas Zeitloses. "Das Blutbuchenfest" ist zwar ein Gegenwartsroman, der in Frankfurt am Main spielt, aber der Duktus hat etwas, was über die Gegenwart hinausweist. Dabei werden durchaus unterschiedliche soziale Milieus dargestellt: Es gibt einen Ich-Erzähler Mitte Dreißig, der im Text mitschwimmt, gerade eine langwierige Promotion in Kunstgeschichte hinter sich gebracht hat und nun auf dem freien Markt von einem halbseidenen Projektemacher namens Wereschnikow angeheuert wird. Es geht unverkennbar um den Beginn der Balkankriege um 1990, der Zerfall Jugoslawiens droht, und der Kongress soll die "Würde" auf dem Balkan in den Mittelpunkt rücken.
Die eigentliche Hauptfigur aber ist Ivana, eine bosnische Putzfrau, die durch ihre Tätigkeit die besseren Kreise Frankfurts von innen kennenlernt, das Personentableau des Romans wird durch sie zusammengehalten. Da sind etwa der Immobilienhai Breegen, die Agentin Markies, die altersdemente Modeschöpferin Colisée, der Banker Dr. Glück und natürlich der Ich-Erzähler sowie der Politik-Kultur-Manager Wereschnikow. Letzterer ist daneben auch Mittelpunkt eines tragikomischen Liebesverwirrstücks, das rokokohafte Züge hat: Wereschnikows strahlendblonde Geliebte Maruscha hat heimlich den Tycoon Breegen als zweiten Geliebten, und weil ihre mütterliche Freundin Kasia ihr rät, wenn sie mit zwei Geliebten nicht mehr zu Rande käme, könne die Lösung nur ein dritter Geliebter sein, kommt noch ein junger kraushaariger Fensterputzer dazu.
Der Traum vom martialischen Hahn
Es geht hier weniger um realistische Abläufe als vielmehr um ein Prosagemälde, das mit Leitmotiven und geschickt eingesetzten Farbtupfern arbeitet. Am wichtigsten dabei sind die Blutbuche im Garten des Dr. Glück, bei dem zum Schluss ein dekadent-apokalyptisches Fest stattfindet, und das rote Kleid der Putzfrau Ivana. Den Schluss bildet eine artistisch inszenierte Parallelschaltung zwischen dem kaputten Wohlstandsfest in Frankfurt und dem Beginn des Krieges in Bosnien – ohne jeglichen politischen oder moralischen Fingerzeig; es geht eher darum, wie buntscheckig und uneinsehbar das irdische Leben ist.
Der deutsche Schriftsteller Martin Mosebach
Der deutsche Schriftsteller Martin Mosebach© picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Mosebachs Stärken werden hier voll ausgespielt: kunstvoll detaillierte Porträts schillernder Personen, mit Vorliebe aus dem Geld- und Parvenü-Milieu. Seine Figuren gehören einem Panoptikum an, das ständig gedreht wird und auf das von verschiedenen Seiten immer neues Licht fällt. Das bekommt schnell etwas Typisierendes, und das amüsiert zugespitzt Bürgerliche einzelner Szenen changiert zwischen Loriot und Thomas Mann. Sprachlust, intelligente Unterhaltung, ein Spiel mit Bildung und Kultur – es ist wie ein Traum, den der Ich-Erzähler einmal träumt: Ein martialischer Hahn stolziert zunächst wie Ludwig XIV. in einem Ballett von Lully, wird aber gleich danach gerupft und liegt dann schmächtig da, "in konziser Form von Brust und Keulen".

Martin Mosebach: Das Blutbuchenfest
Hanser-Verlag, München 2014
444 Seiten, 24,90 Euro

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