Avantgarde fand nicht nur in Europa statt
Kalkutta ist ein wenig wie Berlin: Wirtschaftlich in der Krise, aber kulturell ein Schwergewicht. Am Anfang des letzten Jahrhunderts war es Zentrum der indischen Bauhaus-Avantgarde. Das wird jetzt in Dessau mit einer Ausstellung umfassend gewürdigt - und die hält Überraschungen bereit.
"Ein Feuilleton schreiben, heißt auf einer Glatze Locken drehen", hat der österreichische Kritiker Karl Krauss einmal bemerkt. Gilt das auch für einen Beitrag über das Bauhaus in Kalkutta? Denn selbst Kenner der Bauhaus-Geschichte haben von dieser Verbindung zuvor noch nie etwas gehört.
Aber es ist dann doch interessant, nach Dessau zu reisen, um etwas über Indien und eine Stadt zu erfahren, die sich Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts für das Bauhaus interessierte. Das wird in Dessau zum Anlass genommen, einen ganzen Kosmos der Moderne und des Aufbruchs vorzustellen, von dem wir in Europa nicht viel Ahnung haben.
Und nicht nur das, in Dessau sind jetzt erstmals Bilder der indischen Avantgarde in einer großen Ausstellung zu sehen. Ein Ereignis. Regina Bittner, Kuratorin der Ausstellung, ist selbst ganz begeistert.
"‘The last Journey‘, also ‚die letzte Reise‘, ein Bild von Rabindranath Tagore. Es ist ein erschöpftes Kamel in einem blutroten Horizont, und das ist unglaublich interessant. Es geht gar nicht um das Kamel, sondern es geht, glaube ich, um die Stimmung, die das Bild vermittelt, von dieser Irritation, von der Suche nach etwas anderem, und ich glaube das überträgt sich auch auf den Betrachter."
Namen wie Nandalal Bose oder Shanta Devi wird man sich in Zukunft merken müssen. Über 50 Bilder der indischen Avantgarde hängen zwischen Werken von Paul Klee, Wassily Kandinsky und anderen Bauhaus-Künstlern, die 1922 ihre Bilder nach Kalkutta schickten. Ein spannungsreicher Dialog, der von künstlerischer Verwandtschaft zeugt.
Von der damaligen Ausstellung weiß man nicht viel. Das Gebäude der "Indian Society of Oriental Art" wurde schon 1940 abgerissen. Es gibt auch keine Fotos und man weiß nicht, welche Bilder die indischen Künstler damals ausgestellt haben.
Johannes Itten, 1919 von Walter Gropius an das Bauhaus berufen, kannte die jüdische Kunsthistorikerin Stella Kramrisch aus Wien. Nach ihrem Studium in England lehrte sie später in Indien Kunstgeschichte. Sie hat damals den Kontakt zum Bauhaus vermittelt. Mit Itten traf sie auf einen Esoteriker, der mit selbstgeschneiderten Kutten, Glatze und obskuren Diätvorschriften einige Jünger um sich scharrte. Als Itten 1923 das Bauhaus verließ, war Schluss mit der religiös gefärbten Mazdaznan-Lehre und der dazugehörigen Gesinnung. Philipp Oswald, Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau.
"Das hört sich ja erst mal sehr schön an, transkulturell, Bauhaus und Indien, die indische Kultur. Was aber selten genannt wird, das mit dem Mazdaznan-Kult ein starker Rassismus einhergeht. Und es gibt von Itten auch eine berühmte Zeichnung, ‚der weiße Mann‘, die auch explizit rassistisch ist, Itten hat dann einen rassentheoretischen Text geschrieben über die Kulturgeschichte der Menschheit, das sind Dinge, die man dann in diesem Zusammenhang auch mal erwähnen muss."
Als die Bilder der Bauhäusler nach Indien kamen, wuchs Kalkutta gerade zur Millionenstadt. Angesichts der Wohnungsnot und vieler Slums – die bis heute existieren – wäre ein Symposium über die Mindeststandards beim sozialen Wohnungsbau auch nicht schlecht gewesen, aber das Interesse für den sozialen Kern der Bauhaus-Idee war nicht besonders ausgeprägt. Man suchte eher nach künstlerischen Weggenossen.
"Was persönlich auch ganz toll fasziniert hat, war Gaganendranath Tagore, ein Neffe von Rabindranath Tagore. Ein Kubist. Ein indischer Kubist, der auf eine ganz eigenwillige Weise, und ohne dass er in Europa studiert hätte, eigentlich mit eher spirituellem Sehen, das übersetzt in eine Formensprache, die uns sehr vertraut ist, wenn man aber genauer hinschaut, so feststellt: hm, das ist wieder etwas ganz anderes. Was sich da entfaltet in dem Bild, ist eine Moderne, die anders ist. Und das ist auch eine der Botschaften der Ausstellung: zu sagen, wir sollten nicht von einer einzigen Moderne reden, sondern von vielfältigen unterschiedlichen Versuchen."
Die indische Avantgarde und das Bauhaus begegnen sich in Dessau auf Augenhöhe. Beide wollten die Kunst verändern. Sie sollte nicht akademisch sein, sondern dem Leben dienen. Aber die Voraussetzungen waren dann doch sehr verschieden: Die Deutschen mussten den Ersten Weltkrieg mental verarbeiten, während sich die Inder auf ihre lokalen Wurzeln besannen, um den britischen Kolonialherren mit ihrem anmaßenden Sendungsbewusstsein selbstbewusst Paroli zu bieten. Noch einmal Regina Bittner.
"Wenn Sie so wollen, ist diese möglicherweise zufällige Ausstellung ein wunderbarer Anlass, neu zu denken in dieser Kunstgeschichtsschreibung in Richtung einer multiplen Moderne. Und genau diese Art von Gleichzeitigkeit halt viel, viel stärker ins Bewusstsein zu bringen, denn machen wir uns nichts vor, wenn man durch die großen Sammlungen in den europäischen Museen wandert, dann ist bis heute kein einziges Werk der außereuropäischen Avantgarde zu sehen, und ich denke es ist an der Zeit und das will auch die Ausstellung ein Stück weit vermitteln, da ein Umdenken einzuleiten."
Aber es ist dann doch interessant, nach Dessau zu reisen, um etwas über Indien und eine Stadt zu erfahren, die sich Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts für das Bauhaus interessierte. Das wird in Dessau zum Anlass genommen, einen ganzen Kosmos der Moderne und des Aufbruchs vorzustellen, von dem wir in Europa nicht viel Ahnung haben.
Und nicht nur das, in Dessau sind jetzt erstmals Bilder der indischen Avantgarde in einer großen Ausstellung zu sehen. Ein Ereignis. Regina Bittner, Kuratorin der Ausstellung, ist selbst ganz begeistert.
"‘The last Journey‘, also ‚die letzte Reise‘, ein Bild von Rabindranath Tagore. Es ist ein erschöpftes Kamel in einem blutroten Horizont, und das ist unglaublich interessant. Es geht gar nicht um das Kamel, sondern es geht, glaube ich, um die Stimmung, die das Bild vermittelt, von dieser Irritation, von der Suche nach etwas anderem, und ich glaube das überträgt sich auch auf den Betrachter."
Namen wie Nandalal Bose oder Shanta Devi wird man sich in Zukunft merken müssen. Über 50 Bilder der indischen Avantgarde hängen zwischen Werken von Paul Klee, Wassily Kandinsky und anderen Bauhaus-Künstlern, die 1922 ihre Bilder nach Kalkutta schickten. Ein spannungsreicher Dialog, der von künstlerischer Verwandtschaft zeugt.
Von der damaligen Ausstellung weiß man nicht viel. Das Gebäude der "Indian Society of Oriental Art" wurde schon 1940 abgerissen. Es gibt auch keine Fotos und man weiß nicht, welche Bilder die indischen Künstler damals ausgestellt haben.
Johannes Itten, 1919 von Walter Gropius an das Bauhaus berufen, kannte die jüdische Kunsthistorikerin Stella Kramrisch aus Wien. Nach ihrem Studium in England lehrte sie später in Indien Kunstgeschichte. Sie hat damals den Kontakt zum Bauhaus vermittelt. Mit Itten traf sie auf einen Esoteriker, der mit selbstgeschneiderten Kutten, Glatze und obskuren Diätvorschriften einige Jünger um sich scharrte. Als Itten 1923 das Bauhaus verließ, war Schluss mit der religiös gefärbten Mazdaznan-Lehre und der dazugehörigen Gesinnung. Philipp Oswald, Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau.
"Das hört sich ja erst mal sehr schön an, transkulturell, Bauhaus und Indien, die indische Kultur. Was aber selten genannt wird, das mit dem Mazdaznan-Kult ein starker Rassismus einhergeht. Und es gibt von Itten auch eine berühmte Zeichnung, ‚der weiße Mann‘, die auch explizit rassistisch ist, Itten hat dann einen rassentheoretischen Text geschrieben über die Kulturgeschichte der Menschheit, das sind Dinge, die man dann in diesem Zusammenhang auch mal erwähnen muss."
Als die Bilder der Bauhäusler nach Indien kamen, wuchs Kalkutta gerade zur Millionenstadt. Angesichts der Wohnungsnot und vieler Slums – die bis heute existieren – wäre ein Symposium über die Mindeststandards beim sozialen Wohnungsbau auch nicht schlecht gewesen, aber das Interesse für den sozialen Kern der Bauhaus-Idee war nicht besonders ausgeprägt. Man suchte eher nach künstlerischen Weggenossen.
"Was persönlich auch ganz toll fasziniert hat, war Gaganendranath Tagore, ein Neffe von Rabindranath Tagore. Ein Kubist. Ein indischer Kubist, der auf eine ganz eigenwillige Weise, und ohne dass er in Europa studiert hätte, eigentlich mit eher spirituellem Sehen, das übersetzt in eine Formensprache, die uns sehr vertraut ist, wenn man aber genauer hinschaut, so feststellt: hm, das ist wieder etwas ganz anderes. Was sich da entfaltet in dem Bild, ist eine Moderne, die anders ist. Und das ist auch eine der Botschaften der Ausstellung: zu sagen, wir sollten nicht von einer einzigen Moderne reden, sondern von vielfältigen unterschiedlichen Versuchen."
Die indische Avantgarde und das Bauhaus begegnen sich in Dessau auf Augenhöhe. Beide wollten die Kunst verändern. Sie sollte nicht akademisch sein, sondern dem Leben dienen. Aber die Voraussetzungen waren dann doch sehr verschieden: Die Deutschen mussten den Ersten Weltkrieg mental verarbeiten, während sich die Inder auf ihre lokalen Wurzeln besannen, um den britischen Kolonialherren mit ihrem anmaßenden Sendungsbewusstsein selbstbewusst Paroli zu bieten. Noch einmal Regina Bittner.
"Wenn Sie so wollen, ist diese möglicherweise zufällige Ausstellung ein wunderbarer Anlass, neu zu denken in dieser Kunstgeschichtsschreibung in Richtung einer multiplen Moderne. Und genau diese Art von Gleichzeitigkeit halt viel, viel stärker ins Bewusstsein zu bringen, denn machen wir uns nichts vor, wenn man durch die großen Sammlungen in den europäischen Museen wandert, dann ist bis heute kein einziges Werk der außereuropäischen Avantgarde zu sehen, und ich denke es ist an der Zeit und das will auch die Ausstellung ein Stück weit vermitteln, da ein Umdenken einzuleiten."