Autorin und Feministin Dolly Hüther

Sich ändern, um andere zu verändern

33:23 Minuten
Collage aus Buchcover und Portrait von Dolly Hüther
© Dietz Verlag, Dolly Hüther
Moderation: UlrikeTimm · 03.11.2021
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Feministin seit fünf Jahrzehnten, kritische Sozialdemokratin, Autorin ohne Schulabschluss – Dolly Hüther ist auch mit 89 Jahren neugierig, streitbar und dabei fröhlich. Nun ist ihr sechstes Buch erschienen, darin liest sie ihrer SPD die Leviten.
In Saarbrücken ist sie ein Original: Dolly Hüther, geboren 1932, Taufname Isolde – die Eltern waren Fans des Komponisten Richard Wagner. Aber die Jungs in der Schule nannten sie "Dolly". "Ich habe mich so schick gefühlt!" Und so blieb es ihr Vorname bis heute.

Vom Kind von Nazis zur Genossin

Ihr Leben ist auch ein Zeugnis der deutschen Geschichte. "Ich habe heute noch Traumata, denn 1939 ist dieser Krieg losgegangen. Da war ich ein kleines Kind. Der Krieg ist beendet worden, da war ich ein Teenager. Da gab es nichts. Meine Eltern, was ganz wichtig ist, waren beide Nazis. Ich komme also aus einem Nazi-Haushalt. Wenn ich dann heute eine SPDlerin bin, denke ich, habe ich viel geleistet für mich."
Als Kind ist sie noch im BDM, dem "Bund Deutscher Mädel", befreit sich erst später von der Ideologie der Eltern. Die Schule bricht sie vor dem Abitur wegen einer Auseinandersetzung mit einer Lehrerin ab.
Sie wird Waldarbeiterin, weil sie dadurch die doppelte Ration an Lebensmittelkarten bekommt. Sie macht eine Ausbildung als Zahnarzthelferin, arbeitet im Außendienst bei einer Waschmittelfirma, gibt dies aber zugunsten ihrer Ehe und der beiden Kinder auf.
Zunächst ist Dolly Hüther "brave Hausfrau", bis sie in den 70er-Jahren politisiert wird, auch durch Willy Brandt und dessen Ostpolitik. 1977 tritt sie in die SPD ein, engagiert sich unter anderem in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen.
Überhaupt seien es die Frauen gewesen, die ihr die Augen geöffnet haben, betont Hüther. Auch für ihre eigene häusliche Situation: "Ich habe gespürt, dass ich auch für mich zu Hause viel tun kann. Mein Mann ist zu meinem Zahnarzt und hat gesagt: Meine Frau kommt nicht mehr. Ich hatte kein eigenes Konto."

Für die eigenen Rechte kämpfen

Sie emanzipiert sich von ihrem Mann, der damit überhaupt nicht klarkommt: "Er hat sich von mir gar nicht überzeugen lassen, dass das etwas Wunderbares ist, für seine eigenen Rechte zu kämpfen. Aber er hat auch die Rechte von mir nicht anerkannt."
Sie lässt sich nicht mehr alles gefallen, es kommt zu häuslicher Gewalt: "Ich bin eine der geschlagenen Frauen. Darüber rede ich auch heute, weil ich es verarbeitet habe und mit ihm Frieden gemacht habe."
1971 gehört sie zu den Frauen, die in einer "Stern"-Titelgeschichte bekennen: "Ich habe abgetrieben". Auch das ist für sie ein Meilenstein des Feminismus.
Weil ihr Wissensdurst und Engagement keine Altersgrenzen kennen, geht Hüther mit 65 Jahren an die Universität und besucht Kurse in Soziologie, Sozialpsychologie und Friedensforschung – mehr als zehn Jahre lang. "Ich habe dort alles regelrecht aufgegessen. Ich würde sogar sagen gefressen." Durch jedes Puzzleteil ihres Lebens sei sie "vollständiger" geworden, zufriedener, etwas, was sie auch ihren Söhnen mitgeben wollte.

Mahnung des Sohnes

Dass sie in ihrer Begeisterung für Politik und Feminismus auch mal übers Ziel hinausschießen kann und manchem als "Nervensäge" gilt, ficht sie nicht an. Aber den Rat einer ihrer Söhne habe sie doch berücksichtigt: "Er sagt: Mama, arbeite wirklich an dir. Du kannst andere Menschen nicht ändern, ändere dich. Aber indem du dich änderst, änderst du automatisch auch andere."
Gerade ist Dolly Hüthers neues Buch "Ich bleibe! Ein politisches Leben – gestern und heute" herausgekommen. Es zeigt: Auch mit fast 90 Jahren will Dolly Hüther weiter politisch mitmischen. Frei nach ihrem Motto: "Es gibt noch viel zu tun. Packen wir es an!"
(sus)
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