Beiträge zur Humanisierung der Welt

Von Rainer Kampling · 19.02.2012
Die Arbeiten von Hans Joas zur Wertedebatte haben schon lange den akademischen Raum überschritten und sind in Politik und gesellschaftlicher Diskussion auch dort gegenwärtig, wo um ihren Ursprung nicht mehr gewusst wird. Joas gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Denkern.
Das nun vorliegende Buch zur Genealogie der Menschenrechte bildet zwar nicht den Endpunkt, aber doch einen Höhepunkt seiner Beiträge zu einer Humanisierung von Gesellschaft und Welt. Und da Hans Joas ein Aufklärer ist, der sich auch nicht scheut, die Mythen der Aufklärung zu befragen, darf man gewiss sein, dass es für heftige Debatten sorgen wird. Aber genau das spricht für seine Bedeutung.

Trotz mancher sehr spezieller Fachbegriffe ist es ein intellektuelles Vergnügen, das Buch zu lesen. Und Langeweile ist ihm gänzlich fremd.

Eine besondere Qualität besteht darin, dass die Leser an keiner Stelle über die Intention und Absicht des Autors im Unklaren gelassen werden. Diese fast selbstanalytische Form des Schreibens ermöglicht einerseits Hans Joas, Kritik zu entkräften, andererseits dem Leser, in der Fülle von historischem, philosophischem und soziologischem Material nicht den Überblick zu verlieren.

Der Materialreichtum des Buches erklärt sich unschwer aus dem Anliegen des Autors. Er will in eine Kontroverse über die Herkunft oder Genealogie der Menschenrechte eingreifen, die zwischen denen geführt wird, die einen säkularen Ursprung annehmen, und jenen, die die Menschenrechte als Frucht der Religion betrachten.

Mit wenigen, aber sehr überzeugenden Anfragen an die Vertreter beider Positionen zeigt Hans Joas auf, welche Opfer an intellektueller Redlichkeit man bringen muss, um die jeweiligen Konzepte zu behaupten. Er dagegen will einen dritten Weg aus diesem Disput weisen.

"Die Botschaft dieses Buches lautet, dass es eine fundamentale Alternative zu dieser ganzen Gemengelage von Narrativen gibt. Das Stichwort für diese Alternative ist das Wort von Sakralität, Heiligkeit.

Ich schlage vor, den Glauben an die Menschenrechte und die universale Menschenwürde als das Ergebnis eines spezifischen Sakralisierungsprozesses aufzufassen - eines Prozesses, in dem jedes einzelne menschliche Wesen mehr und mehr und in immer stärker motivierender und sensibilisierender Weise als heilig angesehen und dieses Verständnis im Recht institutionalisiert wurde. Schlüsselgedanke dieses Buches ist also, dass die Geschichte der Menschenrechte eine solche Sakralisierungsgeschichte sei, und zwar eine Geschichte der Sakralisierung der Person."

Es lohnt sich, auf die Begrifflichkeit zu achten. Das Wort von der "Botschaft dieses Buches" und das vom "Glauben an die Menschenrechte" verweisen auf ein Grundanliegen. Das Buch will durchaus einen Beitrag zur Begründung der universalen Geltung der Menschenrechte leisten, und zwar ohne sich auf eine alleinige normative Instanz zu berufen. Zugleich wird daran erinnert, dass Hans Joas ein gewisses Misstrauen gegen bestimmte Argumentationsfiguren hegt.

"Wenn die Bindung an Werte nicht aus rationalen Erwägungen erwächst, können rein rationale Argumentationen zwar vielleicht Wertbindungen verunsichern oder zur Umdeutung existierender Selbst- und Weltbilder Anlass geben, aber sie können eben nicht selbst die Kraft erzeugen, die in Wertbindungen steckt."

Der von ihm favorisierte Begriff der Sakralität der Person ermöglicht eine andere Sicht auf das Werden und die Begründung der Menschenrechte, die sie aus einer historischen oder kulturellen Engführung befreien.

Die begründende Darstellung seines Ansatzes vollzieht Hans Joas in mehreren Schritten. Zunächst zeichnet er die Kontexte im späten 18. Jahrhundert nach, in denen die Menschenrechte proklamiert wurden, also der amerikanischen und französischen Revolutionen. Ihm gelingt dabei der Nachweis, dass der Einfluss religiösen Gedankengutes, insbesondere in Amerika, doch wohl bedeutend wirksamer war, als manche andere Erklärungen nahe legen.

Wohlgemerkt geht es ihm dabei nicht um die Behauptung eines einzigen und alleinigen religiösen Moments, sondern um den Aufweis eines konsensualen Zusammenspiels verschiedener Positionen, das dann das Ergebnis hervorbrachte. Von einer Monopolisierung der Menschenrechte kann daher nicht gesprochen werden.

Der unverkennbare Subtext des Buches ist die hohe Wertschätzung der Menschenrechte als unaufgebbare Errungenschaft zur Bejahung des einzelnen Menschen in seinen je verschiedenen Kontexten. Indem ihr Werden in einer Vielfalt verschiedener Motive aufgezeigt wird, können die Menschenrechte universale Geltung beanspruchen, da sie nicht als Produkt einzelner Religionen, Philosophien oder Geografien angesehen werden müssen.

Aus der Genealogie der Menschenrechte kann eine Zustimmung zu ihnen erwachsen, wenn man in ihr die Möglichkeiten wahrnimmt, die je eigenen Traditionen und Überzeugungen neu zu befragen. Damit ist die Arbeit an den Menschenrechten nicht abgeschlossen, sondern in einem stetigen Prozess.

Hans Joas hat mit seinem Buch die Möglichkeit eröffnet, über die universale Geltung der Menschenrechte aufs Neue nachzudenken und zu diskutieren. Gewiss verlangt er, dass man sich von manchen lieb gewordenen Legenden verabschiedet und die fruchtlosen Debatten über das Urheberrecht an den Menschenrechten aufgibt. Er zeigt aber allemal, dass das Erreichte den Verzicht darauf wert ist. Hans Joas hat ein großes Buch geschrieben, nicht zuletzt, weil es ein menschenfreundlich ist.

Hans Joas: Die Sakralität der Person
Eine neue Genealogie der Menschenrechte
Suhrkamp Verlag Berlin, 2011
Buchcover "Die Sakralität der Person"
Buchcover "Die Sakralität der Person"© Suhrkamp Verlag
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