Befristet eingestellte Lehrer

Im Sommer kommt die Arbeitslosigkeit

05:38 Minuten
Hochgestellte Stühle im Klassenraum einer Schule. Im Hintergrund ist eine Tafel zu sehen.
In den Sommerferien bleiben die Stühle in den Schulen auf den Tischen. Für befristet angestellte Lehrkräfte in Baden-Württemberg beginnt mit den Ferien jedes Jahr eine Zeit der Unsicherheit. © imago / STPP
Von Katharina Thoms · 19.07.2022
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Tausende sind jedes Jahr betroffen: Baden-Württemberg schickt befristete Lehrerinnen und Lehrer im Sommer in die Arbeitslosigkeit. Viele dachten, dass es 2022 mit einer neuen Kultusministerin anders würde. Die Hoffnung war zumeist vergebens.
Marijke Clark ist eine von mehr 4000 Lehrerinnen und Lehrern in Baden-Württemberg, die das jährliche Prozedere schon kennt: „Natürlich wurde mir gesagt, dass meine Qualifikation nicht reicht für eine Festanstellung, sondern dass ich immer bis zum Sommer angestellt bin. Dann bin ich über den Sommer arbeitslos.“
Schon drei Mal war das so. Clark arbeitet als Sprachlehrerin und Erzieherin mit Kindergartenkindern an einer sonderpädagogischen Schule in Stuttgart. Dass sie einen Masterabschluss in Erziehungswissenschaften hat, dass sie jahrelang in Kindergärten gearbeitet hat und auch einen geleitet hat: Das reiche nicht, um sie fest anzustellen, heißt es von den Schulbehörden.

Hoffen und Warten auf den neuen Vertrag

Vor knapp vier Jahren hat sie als Quereinsteigerin in einer sonderpädagogischen Schule in Stuttgart angefangen. Sie wurde dringend gebraucht, um Kinder mit einer Sprachbehinderung zu fördern, und Marijke Clark würde auch gern dort bleiben.
„Ich könnte auch als Erzieherin arbeiten oder als Leitung“, sagt sie. „Aber dieser Job ist halt etwas Besonderes, mit den Kindern zu arbeiten, zu sehen, wie die sich tatsächlich weiterentwickeln, wie die aufblühen in diesem Setting, wo man sie gezielt fördern kann. Das ist einfach ein anderes Arbeiten. Und es gibt auch ganz viel zurück.“
Der Preis für sie in den vergangenen drei Jahren: mit Beginn der Sommerferien Arbeitslosigkeit und sechs Wochen lang die bange Frage: Werde ich wieder anfangen können?

In der letzten Woche der Schulferien erfahren wir, ob wir dann zu Schulbeginn wieder arbeiten dürfen und bekommen dann auch unseren Vertrag am Freitag in der letzten Schulferienwoche. Es ist also eine sehr unsichere Zeit, weil man einfach die gesamten Ferien und auch schon davor nicht weiß: Habe ich einen Job? Soll ich mich anderweitig umgucken? Es ist nicht sehr wertschätzend, wenn man das erlebt.

Marijke Clark

Vergebens auf Grünen-Politikerin gehofft

Eigentlich hatten Tausende Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg gehofft, dass die neue Kultusministerin Theresia Schopper diese Praxis beendet. Erstmals stellen die Grünen die Ministerin in dem Ressort. Die Politikerin hatte selbst vergangenes Jahr entsprechende Erwartungen geschürt.
Aber kürzlich erklärte Schopper nüchtern: „Momentan haben wir gar keine Mittel auch im Haushalt dazu. Von daher ist dieses Jahr die Praxis so, dass wir die befristeten Lehrkräfte auch nach wie vor nicht durch die Sommerferien durchbezahlen. Es handelt sich eh um eine sehr, sehr kleine Gruppe, die bei uns an den Schulen sind.“
Es handelt sich um drei Prozent der rund 110.000 Lehrkräfte an öffentlichen Schulen, wie eine Anfrage der oppositionellen SPD kürzlich ergeben hat. Dort nannte das Kultusministerium auch die Kosten, die deren durchgehende Festanstellung verursachen würde: Rund 15 Millionen Euro würde es Baden-Württemberg jedes Jahr zusätzlich kosten, die befristeten Stellen in dauerhafte umzuwandeln.

Kritik von GEW und SPD

Die Landesregierung setze einfach die falschen Prioritäten, kritisieren die Sozialdemokraten. Und auch die Bildungsgewerkschaft GEW ist enttäuscht von der grün-schwarzen Landesregierung.
„Wir haben alle große Hoffnung in sie gesetzt, dass sie das wirklich machen wird“, sagt die GEW-Vorsitzende in Baden-Württemberg, Monika Stein. „An der Stelle kann ich nicht mal mehr von mangelhaft sprechen, sondern es ist unbefriedigend. Wir sprechen davon, dass wir wirklich enormen Lehrkräftemangel haben“, kritisiert sie.

Wenn ich möchte, dass die diejenigen, die wir überhaupt im Land haben, dass die bleiben und dass die motiviert sind, dann muss ich sie gut behandeln. Und dann kann ich nicht so mit ihnen umgehen, dass sie vor den Sommerferien entlassen werden.

Monika Stein

Doch es ist wieder so: Mehr als 4.000 befristet angestellte Lehrkräfte in Baden-Württemberg werden über die Sommerferien erneut arbeitslos sein.
Kultusministerin Schopper sagt dazu: „Das sind die sogenannten Nicht-Erfüller, aufgrund dessen, dass sie keine zwei Fächer hatten oder eine Fächerkombination. Oder sie kommen aus einem beruflichen Sektor und arbeiten dann an den sozialpädagogischen Bildungszentren, sodass man die bisher nicht im normalen Status verbeamten konnte.“

Arbeitslos nach dem Referendariat

Auch rund 4000 Referendare und Referendarinnen, die dieses Jahr ihre Ausbildung beenden, werden demnächst für sechs Wochen bis zum Schulbeginn am 10. September arbeitslos.
Die Arbeitsagentur verzeichnet auch bundesweit jedes Jahr einen Anstieg bei arbeitslosen Lehrkräften: unter anderem in Hessen, Bayern oder Hamburg. Es bleiben nicht nur die persönlichen Probleme von Lehrerinnen wie Marijke Clark.
Auch Schulen und Eltern müssten die Folgen ausbaden, meint Gewerkschaftsführerin Stein: „Die Schulleitungen können gar keine Stundenpläne machen. Die können die Deputate gar nicht verteilen, weil sie gar nicht wissen, wer bei ihnen eigentlich nach den Sommerferien beschäftigt werden wird“, erklärt sie.
Und weiter: „Das heißt, das, was Eltern eigentlich dringend wollen und brauchen, dass mit Beginn des Schuljahres klar ist: Wer unterrichtet in welcher Klasse welche Fächer und wie sieht der Stundenplan aus? Das sollte ja spätestens Mitte der ersten Schulwoche klar sein – das ist an diesen Schulen überhaupt nicht möglich.“
Die GEW fordert, mit Blick auf kommendes Jahr, die Sommerarbeitslosigkeit endlich zu beenden.

Lichtblick an sonderpädagogischen Schulen

Für dieses Jahr hat die baden-württembergische Kultusministerin nur einen sehr kleinen Lichtblick verkündet: Wer an den sonderpädagogischen Schulen arbeite, habe die Chance, auch ohne Zusatzqualifizierung schneller in eine Festanstellung zu wechseln – nach zweieinhalb Jahren statt wie bisher nach über vier Jahren.
Das hat auch Marijke Clark versucht. Sie hat einen Antrag auf Entfristung gestellt und tatsächlich: Kurz vor Ferienbeginn kam die befreiende E-Mail: Ihr Vertrag für eine Festanstellung liege in der Schule für sie bereit.
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