Bauhaus und documenta

Zwei deutsche Kulturmarken, die Emanzipation versprachen

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Das Bild zeigt eine Collage, auf der ein Bauhaus-Klassiker, die Wagenfeld-Lampe, zu sehen ist.
Collage mit einem Bauhaus-Klassiker, der Wagenfeld-Lampe. © Carl Eberth / Documenta-Archiv
Von Rudolf Schmitz · 24.05.2019
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Das Bauhaus und die documenta haben viel gemeinsam, denn beide stehen für das liberale, weltoffene Deutschland. Das ist die These der Ausstellung "Vision und Marke" in der Neuen Galerie Kassel. Dabei kommt es zu einer verblüffenden Perspektive.
"Der Ausgangspunkt ist erst mal ganz schlicht", sagt Kurator Philipp Oswalt. "Wir haben es beim Bauhaus und der documenta mit zwei sehr bekannten Kulturmarken zu tun, die global bekannt sind und für ein liberales, modernes, innovatives, weltoffenes Deutschland stehen. Und deswegen auch von der Kulturpolitik durchaus gerne bedient werden. Und die eben auch ein Emanzipationsversprechen haben."

Pathos trifft auf Nüchternheit

Philipp Oswalt steht im Eingangskorridor der Ausstellung. Zwei gläserne Bildwände links und rechts zeigen Fotografien von den Ursprungsmomenten der Kunst, mit denen Arnold Bode die Besucher der ersten documenta empfing. Auf einem Podest dann der berühmte Stahlrohr-Breuer-Sessel und die ebenfalls ikonische Wagenfeld-Lampe.
Pathos trifft auf Nüchternheit, Menschheitsgeschichte auf Marke. Das ist das Spannungsfeld dieser vergleichenden Schau. documenta-Gründer Arnold Bode hatte die Ruine des Museum Fridericianum auf minimalistisch improvisierte Weise zum Schauplatz der modernen Kunst gemacht. Das sollte den Nachkriegsdeutschen die Rückeroberung von Zivilisation und Kultur erlauben.
"Man will in die Gesellschaft hineinwirken", sagt Oswalt. "Es gibt in den 20er-Jahren eine unglaubliche Produktion der Avantgarde, nicht nur vom Bauhaus, der Wohnerziehung. Den Leuten zu erzählen, wie soll man, der moderne Mensch, wohnen. Bei der Documenta ist es tatsächlich so, dass schon bei Bode, von Anfang an, das Machen der Ausstellung, das Kuratieren, die Ausstellungsgestaltung, die Szenografie – das ist ja schon die erste Art, es zu vermitteln, die zeitgenössische Kunst dem Publikum nahezubringen".

17 Bauhäusler auf der ersten documenta

Erziehung, Vermittlung, Diskussion – tragende Impulse von Bauhaus und documenta. Mit fast 300 Werken waren 17 Bauhäusler auf den ersten documenta-Ausstellungen vertreten. Bodes Fotografien von frühgeschichtlichen Artikulationsformen der Kunst übrigens werden gekontert vom Diakarussell des Bazon Brock.
Bei der documenta von 1972 konfrontierte der Ästhetikprofessor das Publikum mit den Bildwelten des Alltags. Spätestens mit dieser Documenta landete die Weltkunstschau mitten in der Gegenwart.
"In dieser Suche, mit Kultur Gesellschaft mitzugestalten, gibt es eigentlich fast komplementär Ansätze", so Oswalt. "Beim Bauhaus ist die Idee, die universelle Basis des Gestaltens und der Weltsicht zu formulieren, die Grundform, die Grundfarben als ein elementares Vokabular, aus dem sich die Dinge entwickeln lassen. Bei der documenta ist es das komplementäre Versprechen, durch eine Inventarisierung der Gegenwart die Komplexität, die Widersprüchlichkeit, die Unübersichtlichkeit der Welt abzubilden, in einer Ausstellung, und darüber zu reflektieren".

Das Publikum war anfangs fassungslos

Eine gewaltige Bildwand mit Publikationen von Bauhaus und Documenta zeigt die Kontinuitäten der beiden Kulturmarken, in Typografie, Gestaltung, Farben und Bildmotiven. Und ein Film von 1965 mit dem polemischen Titel "Ist die moderne Kunst Bluff?" die anfängliche Fassungslosigkeit des documenta-Publikums.
So sagen die Besucher im Film: "Ich weiß mit dem absolut nichts anzufangen – Ich finde, das ist kein Dokument, sondern eine Zumutung an den Betrachter – Was soll das hier eigentlich? Wenn man das ansieht, weiß man nicht, wird man veräppelt oder auf den Arm genommen. Ich versteh das einfach nicht – Ist das Kunst? - Das ist keine Kunst, das ist Unfug."

Die Ambivalenz der Markenfigur

Die Ausstellung in der Kasseler Neuen Galerie bedient sich vieler Schätze des documenta-Archivs, um zu zeigen, wie sich die Kulturmarken Bauhaus und documenta etablierten. Das ist manchmal kleinteilig, erfordert viel Lesearbeit, lässt wenig sinnlichen Rausch aufkommen.
Aber es geht ja auch um Grundsätzliches. Zum Beispiel die Erkenntnis von Paradoxien: dass Markenbildung für einen Kunstbetrieb, der sich antikapitalistisch, systemkritisch, progressiv versteht, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Oder wie Oswalt sagt: "Diese Markenfigur ist ambivalent, erst mal sind Marken etwas, das auch ein 'Wir' formuliert, Gemeinschaft, Zusammenhalt, auch Verständigung, die eine Plattform bilden, um bestimmte Sachen überhaupt diskutieren zu können." Bei aller Sprödigkeit ist dies eine originelle Ausstellung, die auf die lange Geschichte von Bauhaus und documenta mit Nüchternheit und gut verstecktem Stolz reagiert.

Die Ausstellung "Bauhaus/documenta - Vision und Marke" ist bis zum 8. September in der Neuen Galerie in Kassel zu sehen.

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