Bangladesch

"Die billigsten Arbeitskräfte der Welt"

Nach dem Einsturz einer Textilfabrik: Demonstranten zeigen Fotos ihrer toten oder vermissten Verwandten in Savar, Bangladesch.
Nach dem Einsturz einer Textilfabrik: Demonstranten zeigen Fotos ihrer toten oder vermissten Verwandten. © picture alliance / dpa / Abir Abdullah
Christian Brüser im Gespräch Ute Welty · 24.04.2014
Ein Jahr nach der tödlichen Rana-Plaza-Katastrophe habe sich in Bangladesch wenig verändert, kritisiert Christian Brüser. Die Sicherheit der Textilarbeiterinnen stehe bei den Unternehmern an letzter Stelle, so der Asienexperte.
Ute Welty: Mehr als 1.100 Tote, fast 2.500 Verletzte – der 24. April ist so etwas wie das 9/11 der Textilindustrie, seitdem das Rana Plaza mit seinen neun Stockwerken eingestürzt ist. Kleidung ist dort billig gefertigt worden von schlecht bezahlten und schlecht geschützten Näherinnen und Nähern. Hoch und heilig hat man damals versprochen, was sich alles ändert und dass man die Opfer entschädigt, aber genau da hakt es. Und das könnte vielleicht auch daran liegen, was der Journalist und Autor Christian Brüser herausgefunden hat nach dem Einsturz. Er traf nämlich auf Menschen, die nicht von einem Unfall sprechen, sondern von strukturellem Mord. Guten Morgen, Herr Brüser!
Christian Brüser: Schönen guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Von strukturellem Mord hat unter anderem die Fotografin gesprochen, die mit dem Foto eines Paares berühmt wurde, mit dem Foto eines Paares, das bei dem Einsturz ums Leben kam. Was hat Ihnen Taslima Akhter erzählt, und konnten Sie ihre Argumentation nachvollziehen?
Brüser: Also a) hat sie mir erzählt, wie sie dieses Paar gefunden hat. Sie war – das Gebäude ist ja am frühen Morgen genau vor einem Jahr eingestürzt, also etwa um neun Uhr, kurz vor neun – und sie war dann den ganzen Tag dort, hat die Rettungsarbeiten begleitet und hat aber irgendwie nicht gewagt, ganz nahe an die Unglücksstelle heranzukommen. Erst nachts war sie so bereit, dass sie quasi die Leichen auch sehen konnte und fotografieren konnte, und ist dann nachts um zwei in einen Teil dieses Gebäudes gegangen, wo einer der Retter gesagt hat, da kann sie jetzt mal hinkommen, und sie sagt, es lagen überall Leichen, aber dieses Paar, das sich praktisch im Moment des Todes umarmt hat, hat sie eben besonders angezogen. Sie hat es fotografiert, musste dann auch schnell wieder weg, und ein paar Tage konnte sie das gar nicht anschauen, das Foto. Und erst dann, mit einer gewissen Distanz hat sie es angeschaut, hat es auf Facebook gestellt, und dann kamen Reaktionen aus der ganzen Welt, weil eben durch das Bild so deutlich wurde, dass es nicht einfach Opfer waren, sondern junge Menschen mit ihren Gefühlen, Träumen und so.
Chronik eines angekündigten Unfalls
Welty: Aber warum spricht sie dann von einem strukturellen Mord?
Brüser: Genau. Sie begleitet die Textilarbeiterinnen und auch die ganzen Unfälle schon seit Jahrzehnten, und speziell in diesem Fall war es so, dass das quasi die Chronik eines angekündigten Unfalls war. Am Tag zuvor, also am 23. April, gab es Krach, gab es große Sprünge im Gebäude. Alle sind voller Panik auf die Straße gerannt. Man hat einen Bauingenieur gerufen, der hat festgestellt, dass das Gebäude unsicher ist, hat gesagt, da darf niemand mehr rein. In den unteren beiden Stockwerken waren Geschäfte und Banken, und die haben dafür gesorgt, dass ihre Mitarbeiter dieses Gebäude nicht mehr betreten.
Aber am nächsten Tag haben die Fabrikmanager die Arbeiterinnen und Arbeiter quasi gezwungen, wieder in die Fabrik zu gehen, obwohl da schon Sprünge waren, und weiterzuarbeiten. Die waren mit ihren Lieferfristen in Verzug und wollten einfach ihre Aufträge erfüllen, weil das Ganze geschieht immer unter sehr großem Zeitdruck. Und die sind reingegangen, die Arbeiter, es gab einen Stromausfall, es haben sich automatisch Generatoren, die in einem oberen Stockwerk waren, eingeschaltet, und durch die Vibrationen ist das Gebäude dann zusammengestürzt.
Welty: Struktureller Mord, ist das eine Begrifflichkeit, die auch Sie benutzen würden? Würden Sie die Ereignisse vom 24. April 2013 so bezeichnen?
Brüser: Ich würde es nicht als strukturellen Mord bezeichnen. Sie hat das natürlich überspitzt formuliert, aber ich würde das schon als fahrlässige Tötung, nicht als Unfall bezeichnen, denn es war ganz klar, dieses Gebäude war von Anfang an nie als Fabrikgebäude geplant. Es war als Büro und Wohngebäude geplant, aber nicht als Gebäude, das schwere Maschinen tragen kann. Es war nur für vier Stockwerke genehmigt. Man hat dann illegal aufgestockt oder mit sehr zwielichtigen Genehmigungen, die über politische Kontakte erwirkt wurden, und es war ganz klar, dass da was passieren wird und man den ... wenn man sich auch anschaut, seitdem gab es ja weitere Unglücke. Es sind wieder Menschen gestorben, und auch, was kurz davor passiert ist, da war es auch so. Da wurden sämtliche Brandschutzauflagen missachtet. Da war der einzige Notausgang vollgestopft mit halbfertiger Kleidung, mit Stoff. Also das heißt, wenn man sich anschaut, was da passiert in den Fabriken – jede Naht, alles wird kontrolliert, jede Kleinigkeit bei den T-Shirts, bei den Hosen, bei den Blusen, bei den Hemden. Das muss genau passen, aber wo es um die Sicherheit der Arbeiterinnen und Arbeiter geht, da haben die – also das ist die letzte Sorge der Unternehmer dort.
Welty: Was hat sich seit der Katastrophe vor einem Jahr tatsächlich verändert?
50 Euro Mindestlohn
Brüser: Aus der Perspektive der Arbeiterinnen, wenn die morgens in ihre Fabrik gehen und sich an die Nähmaschine setzen, hat sich fast nichts verändert, muss man sagen. Es gibt ein bisschen höhere Löhne. Der Mindestlohn wird erhöht von 30 auf 50 Euro. Das hört sich sehr viel an. Man muss aber dazu sagen, dass gleichzeitig Entschädigungen oder das gleichzeitig Zahlungen für Transport und Verpflegung gekürzt wurden, also es wurde nur die Basis erhöht, dafür Zulagen gestrichen, und auch nur in der untersten Lohnkategorie gab es schon eine starke Erhöhung. Für die anderen waren die Lohnerhöhungen wesentlich geringer.
Also da hat sich minimal etwas am Lohn verändert, sind immer noch die billigsten Arbeitskräfte der Welt. Was sich verändert hat, als positive Entwicklung, muss man sagen, ist der sogenannte Bangladesh Accord. Das ist ein rechtlich bindendes Abkommen von NGOs, Gewerkschaftern und auch internationalen Abnehmern, Modemarken. Die haben sich verpflichtet, genau zu melden, von welchen Firmen sie ihre Waren in Bangladesch beziehen. Es sind jetzt mittlerweile weit über 100 europäische, amerikanische Modemarken, eigentlich alle, die wir hier so kennen. Und die haben mehr als 1.600 Fabriken gemeldet, und die werden jetzt seit Kurzem inspiziert auf Brandschutz und Gebäudesicherheit.
Welty: All das, was Sie wissen und was Sie uns jetzt berichten, hat das Ihren Blick in den eigenen Kleiderschrank verändert? Haben Sie bestimmte T-Shirts aussortiert, oder kaufen Sie anders?
Brüser: Also aussortiert habe ich nichts, ich trag meine Sachen immer so, bis sie wirklich abgetragen sind, auch irgendwie als Protest gegen diesen Wahnsinn des ständig neuen Klamottenkaufens. Was ich immer mache, dass ich sehr genau schaue, wo die Sachen herkommen, einfach weil ich jetzt die Näherinnen in vielen Ländern kennengelernt habe und versuche, auch nachzuvollziehen, wie sich da was verändert, woher die Waren beziehen. Ich muss dazu sagen, dass ich ganz wenig so wirklich Alternativkleidung habe, weil es aus meiner Sicht vor allem für Männer da noch kein passendes Angebot gibt.
Welty: Die Arbeitsbedingungen für Textilarbeiter in Bangladesch nach dem Einsturz des Rana Plaza hat der Journalist Christian Brüser recherchiert. Ich danke für das Interview hier in dieser Ortszeit!
Brüser: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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