Barockgedichte

"Wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden"

Ein zeitgenössiches Porträt des deutschen Dichters Andreas Gryphius (1616-1664).
Einer der berühmtesten deutschen Barock-Dichter: Andreas Gryphius (1616-1664). © picture alliance / dpa
Von Peter Urban-Halle · 26.08.2015
Unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Kriegs entstand im 17. Jahrhundert die Barocklyrik, die den Gegensatz von Vergänglichkeit und Lebenshunger manifestiert. Volker Meid stellt in seiner Anthologie über 40 Dichter der Zeit vor.
Wer einen überladenen und verschnörkelten Text charakterisieren will, greift gern zum Wörtchen "barock". Damit scheint alles gesagt, besonders das Geschraubte und Schwülstige ist damit gemeint. Tatsächlich kann die Barocklyrik emphatisch, doch auch analytisch sein. Was die Barockzeit, die das ganze 17. Jahrhundert über währt, aber vor allem kennzeichnet, ist die Authentizität des Wortes, Leben und Werk des jeweiligen Dichters bilden eine größtmögliche Einheit
Das liegt daran, dass die Barockdichtung mit einem der längsten und grausamsten Kriege der Weltgeschichte, dem Dreißigjährigen Krieg (1618-48), untrennbar verbunden ist. Die meisten ihrer Autoren mussten persönliche Erfahrungen mit diesem Krieg erdulden, der berühmteste Text jener Zeit ist der realistische Schelmenroman „Simplicissimus" von Grimmelshausen (1621-76).
Der Tod ist stets gegenwärtig
Der blutige Konfessionsstreit führt zum beherrschenden Gefühl der berühmten "Vanitas", der Eitelkeit, Vergeblichkeit, Vergänglichkeit. Der Tod ist stets gegenwärtig, doch will man in den (meist religiösen) Gedichten zugleich das Unbegreifliche, das Rätsel der Welt und Gottes ergründen, ja, es entsteht sogar eine Art Lebenshunger: Das ganze Dasein erscheint als ruheloser Widerstreit der Gegensätze.
Am Anfang steht nicht von ungefähr Martin Opitz (1597-1639), der 1624 die erste deutsche Poetik verfasst, durch die das Deutsche als Sprache der Poesie aufgewertet und vereinheitlicht wird. Opitz will Klarheit und Verstandeswitz und eine geordnete metrische Verskunst; sein Einfluss reicht bis heute.
Dass das Leben der Unvorhersehbarkeit und dem dauernden Wandel unterworfen ist, formuliert einer der größten Dichter der Zeit, Andreas Gryphius (1616-64), in zwei berühmten, dynamisch-visionären Sonetten. Das eine beginnt so:
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein.
Im zweiten heißt es:
Die Jungfern sind geschändt
Und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

Der Herausgeber Volker Meid entschied sich in diesem Fall für die spätere überarbeitete Fassung, die etwas formelhafter klingt als die wahrhaftiger wirkende Erstfassung.
Auf dem Weg in die Aufklärung
Der Gottesstaatsutopist Quirinus Kuhlmann (1651-89) erscheint fast als Wegbereiter des Expressionismus. Zu Christi Geburt schreibt er emphatisch:
O Nacht! du große Nacht! die heller als der Tag!
O Nacht! ja Licht! und Licht
das Sonnen übersteiget!

Der als Schwulst-Reimer verschriene Hoffmannswaldau (1616-79) ist hier unter anderem mit einem Aufruf gegen die Melancholie vertreten, die das 17. Jahrhundert beherrschte. Und schon auf dem Übergang zur Aufklärung steht der fast modern anmutende Johann Christian Günther (1695-1723), der durch seine Liebes- und Abschiedsgedichte berühmt geworden ist.
Volker Meid präsentiert uns die Texte in originaler Rechtschreibung, was manchmal nicht leicht zu lesen ist; heute ungewöhnliche Wörter werden erklärt. Der Band der schönen Reclam Bibliothek vereint über 40Unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Kriegs entstand im 17. Jahrhundert die Barocklyrik, die den Gegensatz von Vergänglichkeit und Lebenshunger manifestiert. Volker Meid stellt in seiner Anthologie über 40 Dichter der Zeit vor. Dichter, die mit einer nützlichen Kurzvita vorgestellt werden.

Das Spiel der Zeit. Deutsche Barockgedichte
Herausgegeben von Volker Meid
Reclam Bibliothek, Stuttgart 2015
278 Seiten, 24,95 Euro

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