Architects for Future

Auf Nachhaltigkeit bauen

29:44 Minuten
Tiny houses in den Niederlanden. Viel Holz statt Beton.
Holz statt Beton, so lässt sich umweltfreundlicher bauen. © picture alliance / Zoonar / Hilda Weges
Michael Wicke im Gespräch mit Annette Riedel · 29.01.2022
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Der Bau und die Nutzung von Gebäuden machen rund 40 Prozent aller CO2-Emissionen aus. Deshalb sieht der Ingenieur Michael Wicke hier einen großen Hebel, um die Klimaziele zu erreichen. Er fordert die Bauwende. Und zwar jetzt.
Klimaschutz: Im Bausektor bewegt sich seit langer Zeit zu wenig, obwohl hier ein Vielfaches der im Flugverkehr erzeugten Treibhausgase produziert wird. Diese Ansicht vertritt Michael Wicke. Er arbeitet als Architekt und engagiert sich bei den Klima-Aktivisten Architects for Future. Diese solidarisieren sich mit Fridays for Future und wollen mithelfen, die Klimakrise abzuwenden.
Da Gebäuden eine Schlüsselfunktion beim klimaschonenden Umbau unserer Gesellschaft zukomme, müsse dieser Bereich stärker beleuchtet werden, sagt Wicke. Dass es nach über 20 Jahren wieder ein eigenständiges Bau-Ministerium gibt, sieht er als Signal, dass das Thema ernsthaft angegangen werden soll.
Eine der dringlichsten Maßnahmen sei, so Wicke, eine umfassende CO2-Bepreisung umzusetzen, die dann klimaschädliche Materialien gegenüber regenerierbaren verteuern würde. Mindestens genauso wichtig sei aber, bei der Bewertung der Klimafreundlichkeit von Gebäuden auch die sogenannte "graue Energie" miteinzubeziehen.

Emissionen des ganzen Lebenszyklus bilanzieren

Der Hebel, sagt Michael Wicke, sei nicht nur eine bessere Wärmedämmung, der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien und größere Energieeffizienz. Denn der Energiebedarf und damit CO2-Emissionen entstünden schon lange vor der ersten Nutzung eines Hauses. Um zu bewerten, wie ökologisch ein Gebäude wirklich sei, reiche es nicht, nur auf Beheizung und Warmwasser zu schauen. Man brauche eine "Lebenszyklusanalyse".
Das müsse bei Abbau, Bearbeitung und Transport von Materialien beginnen, den eigentlichen Bauprozess berücksichtigen und dann den Energieverbrauch bei der Nutzung. Auch Abriss oder Rückbau müssten von vornherein mitgedacht werden.
Beton sei als Material beispielsweise besonders klima- und umweltschädlich. Bei der Herstellung würden enorme mineralische Ressourcen wie Sand oder Kies verbraucht und es entstünde "wahnsinnig viel" CO2. Gäbe es also eine CO2-Bepreisung, die den tatsächlichen Folgekosten durch die Emissionen bei der Materialproduktion entspräche, würde Beton ein deutlich teurerer Baustoff - und andere, umweltfreundlichere Materialien würden entsprechend wettbewerbsfähiger.

Nachhaltigkeit beim Bauen

Architekten hätten es in der Hand, im Gebäudebau auf "bis zu 80 Prozent Beton" zu verzichten, dessen Klimabilanz ausgesprochen negativ ist. Das Kriterium Nachhaltigkeit müsse beim Bauen "mindestens genauso wichtig" werden wie das Kriterium der Wirtschaftlichkeit.
Klimaneutrales Bauen sei möglich, ist Ingenieur Wicke überzeugt. Ein wesentlicher Faktor sei dabei die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, Stroh und Gras. Beispielprojekte zeigten, dass Häuser sogar "klimapositiv" gebaut werden könnten. Besonders Holz sei ein geeignetes Baumaterial, vorausgesetzt, es komme aus nachhaltiger Forstwirtschaft und aus der jeweiligen Region.
Es gehe der Architects for Future-Bewegung aber nicht nur um eine "einfache Materialwende, zum Beispiel von Beton zu Holz", betont Wicke. Damit erreiche man noch keine Bauwende. Der Bestand müsse energetisch saniert und "möglichst lange" weiter genutzt werden.

Sanierung in jedem Fall vor Abriss

Abriss sollte ohne Genehmigung nicht mehr erlaubt und Leerstand als Zweckentfremdung verboten werden, fordert er. Eine energetische Sanierung sei selbst dem energieeffizientesten Neubau vorzuziehen.
Vor diesem Hintergrund sei das abrupte Aus der Förderprogramme des Bundes für Sanierung und Neubau mit Blick auf die Einsparung von Energie "wahnsinnig schädlich", so Wicke. Richtig sei aber, dass die Programme zielgenauer werden müssten. Es mache wenig Sinn zu fördern, was sich bereits als Standard durchgesetzt habe.
Die Architects for Future positionierten sich nicht grundsätzlich gegen das derzeit viel diskutierte serielle oder modulare Bauen aus Kostengründen, sagt Wicke. Das bedeute nicht die Wiederkehr der Platte. Es komme vielmehr auf die verwendeten Materialien an. Auch für das serienmäßige Vorfertigen einzelner Bauteile eigne sich Holz gut.
In jedem Falle müsse es darum gehen, dass im Sinne der Kreislaufwirtschaft möglichst wenig Abfall entstehe und dass auch im Falle eines Abrisses Bauteile, Treppen etwa, wiederverwendet würden. Die Thematik des klimaneutralen Bauens gehöre zudem verpflichtend in jedes Architektur-Studium. "Wir finden, dass das essenziell ist", sagt Wicke.

Der Diplomingenieur Michael Wicke ist Research Assistant im Projekt Wissenschaftsarchitektur – Laboratory of Knowledge Architecture der Technischen Universität Dresden. Bei der Bewegung Architects for Future ist er Co-Koordinator für Bauen im Bestand.

(AnRi)
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