Belgien

Hilfe auf den letzten Metern

Ein jüngerer Mensch umfasst das Armgelenk einer älteren Person, die im Krankenbett liegt.
Das belgische Parlament hat Sterbehilfe für Kinder legalisiert. © picture alliance / dpa / Jm Niester
Von Annette Riedel · 13.02.2014
Das Bewusstsein dafür, was es bedeutet, seinem Leben ein Ende gesetzt haben zu wollen, fängt nicht an einem bestimmten Geburtstag an. Das neue belgische Gesetz zur Sterbehilfe ist deshalb human.
Ich habe mich entschlossen, der Meinung zu sein, dass es gut ist, wenn auch todkranken Minderjährigen künftig in Belgien aktive Sterbehilfe geleistet werden kann. Ich hätte mich – fast – genauso gut ebenso entschließen können, es entsetzlich zu finden.
Es ist gut, dass in einem Land, dass die aktive Sterbehilfe vor einem Dutzend Jahren legalisiert hat, es jetzt für Ärzte Rechtssicherheit gibt, das zu tun, was zu tun in wenigen Fällen die Menschlichkeit gebietet: Menschen die unnötig lange Phase des finalen Leidens zu verkürzen, wenn sie dies wünschen. In Gesellschaften, denen selbstbestimmtes, würdiges Leben wichtig und viel wert ist, ist es nur konsequent, dass das auch für das Sterben, als Teil des Lebens, gilt.
Ich möchte dieses Recht auf einen selbstbestimmten Tod im Falle einer tödlichen Krankheit für mich haben. Ich möchte, dass man dieses Recht nicht erst bekommt, wenn man nach dem 18.Geburtstag im Sterben liegt.
Beim Todeswunsch nicht Dritte zur Hilfe zwingen
Ob ich je davon Gebrauch machen würde, ob ich wollte, dass meine Kinder davon Gebrauch machen können, weiß ich heute als gesunder Mensch mit heute gesunden Kindern nicht. Bei einem Todeswunsch, um das Sterben abzukürzen, nicht Dritte zu zwingen, sich schuldig zu machen, um mir zu helfen, sich nicht vor einen Zug werfen zu müssen oder aus dem Fenster springen zu müssen – ich finde das human.
Die Tötung auf Verlangen darf und wird es selbstverständlich nur in einem sanktionierten, eng begrenzten, wohl kontrollierten Rahmen geben. Sie muss und wird der Einzelfall bleiben. Dass es dafür in Belgien künftig kein Mindestalter geben soll, das kann einen erschrecken. Aber das Bewusstsein dafür, was es bedeutet, seinem Leben ein Ende gesetzt haben zu wollen, fängt nicht an einem bestimmten Geburtstag an.
Die wenigsten Menschen, die wenigsten Kinder werden selbst im Falle einer tödlichen Krankheit von diesem neuen Recht Gebrauch machen. Auch Sterbende wollen in der Regel bis zum letzten Atemzug leben. Wichtiger noch als Todkranken Sterbehilfe zu leisten, ist, alles Erdenkliche dafür zu tun, dass sie schmerzfrei, angstfrei und liebevoll begleitet den letzten Weg gehen können. Eine humane Gesellschaft ist dazu verpflichtet. Ich wünsche mir, dass das so selbstverständlich wird, dass niemand sterben möchte, nur weil er auf den letzten Metern unerträgliche Qualen leidet und allein gelassen ist.
Ein Dammbruch zur "Entsorgung" der Leidenden?
Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass es Missbrauch geben kann. Jedes Gesetz kann missbraucht werden. Deshalb ist es trotzdem gut, dass menschliches Zusammenleben und auch das Sterben nicht in gesetzlichen Grauzonen verlaufen.
Wie gesagt, ich hätte mich auch entschließen können, das neue Gesetz in Belgien entsetzlich zu finden, denn die Argumente der Gegner wiegen schwer. Ich teile die Furcht durchaus, dass das Gesetz missverstanden wird als Dammbruch hin zur "Entsorgung" von immer mehr Leidenden. Um sie den Überlebenden zu ersparen. Um im Gesundheitssystem zu sparen.
Ich hoffe aber, dass eine Gesellschaft wie die belgische – und eines nicht allzu fernen Tages vielleicht auch die deutsche – reif genug ist, mit der Bürde der neuen Freiheit sehr verantwortungsvoll und sehr sorgsam umzugehen. Sonst müsste ich es eines Tages bereuen, mich nicht dazu entschlossenen zu haben, aktive Sterbehilfe für Menschen jedes Alters doch entsetzlich zu finden.
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