Belarusischer Schriftstellerverband vor dem Aus

"Als ob man die gesamte Literatur ausradierte"

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Porträtfoto der Autorin Nina George. Sie hat blondes Haar und trägt eine rote Brille. Foto: Susannah V. Vergau/dpa
Die Schriftstellerin Nina George, Präsidentin des European Writers' Council, sorgt sich um die Kolleginnen und Kollegen in Belarus. © picture alliance / dpa / Susanne V. Vergau
Nina George im Gespräch mit Andrea Gerk · 23.08.2021
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Für Kulturschaffende in Belarus verschärft sich die Lage. So drohe etwa dem dortigen Schriftstellerverband die Auflösung durch das Lukaschenko-Regime, warnt die Schriftstellerin Nina George. Der Rest der Welt müsse dagegen halten, fordert sie.
Die Situation der Kunst- und Kulturschaffenden in Belarus wird immer besorgniserregender. Aktuell ist die Existenz des belarusischen Schriftstellerverbandes akut gefährdet, wie die deutsche Schriftstellerin Nina George berichtet. Mit der Begründung, Organisierte Kriminalität und Korruption bekämpfen zu wollen, seien etwa 1.500 Organisationen und Einzelpersonen in dem Land Zielscheibe einer "sogenannten radikalen Säuberungsaktion" der Regierung Lukaschenko geworden.
Auch der Schriftstellerverband gehöre dazu und solle aufgelöst werden. Der höchste Gerichtshof in Belarus soll am 24. August ein Urteil dazu fällen.
Viele regimekritische Journalisten, Schriftsteller,innen, Künstler und andere Intellektuelle, die sich für die Demokratie einsetzen, seien auf der Flucht in Anrainerstaaten wie die Ukraine, so George, die Präsidentin des European Writers‘ Council (EWC) ist.

Repressalien auch gegen Buchhändler und Verlage

Sie steht in regelmäßigem Kontakt mit den Verfolgten und wertet die aktuelle Entwicklung als Katastrophe: "Würde dieser Verband der belarusischen Schriftsteller, der seit 1934 existiert, nicht mehr arbeiten dürfen, nicht mehr über Literatur sprechen, keine Lesungen mehr veranstalten, keine Kinder- und Jugendförderung für Leseprogramme mehr machen, dann sähe es quasi so aus, als ob man die gesamte Literatur ausradierte. Und das lassen wir natürlich nicht zu."
Auch Verlage und Buchhandlungen, die weiterhin Bücher veröffentlichten oder verkauften, die der Regierung nicht genehm seien, sollen offenbar ausgeschaltet werden. Beispielsweise, indem Ladenmieten plötzlich verzehnfacht würden oder Verlage ihre Bücher nicht mehr in den staatlichen Druckereien drucken lassen dürften, beschreibt George die schwierige Situation in Belarus.

Humanitäre Visa für verfolgte Kulturschaffende

Der EWC fordert gemeinsam mit der Vereinigung der Europäischen Journalisten und dem Europäischen Council der Literaturübersetzer in einem offenen Aufruf an die EU-Regierungen und an die internationale Staatengemeinschaft die Unterstützung der verfolgten Kolleginnen und Kollegen: etwa durch humanitäre Visa für die Ausreise in sichere Länder oder durch gezielte Stipendien für verfolgte Autorinnen und Autoren.
"Und drittens: Lasst uns versuchen, eine Art Funding zu schaffen, um den Organisationen auch außerhalb ihres Landes eine Restrukturierung, eine Reetablierung zu gewähren."

Richter an Menschenrechte erinnern

Zudem müsse der Gerichtshof in Belarus nachdrücklich daran erinnert werden, dass auch die belarusische Regierung Verträge unterschrieben habe und damit die Verpflichtung eingegangen sei, Menschenrechtskonventionen einzuhalten.
"Die freie Presse Europas hat zurzeit eine hochbesondere Aufgabe: Die Informationen, den Blick zu lenken und nachzufragen, ist das, was die freie Presse tun kann", betont Nina George.
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