Befreiung und Repression

Von Joachanan Shelliem · 04.06.2007
40 Jahre nach Beginn des Sechs-Tage-Krieges ist die Militäraktion in Israel nicht unumstritten: Viele sehen darin einen Akt der Befreiung, Intellektuelle und Wissenschaftler hingegen wettern gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete und sehen in dem Krieg den Ursprung heutiger Konflikte.
Als unser feuchter Keller im letzten Sommer ausgeräumt werden musste , um frisch verputzt zu werden, habe ich ihn nach vierzig Jahren wieder gesehen, den Kleiderschrank aus meinem Jugendzimmer. Nussbaumfurnier, zwei Meter breit, die drei Türen verglast. Aus dem mannshohen Rahmen strahlte Moshe Dayan mit seiner schwarzen Augenbinde vor der Klagemauer, Lachfalten um das Auge, das ihm geblieben war, den rundem Kampfhelm auf dem Kopf. Elan geladen, wie am sechsten Tag des Kriegs vor vierzig Jahren. Er war der Held, unser Idol, Befreier und Befrieder.

Die Bilder von Jerusalem, der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel - Jerushalaim shel zahav - all das stand für die Mutter aller Siege. Drei Fallschirmjäger vor der Klagemauer. Verdreckt, erschöpft. Sie strahlen auch. Wer strahlte nicht an diesem Tag. Wir hatten es geschafft. Nie wieder Krieg, versprach der Sieg. Meir Shalev war damals noch Kibbuzmitglied, noch nicht hoch dekorierter Romancier.

Meir Shalev: "Damals bin ich 19 Jahre alt gewesen. Ich war Soldat und kämpfte auf den Höhen des Golan. Wir hatten wenig Feindkontakt, die Syrer waren Wochen zuvor geflohen, doch als ich nach Jerusalem gekommen bin, sagte ich mir und später meinem Vater, und ich erinnere mich an diesen Satz, weil der ihn sehr geärgert hat, wortwörtlich. 'Wir haben uns da etwas abgebissen', sagte ich ihm, 'an dem wir noch ersticken werden'."

Meir Shalev war damals nicht allein, wenn auch nur wenige die Feier trüben wollten. Der weise, orthodoxe Jeshayahu Leibovitz, Biologe und Philosoph, den ich Jahrzehnte später in seiner dunklen Wohnung traf, geboren 1903, gestorben 1994 in Jerusalem, warnte vor den Folgen der Besatzung. Er, dem die beiden Weltkriege in Deutschland gegenwärtig waren, er der in Königsberg und Heidelberg promoviert hatte, vor und zwischen den Weltkriegen, der 1934 eingewandert war nach Palästina, sah in der okkupierten Westbank Konzentrationslager entstehen. Ein Staat, der eine feindselige Bevölkerung von 1,5 bis 2 Millionen Fremden regiere - so Leibovitz -, würde sich zu einem Geheimdienst-Staat entwickeln, mit all den Konsequenzen für den Geist von Erziehung und Bildung, für die Rede- und Meinungsfreiheit und die Demokratie.

Kurze Zeit später wetterte auch Amos Oz in politischen Artikeln gegen die neu aufgekommene Wortschöpfung Territorien. Israelische Zeitungen wollten in den Siebzigern nicht von Besatzung sprechen und wenn doch jenseits der grünen Linie etwas geschah, also jenseits der Staatsgrenze von 1948, geschah das in "den Territorien", in einem geistig entlegenen Bantustan.

Efraim Nissan, die Hauptfigur in Amos Oz Roman Der Dritte Zustand, für den er 1992 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat, wettert sich durch das ganze Buch. Täglich würden Menschen ermordet, schimpft er, und zwar Israelis und Araber, der Politik fehle jede Moral und die Besetzung der arabischen Gebiete nach dem Sechstagekrieg habe den israelischen Staat und seine Bewohner ruiniert.

Amos Oz war nicht der einzige Autor im Lande der Propheten, auf den man lang nicht hörten wollte. Friendly Fire heißt der vor wenigen Wochen erschienene neue Roman des kämpferischen Abraham Jehoschua. Der Euphemismus friendly fire bezeichnet den versehentlichen Beschuss durch die eigenen Soldaten und in seinem in Israel dieser Tage veröffentlichten Roman geht es um einen Sohn der Protagonisten, der in den besetzten Gebieten versehentlich von einem Kameraden erschossen wird. Jetzt ist er nicht mehr wütend. Verzweiflung beschleicht die Protagonisten in seinem neuen Buch.

Jehoschua: "Meine Ansichten den besetzten Gebieten gegenüber sind bekannt. Was jedoch meinen neuen Roman durchzieht, ist eine Art stiller Verzweiflung gegenüber dem Verhalten der Palästinenser. Das ist eine neue Nuance in meinem Werk."

Diese breite Straße nach Ost-Jerusalem, erklärt mir ein Veteran, der sich mit Kameraden zum jährlichen Gedenken ihres Sieges im Sechs Tage Krieg am Mahnmal für die Gefallenen versammelt hat, diese Ausfallstraße wurde vor vierzig Jahren auf dem Niemandsland gebaut, das sich zwischen Jordanien und Israel durch die Westbank gezogen hat.

Aus meiner Einheit haben sich Vertreter aller politischen Richtungen entwickelt, unserer Brigade gehörte der heutige Siedlerführer Hanan Poraf genauso an wie Linke, die die Westbank lieber heute als morgen räumen würden.

Während das Fernsehprogramm derzeit in Israel von großflächigen Dokumentationen dominiert wird, in denen siegreiche Soldaten über den Bildschirm laufen, als sei das Militär nach wie vor der Schmelztiegel der Nation, wettern Autoren, Wissenschaftler und Intellektuelle gegen die Folgen der Okkupation. Die Solidarität der Jugendlichen ist mittlerweile weg gebrochen. Ein Viertel jedes Jahrgangs geht nicht zum Militär und den Rekruten selbst schlägt die Besatzung hart aufs Gemüt. Der Wehrdienstverweigerer Haggai Matar berichtet von Zahlen, die ihm auf Anfrage vom Sprecher der Armee zugestellt worden sind.

Haggai Matar: "Wenn man vom Libanon Krieg im letzten Sommer absieht und die Zahlen der Jahre 2000 bis 2006 oder 2007 zu Rate zieht, sieht man, dass mehr Soldaten während ihrer Wehrpflicht durch Selbstmord umgekommen sind, als durch Unfälle, Krankheiten und die Palästinenser."

Raben heißt der im Frühling erschienene Roman der israelischen Schriftstellerin Avirama Golan, in dem sie die Verwerfung der israelischen Gesellschaft als eine schmerzhafte Paranoia zwischen neurotischen Frauen skizziert. Wir opfern unsere Kinder, sagt sie, für den Erhalt unserer Gegenwart. Wie fasste es Meir Shalev ?

Meir Shalev: "Meine Kinder, die vor fünf Jahren ihren Wehrdienst geleistet haben, sind nicht mit demselben Enthusiasmus zum Militär gegangen, wie ich es 1966 tat. Damals hatten wir alle das Gefühl, das Vaterland zu verteidigen. Wir haben uns von feindlichen Staaten umringt gefühlt. Die Jugend heutzutage fühlt sich eher missbraucht, sie muss für eine Politik geradestehen, die nicht sie nicht teilt."
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