Avatare in der Modewelt

Der Fake als Vorbild

04:32 Minuten
Eine anthrazitfarbene Schaufensterpuppe.
Immer mehr Modelabel werben neuerdings mit virtuellen Models. (Symbolbild) © Unsplash / Janko Ferlič
Gedanken von Adrian Lobe · 11.02.2021
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Egal wie schön Supermodels sind, der Avatar ist praktischer. Er altert nicht, kann 24/7 arbeiten. Label wie Prada und Chanel setzen deswegen inzwischen auch virtuelle Models ein. Der Fake als Vorbild birgt Gefahren, meint der Journalist Adrian Lobe.
Auf den ersten Blick wirkt Miquela Sousa wie eine ganz normale Influencerin: Sie räkelt sich lasziv am Pool, trägt extravagante Kleidung und posiert mit ihren Freundinnen.
Doch die junge Frau mit dem Pony-Haarschnitt und den frechen Sommersprossen ist keine reale Person, sondern ein Computermodel. Designt in einer amerikanischen Softwareschmiede. Alter: 19 Jahre. Herkunft: brasilianisch-spanisch. Wohnort: Los Angeles. Auf ihrem Instagram-Account folgen ihr mittlerweile 2,9 Millionen Nutzer.

Virtuelle Influencer sind Stars in der Modewelt

Lil Miquela – so lautet ihr Spitzname – ist zu einer digitalen Werbeikone avanciert: Sie ziert das Cover von Modezeitschriften, läuft auf den großen Fashionshows und hat sogar schon eigene Songs veröffentlicht. Ihre Debütsingle "Not Mine" hat es auf Platz acht der Spotify Charts geschafft. Internationale Modemarken reißen sich um den Avatar. Als das US-Schuhlabel UGG anlässlich seines 40-jährigen Bestehens ein Gesicht für seine Werbekampagne suchte, buchte es kein Model aus Fleisch und Blut, sondern das Computerwesen Lil Miquela.
Virtuelle Influencer gelten als der heiße Schrei im digitalen Marketing: Sie verfügen über Millionen Fans, altern nicht und lassen sich perfekt in Szene setzen. Ein Computermodell erscheint nicht müde und verkatert zum Shooting – es funktioniert wie eine Maschine.
Neben Lil Miquela gibt es noch weitere prominente Kunstfiguren: Shudu etwa, eine virtuelle schwarze Schönheit, die als das erste "digitale Supermodel" gefeiert wird. Ihr Schöpfer, der Fotograf Cameron James Wilson, ließ sich dabei vom afrikanischen Supermodel Iman inspirieren.

Konsumenten orientieren sich an Täuschungen

Solche virtuellen Kreaturen sind in der Pop- und Unterhaltungsindustrie kein neues Phänomen. Schon 1998 gründeten Damon Albarn und Jamie Hewlett die virtuelle Band Gorillaz, die mit Avataren auf der Bühne stand. Verstorbene Musiker wie Amy Winehouse oder Frank Zappa werden digital reanimiert und auf Hologramm-Tourneen geschickt. Und in Japan gibt es sogar einen virtuellen J-Popstar, der ganze Konzerthallen füllt – obwohl er real gar nicht existiert.
Doch so vielfältig die Möglichkeiten für das Marketing sind – die Technologie ist nicht ganz unumstritten. Als das Modelabel Calvin Klein für einen Werbeclip das Model Bella Hadid mit Lil Miquela Küsse austauschen ließ, brach im Netz ein Sturm der Entrüstung aus. Der Vorwurf: Der Konzern würde gleichgeschlechtliche Romantik inszenieren, um die queere Community anzusprechen. Auch am Supermodel Shudu wird herumgemäkelt: Sie sei die Projektion weißer Männer, wie schwarze Weiblichkeit im echten Leben auszusehen habe.
Natürlich war die Modebranche schon immer künstlich: Schaufensterpuppen sind so alt wie Warenhäuser, und auch die digitale Bildbearbeitung ist nicht neu. Per Photoshop werden Haare geglättet, Falten weggebügelt und Hautunreinheiten retuschiert. Der Unterschied aber ist: Man weiß, was echt und unecht ist. Bei einem Fake-Model, das es ja in Wirklichkeit gar nicht gibt, weiß man das dagegen nicht. Der Betrachter hält Shudu zunächst für eine reale Person. Das heißt: Er wird über ihre Existenz getäuscht – und damit in die Irre geführt.

Der Fake ist salonfähig geworden

Im Internet wimmelt es nur so von Fakes. Fakten und Fiktion lassen sich immer schwerer unterscheiden. Die virtuellen Influencer verleihen diesem Problem aber noch einmal eine ganz neue Dimension: Sie machen den Fake salonfähig.
In Frankreich müssen seit 2017 bearbeitete Modelfotos gekennzeichnet werden. Eine solche Kennzeichnungspflicht wäre auch für virtuelle Influencer dringend angezeigt. Denn nur wenn man weiß, was echt und falsch ist, kann eine Öffentlichkeit funktionieren. Und junge Mädchen würden keinen falschen Vorbildern folgen.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, u. a. "Die Zeit", "FAZ", "NZZ", "Süddeutsche Zeitung". 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks "Surveillance Studies" ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 2019 erschien sein Buch "Speichern und Strafen – Die Gesellschaft im Datengefängnis".

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