"Einfach den Attentäter als IS-zugehörigen Soldaten definiert"
Der "Islamische Staat" hat den Anschlag in Berlin für sich reklamiert. Der Wiener Wissenschaftler Nico Prucha hält es für authentisch: "Es wäre für den IS fatal, wenn rauskäme, dass der Anschlag nicht von einem seiner Anhänger oder Mitglieder verübt worden wäre."
André Hatting: Zwei Tage nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt wissen wir zwar sehr viel über die Tat, aber wenig bis nichts über den oder die Täter. Was war das Motiv, welchen Hintergrund gibt es? Der sogenannte Islamische Staat, der hat darauf schon eine Antwort parat: Die islamistische Terrorgruppe hat ein Bekennerschreiben veröffentlich, genauer gesagt gepostet auf "Amak", das ist so etwas wie das Sprachrohr des IS. Es nutzt den Dienst Telegram – der ist, anders als WhatsApp, anonym. Nun ist es typisch für den IS, nach Attentaten schnell den Finger zu heben, also stellt sich die Frage, wie authentisch ist dieses Bekenntnis. Nico Prucha von der Universität Wien forscht seit zwölf Jahren zur Propaganda im Internet. Ich grüße Sie, Herr Prucha!
Nico Prucha: Guten Tag, hallo, Herr Hatting!
Hatting: Wie schätzen Sie das ein, was "Amak" nach dem Anschlag in Berlin verbreitet hat?
Prucha: Das ist schon ein klares, authentisches Bekennerschreiben von "Amak". Das Bekennerschreiben wurde ein Tag nach dem Anschlag veröffentlicht und ist ein ganz knappes Bekennerschreiben, was ganz kurz ausfällt, und einfach den Attentäter als IS-zugehörigen Soldaten definiert, der, dem Aufruf von al-Adnani vor ein paar Jahren folgend, nun quasi zur Tat geschritten ist in Deutschland, das ja Teil der Anti-IS-Koalition ist.
Hatting: Was macht Sie sicher, dass das authentisch ist, dass das wirklich so ist, dass der Attentäter im Namen und Auftrag des IS gearbeitet hat?
Sich wiederholende Muster
Prucha: Natürlich kann ich das nicht mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sagen. Wir haben aber hier ein Muster, was sich immer wieder wiederholt. Wir haben quasi ein Attentat in Karak gehabt, in Jordanien, wo dann ebenfalls ein Tag später eine entsprechende "Amak"-Meldung veröffentlicht wurde.
Und die Netzwerke auf "Telegram" dort haben regelrecht auf eine offizielle Medienstellungnahme des selbsternannten Islamischen Staates gewartet, wo die Sympathisanten dem "Staat", wie er sich selber bezeichnet, dadurch eine ganz klare Macht auch zusprechen. Bekennt er sich, und wenn ja, dann wäre es für den IS fatal, wenn rauskäme, dass eben der Anschlag nicht von einem seiner Anhänger oder Mitglieder verübt worden wäre.
Hatting: Wie kann man denn generell unterscheiden, ob das Bekenntnis zu einer Tat wirklich echt ist oder nicht? Die Ermittlungsbehörden tun das ja regelmäßig.
Prucha: Also, ich meine, wir haben eine Riesenflut an Daten allgemein vom IS, anders als bei Al-Qaida. Wir haben einerseits eine regelrechte Schwemme an Videos und andererseits haben wir die Texte, und "Amak" schwimmt in diesem Ökosystem mit, wo sie kurze, knappe Bekennerschreiben meistens in Form eines Jpg-Bildes entsprechend veröffentlichen.
Und die überwiegende Mehrheit aller Daten von sunnitisch-extremistischen Organisationen ist auf Arabisch, und wenn Sie sich im Arabischen auskennen und sich in den theologischen Bereichen entsprechend einlesen, dann finden Sie immer wieder ähnliche bis gleiche Konzepte und Schlüsselbegriffe, und diese Schlüsselbegriffe verwendet eben der IS auch sehr effizient, um damit eine ganz klare kohärente Botschaft auszustrahlen.
Also in dem Bekennerschreiben zu Berlin zum Beispiel genügt ein Wort, wo dann für die Anhänger und diejenigen, die sich in diesem Bereich bewegen, klar ist, dass das quasi die Ausführung des Befehles von al-Adnani ist.
Hatting: Herr Prucha, Sie selbst sprechen auch Arabisch, Sie durchpflügen als Wissenschaftler seit Jahren das Netz nach islamistischer Propaganda. Erklären Sie uns, wie genau funktioniert dieses "Amak"?
"Amak" als semi-offizielles Sprachrohr des IS
Prucha: "Amak" hat sich quasi etabliert so als Sympathisantengruppe innerhalb des Kalifates. Also wir hatten vor drei, vier Jahren immer wieder kurze Videos – zwei, drei Minuten lang –, wo einfach Medienaktivisten von "Amak" gemeinsam mit IS-Kämpfern in Syrien und im Irak einfach kurze Clips hergestellt haben, zum Beispiel kurze Feuergefechte werden dokumentiert oder Fassbomben, die abgeworfen werden, und dergleichen mehr.
Damals wurde "Amak" immer so als semi-offizielles Medium geführt, und in den letzten zwei Jahren ungefähr hat sich einfach diese Medienabteilung als offizielles, staatliches Sprachrohr etabliert, das eben einerseits kurze Bekennerschreiben veröffentlicht, aber nach wie vor ungefähr ein gutes Dutzend Videos pro Tag veröffentlicht. Jetzt zum Beispiel ganz stark aus Mossul oder anderen Bereichen, wo eben gerade ein militärischer Fokus gesetzt ist.
Das gibt "Amak" allein deswegen so eine ziemliche Bedeutung, weil sie beweisen durch ihre Inhalte, dass sie vor Ort sind, und dass sie dann dementsprechend in ihren Videos Kämpfe und sonstige IS-Aktionen einfach bewerben.
Hatting: Die Geräusche, die Sie jetzt hören, das ist nicht etwa eine Störung in der Leitung, das ist der Sohn von Herrn Prucha, also nicht, dass Sie sich jetzt wundern. Der ist, glaube ich, gerade aufgewacht. Herr Prucha, dass wir jetzt wieder über "Amak" im Zusammenhang mit dem Anschlag in Berlin sprechen: arbeitet das dem IS zu?
Prucha: Ja, auf jeden Fall. Ich meine, jedes Medium möchte natürlich gesehen und ernst genommen werden. Wir haben, wenn Sie sich die arabischen Mainstream-Medien mal durchlesen, mittlerweile stützen sich viele seriöse arabische Medien durchaus auf "Amak", weil sie selber keinen Zugang haben zu gewissen Gebieten und Bereichen in Syrien und im Irak, und "Amak" fühlt sich natürlich als sogenanntes staatliches Medium dann dementsprechend ernst genommen, wenn es von diversen europäischen Medien dementsprechend angeführt wird.
IS überschwemmt das Netz mit Videos
Hatting: Sie haben 2014 mal gesagt, die Gegenseite müsste ebenso intensiv zusammenarbeiten, um den Grad der Verbreitung effektiv einzudämmen. Warum ist das in den letzten zwei Jahren nicht gelungen?
Prucha: Weil wir einerseits, wie gesagt, eine immense Qualität der Materialien haben und dann eben die immense Quantität. Also wir haben in circa drei Jahren 2000 Videos vom IS gesammelt, die allesamt von diversen IS-Provinzen stammen, die ganzen "Amak"-Filme nicht mitgerechnet, und jedes dieser 2000 Videos hat einfach eine hochgradig professionelle Beschaffenheit, also Full-HD, 12:9, und genauso effizient und kohärent werden dann eben die Inhalte mitgetragen.
Und im Internet haben sie einfach ganz viele Netzwerke auf diversen Sprachen, vor allem Arabisch, die einfach sich als Fankultur von diesen Inhalten verstehen, und solange wir die Inhalte vom IS nicht ernst nehmen und auch nicht entsprechend uns damit auseinandersetzen, wird sich daran nichts ändern, fürchte ich.
Hatting: Nico Prucha von der Universität Wien, Experte für islamistische Propaganda in Sozialen Netzwerken. Ich habe mit ihm über das Bekennerschreiben des sogenannten IS zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt gesprochen. Vielen Dank, Herr Prucha!
Prucha: Vielen Dank, danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.