Bundesrepublik und China

Beziehung mit Startschwierigkeiten

08:30 Minuten
Eine Limousine mit den Standarten der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China auf dem Flughafen von Peking 1972.
Außenminister Walter Scheel besucht 1972 erstmals China: Der Aufnahme diplomatischer Beziehungen folgten bald Wirtschaftsabkommen. © picture-alliance / dpa / Alfred Hennig
Von Bert-Oliver Manig · 12.10.2022
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Vor 50 Jahren nahm die Bundesrepublik diplomatische Kontakte mit China auf. Nicht ohne große Kontroversen zuvor: Denn die Regierung Brandt fürchtete, die Sowjetunion mit diesem Schritt zu brüskieren.
Kein Land hat in den letzten Jahrzehnten so vom Handel mit China profitiert wie Deutschland. Deutsche Exporteure konnten sich auf den Flankenschutz der Politik verlassen. Das war nicht immer so. Trotz Drängen der Industrie hatte die Bundesrepublik bis Anfang der 1970er-Jahre keine offiziellen Beziehungen mit der kommunistischen Volksrepublik China aufgenommen.
Doch dann drehte der weltpolitische Wind: In einer spektakulären Kehre leiteten die USA im Sommer 1971 die Hinwendung zur Volksrepublik China ein. Präsident Richard Nixon besuchte schon ein halbes Jahr später Peking. Auch Japan beeilte sich nun um die Bereinigung seiner Beziehungen zu Peking.

Bundesregierung ignorierte neue Entwicklung

Überraschenderweise ignorierte die sozialliberale Bundesregierung in Bonn den Gezeitenwechsel in Ostasien. Sie sah darin eine Gefährdung ihrer Entspannungspolitik in Europa.
Um bei der sowjetischen Führung in Moskau, die mit den chinesischen Kommunisten verfeindet war, nicht in den Verdacht der Doppelbödigkeit zu kommen, legte sich Bundeskanzler Willy Brandt bei seinem Treffen mit Leonid Breschnew auf der Krim im September 1971 ohne Not fest, in absehbarer Zukunft keine diplomatischen Beziehungen mit Peking anzubahnen.
Obwohl die Berufsdiplomaten im Auswärtigen Amt über diese Selbstfesselung unglücklich waren, folgte FDP-Außenminister Walter Scheel der Linie des Kanzleramts.
Männer in Anzügen sitzen um einen Tisch und essen mit Stäbchen.
US-Präsident Richard Nixon während eines Banketts in der Großen Halle des Volkes in Peking 1971.© picture alliance / Everett Collection
Als die oppositionelle CDU am 21. Februar 1972 aus Anlass von Nixons China-Reise die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Volksrepublik China forderte, hielt der Bundeskanzler dagegen.
„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein europäischer Staat. Hier in Europa entscheidet sich unser Schicksal zusammen mit dem unserer Verbündeten im Verhältnis zu den Staaten Osteuropas und der Sowjetunion“, sagte er. „Ich möchte vor der Illusion warnen, auf Wunder irgendwelcher Art zu setzen. Für unsere Probleme, die hier zu lösen sind, gibt es keine Wunderwaffen – auch China ist keine!“

China als Bühne für die deutsche Opposition

Brandts Misstrauen in die Motive der deutschen China-Enthusiasten war stark. Er übersah, dass liberale CDU-Politiker wie Richard von Weizsäcker nicht aus antisowjetischen Motiven für eine aktive Chinapolitik plädierten, sondern dafür bessere Argumente hatten.
„Wir müssen davon ausgehen, dass sich innerhalb von zehn Jahren das Schwergewicht der Welt- und Handelspolitik in den Pazifik verlagert, wo sich die vier Weltmächte USA, Japan, Sowjetunion und China begegnen“, so Weizsäcker. „Die CDU wird sorgfältig beobachten, ob die Regierung in missverstandener Bemühung um Moskau hier Interessen vernachlässigt!“
Die Passivität der Regierung verschaffte der Opposition bald eine einmalige Gelegenheit, aktiv in die Außenpolitik einzugreifen. Peking lud nämlich den CDU-Politiker Gerhard Schröder in seiner Funktion als Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages nach China ein.

Großes Interesse der Medien

So musste die Regierung im Juli 1972 mit ansehen, wie der hoch angesehene Ex-Außenminister sich im Reich der Mitte als vorurteilsloser Staatsmann profilierte, der sich glänzend mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai verstand.
„Was mich selbst anlangt, bin ich von tiefer Bewunderung dafür erfüllt, dass ein Land wie dieses sich so stark auf den Gedanken der Unabhängigkeit, der Selbständigkeit und auf das Vertrauen zur eigenen Kraft gestützt hat und weiter stützen will“, sagte Schröder bei seinem Besuch.
„Ich glaube, wir können mit Zuversicht sagen, dass unsere Reise dazu beitragen wird, die Bande zwischen China und Deutschland zu verstärken und weiterzuentwickeln.“
Im Sommerloch war das Interesse der deutschen Medien groß. 30 Reporter waren mitgereist. Nun zeichneten sie das Bild einer selbstbewussten chinesischen Nation mit riesigem wirtschaftlichem Potenzial. Auch Schröder selbst wusste nur Gutes aus China zu berichten, ob es um Errungenschaften der Akkupunktur-Medizin, vorbildlich patriotische Armeesoldaten oder moderne Industrieanlagen ging.

Menschenrechtsfragen nicht angesprochen

Über Menschenrechtsfragen oder das Tibet-Problem ging er hinweg. Stattdessen plädierte er vorbehaltslos für normale Beziehungen mit Peking: „Wir brauchen diplomatische Beziehungen mit Peking, wie sie London, Paris, Rom haben und wie sie Washington und Tokio anstreben“, betonte er.
Mit dem chinesischen Vize-Außenminister unterzeichnete Schröder ein Kommuniqué, in dem der beiderseitige Wunsch nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen festgehalten wurde. Einige im Bonner Regierungslager brachte das in Rage.
Außenminister Scheel warnte intern vor Tricksereien der Chinesen und der Publizist Peter Bender, ein Vordenker der Entspannungspolitik, warf Schröder in der SPD-nahen Presse vor, der deutschen Außenpolitik in den Rücken gefallen zu sein.

Umlenken der Bundesregierung

Aber die Regierung begriff nun doch ziemlich schnell, dass sie einlenken musste, wollte sie nicht im bevorstehenden Bundestagswahlkampf als Pudel Moskaus dastehen. Als erstes Signal lud man im allerletzten Augenblick chinesische Beobachter zu den Olympischen Sommerspielen nach München ein. Außenminister Scheel signalisierte seine Bereitschaft, kurzfristig nach Peking zu kommen und dort die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu vereinbaren.
Die Chinesen waren zufrieden und stellten keine Bedingungen – auch in der Taiwan-Frage waren sie sehr entspannt und beschwerten sich nicht einmal über die alten Wehrmachtsgeneräle, die der BND dort als Militärberater untergebracht hatte.

Handelsabkommen mit China

Am 10. Oktober 1972 reiste Scheel nach Peking, um dort schon am nächsten Tag ein Kommuniqué über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu unterzeichnen. Etwas schamlos überging der Außenminister die Verdienste der CDU-Opposition.
„Wir haben einen gründlichen Meinungsaustausch gehabt, einen angenehmen Meinungsaustausch. Jeder weiß jetzt, wo der andere steht und welche Auffassungen von den weltpolitischen Problemen der Partner hat“, sagte Scheel auf seiner Reise.
„Es ist deutlich geworden, dass die jetzt erreichten Beziehungen zu Peking eine konsequente Fortsetzung unserer Entspannungspolitik sind. Diese Politik hat es ermöglicht, dass wir diesen Schritt in die Weltpolitik getan haben.“
Bundesaussenminister Walter Scheel (FDP) benutzt zum Essen während seines China-Besuchs 1972 die landesüblichen Stäbchen.
Gekonnt: Bundesaussenminister Walter Scheel (FDP) benutzt zum Essen die landesüblichen Stäbchen.© picture-alliance / dpa / Heinrich Sanden
Gleich an Ort und Stelle betätigte sich Scheel als Lobbyist deutscher Industrieinteressen und warb für den Fernsehstandard PAL-Color. Noch vor dem Jahresende wurde ein Handelsabkommen mit Peking geschlossen, gerade noch rechtzeitig, bevor diese Kompetenz am 1. Januar 1973 auf die EWG überging.
1974 fand die erste deutsche Industriemesse in Shanghai statt, im Jahr darauf besuchte mit dem Sozialdemokraten Helmut Schmidt erstmals ein deutscher Regierungschef die Volksrepublik. Da war schon fast vergessen, dass die deutsche China-Politik einmal kontrovers gewesen war.
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