Autorin Ursula Muscheler über "Mutter, Muse und Frau Bauhaus"

Wer waren die Frauen um Walter Gropius?

Ise Frank und Walter Gropius 1961 in Darmstadt
Ise Frank und ihr Mann Walter Gropius während der Eröffnung des von ihm angeregten Bauhaus-Archivs im Jahr 1961 © picture alliance/dpa/Foto: Koll
Moderation: Christian Rabhansl · 19.01.2019
Der Architekt Walter Gropius, der 1919 das Bauhaus gründete – er gilt bis heute als großer Vorreiter der Moderne. Wie modern hielt es der Architekt in seinen Frauenbeziehungen, von denen es so einige gab?
Die Architekturhistorikerin Ursula Muscheler hat sich bereits in vielen ihrer Bücher mit berühmten Architekten beschäftigt und ihr Umfeld erforscht. In ihrem neuen Buch nimmt sie die Frauen und Liebesaffären rund um Gropius unter die Lupe. Ob Walter Gropius' erste Frau, die berühmte Muse Alma Mahler, seine zweite Frau Ise Frank, oder aber seine Mutter Manon Gropius, die ihn stets förderte – sie alle waren wichtige Persönlichkeiten in Gropius Leben.

Gropius hatte ein patriarchale Beziehungsvorstellung

Bei aller Freizügigkeit und Modernität, die Seitensprünge zuließen, erschloss sich dennoch beim Recherchieren für Ursula Muscheler ein sehr einseitiges Bild. Die Architekturhistorikerin hat einen Teil von Gropius' Briefen studiert und stellt dabei fest, dass er – entgegen aller Erwartungen – ein durch und durch konventionelles, patriarchal geprägtes Verständnis von Beziehungen zwischen Frauen und Männern hatte, wie sie im Gespräch mit Christian Rabhansl festhält: "Der Mann geht hinaus ins feindliche Leben, die Frau unterstützt ihn bei seiner schwierigen Mission und mit Kraft und Talent."
Gleichzeitig zeigten die Briefe auch, so Muscheler, dass die Verhältnisse recht freizügig waren, so dass Seitensprünge der Frauen und von Gropius selbst toleriert wurden. Auffallend sei, dass sich Gropius vor allem zu bereits verheirateten Frauen hingezogen fühlte, setzte dabei aber voraus, dass diese Frauen nur ihn liebten.

Ein ehrgeiziger Mann und fünf talentierte Frauen

Viele dieser Frauen haben für ihn an Texten gearbeitet: gelayoutet, geschrieben und seine Arbeit organisiert. Zu seinen Geliebten gehörten die Malerin Lily Hildebrandt und die Dichterin Maria Benemann. "Die Briefe erschließen uns ein kleines Sittenbild", so Muscheler: "Mit einem ehrgeizigen Mann in der Mitte und fünf taltentierten Frauen um ihn herum."
Und sie zeigen, dass die Zeit der Zwanzigerjahre eine Übergangszeit war, in der die Frauen zwar bereits zum ersten Mal in der deutschen Geschichte verfassungsgemäß gleichberechtigt waren, aber die alten Rollenmuster der Geschlechter noch stark in den Köpfen verankert waren.


Ursula Muscheler: "Mutter, Muse und Frau Bauhaus. Die Frauen um Walter Gropius"

Berenberg Verlag, Berlin 2018
160 Seiten, 24 Euro

An die Fassade des Bauhaus' in Dessau wurde das Wort "Bauhaus" befestigt.
© Berenberg Verlag/robertharding/imago

Das Interview im Wortlaut:
Christian Rabhansl: Vor 100 Jahren hat Deutschland einen unglaublichen Modernitätsschub hingelegt. Gerade das Bauhaus ist dafür bis heute ein Symbol. 1919 hat Walter Gropius die Schule gegründet, und bis heute gilt das Bauhaus als Heimstadt der Avantgarde der Moderne. Dabei ist eins aber merkwürdig, denn in vielen anderen Bereichen ist damals dieser Modernitätsschub gerade auch von Frauen vorangetrieben worden, die sich in Kunst und Politik Freiheiten genommen haben, die ihnen bis dahin vorenthalten worden sind. Am Bauhaus aber saßen die Frauen oft eher in den Webklassen, weil anscheinend die Männer dachten, na ja, Wollen, Weben, Frauen, das passt irgendwie.
Diesen Eindruck vermittelt das neue Buch von Ursula Muscheler: "Mutter, Muse und Frau Bauhaus: Die Frauen um Walter Gropius". Ursula Muscheler ist Architekturhistorikerin und auch selbst Architektin, und ich habe mit ihr über dieses Buch gesprochen. Guten Tag, Frau Muscheler!
Ursula Muscheler: Guten Tag, Herr Rabhansl!
Rabhansl: Habe ich das gerade arg zugespitzt oder hatte der große Modernisierer Walter Gropius kein sonderlich modernes Verhältnis zu den Frauen, die ihn umgaben?
Muscheler: Hatte er nicht, ganz eindeutig ja.
Rabhansl: Sie stellen ins Zentrum Ihres Buches seine Ehefrauen, also Ise Frank, Alma Mahler, aber Sie stellen auch Geliebte ins Zentrum, enge Freundinnen und auch seine Mutter, Manon Gropius. Es hätte ja noch mehr Frauen gegeben. Wonach haben Sie ausgewählt, wen Sie da ins Zentrum rücken?
Muscheler: Erst mal die Frauen, die mir wichtig schienen: also seine Mutter, die Gropius ja früh gefördert und ermuntert hat, dann seine erste Frau Alma, einfach weil sie so eine schillernde Person natürlich ist, Komponistin, große Muse bedeutender Männer. Dann die Malerin Lily Hildebrandt, die Schülerin von Adolf Hölzel war. Maria Benemann, eine Dichterin und der Schwarm von Richard Dehmel. Und dann seine zweite Frau Ise Frank, die ihn dann ja durch die folgenden Jahrzehnte auch begleitet hat. Es hat sicher noch einige weitere Frauen in seinem Leben gegeben, die sind mir jetzt aber nicht bekannt oder nur dem Namen nach bekannt. Über die habe ich aber kein weiteres Material gefunden.

Alma Mahlers Briefe an Walter Gropius sind erhalten

Rabhansl: Wie haben Sie denn überhaupt Ihr Material gefunden, wie haben Sie recherchiert?
Muscheler: Ich habe in Archiven und Bibliotheken geforscht, in Tagebüchern und Briefen. Allerdings sind nur die Briefe von Gropius erhalten geblieben, und so ist das Bild der Frauen über den Mann Gropius vermittelt. Alma Mahler natürlich ausgenommen, deren Briefe als Muse großer Männer natürlich aufgehoben wurden.
Rabhansl: Das heißt, die Briefe, die er wiederum von den Frauen bekommen hat, die hat er einfach weggeworfen?
Muscheler: Ich nehme an, oder dass – er ist natürlich auch zweimal in die Emigration gegangen, einmal nach Großbritannien, dann in die USA –, dass dann natürlich auch vieles verlorengegangen ist.
Rabhansl: Was haben Sie in den Briefen entdeckt, dass Sie vorhin gesagt haben, ja, der Mann hatte wirklich kein sonderlich modernes Verhältnis zu den Frauen?
Muscheler: Entgegen meiner Erwartung, angesichts der Fortschrittlichkeit von Gropius als Architekt und Bauhaus-Direktor, zeigen sich die Verhältnisse recht konventionell, so nach der Art: der Mann geht hinaus ins feindliche Leben, die Frau unterstützt ihn bei seiner schwierigen Mission mit Kraft und Talent. Andererseits war ich auch überrascht, dass die Verhältnisse – und das zeigen die Briefe eben auch – recht freizügig waren. Seitensprünge wurden von Gropius und den Frauen geübt und, wenn auch manchmal schweren Herzens, toleriert. Unter der Boheme-Oberfläche aber waren dann doch noch immer die patriarchalischen Rollenbilder virulent.
Rabhansl: Das fällt ja auch wirklich auf. Er hat sich ja anscheinend vor allem zu verheirateten Frauen hingezogen, und gleichzeitig hat er dann aber von diesen Frauen erwartet – so geht das aus den Briefen hervor –, dass diese Frauen ihn und nur ihn lieben.
Muscheler: Ja.
Rabhansl: Können Sie das an einem Beispiel vielleicht mal deutlich machen? Ich persönlich fand zum Beispiel sehr beeindruckend, gerade in dem Verhältnis zu Alma Mahler, die damals noch seine Geliebte war, weil sie noch mit Gustav Mahler verheiratet war, die dann aber, als ihr Ehemann im Sterben liegt, noch mal zu ihm zurückgeht, und wie reagiert Walter Gropius darauf?
Muscheler: Ja, als er dann hört, dass sie sich ihm noch mal als Frau hingegeben hat, da war er völlig verstört. Er sah sich also entwertet und in seiner Ehre als Mann gekränkt und hat sich völlig von ihr zurückgezogen.

Gropius verlangte, dass die Frauen nur ihn liebten

Rabhansl: Das ist ja ein bisschen absurd. Das war ihr Ehemann.
Muscheler: Das war ihr Ehemann, aber er verlangte eben, dass die Frau dann nur ihn liebt und sich nur um ihn kümmert, und das hat er auch von allen anderen Frauen verlangt. Bei Lily Hildebrandt, seiner Geliebten, die war verheiratet mit Hans Hildebrandt, dem Stuttgarter Kunsthistoriker, und hatte einen Sohn, und von ihr hat er jetzt nicht verlangt, dass sie sich scheiden lässt, weil offensichtlich wollte er sie von Anfang an nicht heiraten, aber er erwartete, dass er ihr einziger Geliebter neben der Ehe bleibt und dass sie ihre ganze Kraft in sein Werk im Bauhaus investiert.
Rabhansl: Man merkt da schon, dass dieses Verhältnis zwischen diesen Frauen und Walter Gropius sehr von Liebeleien, von Eifersucht und von großen Dramen geprägt ist. Was hat Sie, Frau Muscheler, als Architektin an diesen sehr privaten Blick interessiert?
Muscheler: Ich erforsche ja gern das Umfeld bedeutender Männer, vorwiegend eben Architekten und ihre Netzwerke, und so habe ich dann über Henry van de Velde und seinen Freundeskreis geschrieben, über Le Corbusier und seine Mitarbeiter, den Bauhaus-Direktor Hannes Meyer und seine Brigade Rot Front. Ich hatte mir dann auch Gropius vorgenommen und seine Büropartner, die nach den Biografen einen großen Einfluss auf sein Werk hatten, und dabei habe ich dann die Frauen um ihn herum entdeckt und war bald so fasziniert, dass ich nachforschte und mich bald mehr für sie als für Gropius interessierte.
Rabhansl: Der Buchtitel, der heißt aber "Mutter, Muse und Frau Bauhaus", das klingt ja nun doch nach großem Einfluss der Frauen, "Frau Bauhaus".
Muscheler: Ja, als Ise kurz mit Gropius verheiratet war, wurde sie dann auch krank und ging in Kur, und von der Kur aus fuhr sie nach Köln, um eben weitere Freunde des Bauhauses zu finden und nahm auch Kontakt auf mit Konrad Adenauer und den Kölner Industriellen. Sie schrieb dann zurück, dass sie von einigen schon "Frau Bauhaus" genannt würde. Das ist also ein Zitat von ihr selbst aus einem Brief an Gropius.
Rabhansl: Das heißt, der Einfluss der Frauen war doch deutlich größer als wir das heute in Erinnerung haben.
Muscheler: Ja, aber der Einfluss war sicher nicht inhaltlich auf die Architektur … Es kann natürlich sein, dass ich jetzt nicht alle Dokumente, mit Sicherheit nicht, gefunden habe, aber sie waren Gastgeberinnen, Lektorinnen, Organisatorinnen, Sekretärinnen. Sie haben Texte für ihn layoutet, sie haben Werbung gemacht und so weiter. Also sie haben schon sehr viel, auch sehr viel Wichtiges getan.

"Die Briefe erschließen uns ein kleines Sittenbild"

Rabhansl: Ich finde wirklich irritierend, wie sehr es Walter Gropius gelungen ist, diese Frauen an sich zu binden, die ihm wirklich leidenschaftlich zugetan waren. Dabei ist es nicht nur so, dass er ein unglaublich eifersüchtiger Mensch war, sondern auch ansonsten ist da teilweise ein, in meinen Augen, sehr gönnerhafter Blick, in denen er an diese Frauen schreibt.
Wenn wir mal das Beispiel nehmen der Schriftstellerin Maria Benemann. Die hatte ihm Gedichte geschickt, er schreibt dann zurück, ja, ihre Gedichte, die enthielten schon ganz prima Ideen, jetzt Zitat: "Kern des weiblichen Lebens und Fühlens". Das schreibt er mit seiner Kompetenz als Mann, aber formal seien die Gedichte noch ein bisschen unreif, weil sich nicht alle Strophen richtig reimen. Das schreibt er als Architekt der Schriftstellerin. Wie hat er das trotzdem gepackt, dass diese Frau irgendwas von ihm wollte?
Muscheler: Ja, genau kann ich es auch nicht sagen. Die Quellen geben jetzt nicht alle Geheimnisse preis. Ich kann es mir nur selbst so erklären, dass sie Hilfe wollte von ihm. Sie war ja eine Kriegerwitwe seit 1914 schon, wenige Wochen nach Kriegsbeginn, und stand mit zwei kleinen Kindern völlig allein auf der Welt und war auch ziemlich mittellos und suchte – das merkt man auch an den Beziehungen, die sie dann auch zu anderen Männern hatte – nach einem neuen Partner, der ihr auch eine gewisse bürgerliche Sicherheit wieder zu bieten hatte.
Rabhansl: Sie haben das jetzt ein bisschen aus der Zeithistorie erklärt, und das ist auch die Frage, die ich mir am Schluss gestellt habe: Als Sie das Buch vollendet hatten, hatten Sie den Eindruck, Sie haben ein Porträt über diese sechs Menschen geschrieben oder ein Zeitporträt?
Muscheler: Ich denke, es war beides oder ist beides. Die Briefe erschließen uns ein kleines Sittenbild mit einem ehrgeizigen Mann in der Mitte und fünf talentierten Frauen um ihn herum, und die Briefe zeigen, es war eine sehr schwierige Zeit, was auch natürlich einiges an Verhalten von Gropius erklärt. Der Erste Weltkrieg, Maria Benemann – ich habe es schon erwähnt – stand plötzlich als Kriegerwitwe fast völlig mittellos das, die Hyperinflation, großbürgerliche Familien wie die Familie Gropius verloren ihr Geld und konnten sich die gewohnte Haushaltsführung mit Dienstboten nicht mehr so recht leisten.
Die Weltwirtschaftskrise später Ende der 20er-Jahre, die Arbeitslosigkeit stieg so stark, dass es für Frauen wie Ise keine Möglichkeit mehr gab, journalistisch tätig zu werden. Und die Briefe zeigen auch, es war eine Übergangszeit. Die Vorhut der Frauenbewegung kämpfte zwar schon für die Gleichberechtigung der Frau, aber sie war selbst, als sie 1919 Verfassungsrang erhielt, ja nicht automatisch in den Köpfen präsent. Noch beherrschen die alten Rollenbilder die Beziehung zwischen den Geschlechtern.
Rabhansl: Und das wird sehr deutlich in dem Buch "Mutter, Muse und Frau Bauhaus: Die Frauen um Walter Gropius". Dieses Buch, das hat Ursula Muscheler geschrieben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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