Autorin Sophia Fritz über ihr Ringen mit dem Glauben

Was Gott mit der großen Liebe zu tun hat

13:14 Minuten
Sophia Fritz, 22 hat ein Buch über die Sehnsucht nach Gott geschrieben.
Gott, wo bist Du? Und was kannst du für mich tun? Sophia Fritz hat ein Buch über ihre Suche nach dem Glauben geschrieben. © privat
Moderation: Kirsten Dietrich · 16.06.2019
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Was tun, wenn der Glaube, der einem als Kind noch Halt gegeben hat, nicht mehr zum eigenen Leben passt? Die Autorin Sophia Fritz ringt um diesen Glauben wie um eine große Liebe – und sehnt sich nach einer Auszeit ohne To-do-Listen.
Kirsten Dietrich: "Wenn jemand von Gott spricht, denke ich inzwischen immer an Schadensbegrenzung." So hat das die Autorin Sophia Fritz formuliert, und sie wappnet sich mit dieser Aussage dafür, dass jemand, der von Gott redet, das doch auch gerne als Vorwand nimmt für eigenes fragwürdiges Verhalten. Aber wie kann man es dann machen – darüber möchte ich jetzt gerne mit Sophia Fritz sprechen.
Sie hat ein Buch geschrieben: "Gott hat mir nie das Du angeboten". Darin geht es um ihr Ringen um den Glauben, um das Gefühl, mit Gott nicht fertig zu sein, aber die traditionellen Wege zu ihm trotzdem versperrt zu finden. Ein ganz tolles Buch, finde ich, aber auch eines, über das sich gar nicht so leicht reden lässt in seiner Mischung aus Selbstbefragung, Analyse des eigenen Glaubenszustandes und der Auseinandersetzung mit Bibeltexten. Also frage ich Sophia Fritz am besten gleich mal direkt. Was ist das für ein Buch?
Sophia Fritz: Das ist ein Buch, das Raum geben möchte für Fragen, für meine Fragen und damit aber auch für Fragen, die vielleicht noch viel mehr Menschen haben.

Die Sehnsucht nach dem Du

Dietrich: Begegnen Ihnen diese Fragen denn im Alltag als einer jungen Frau von 22 Jahren, die an der Kunsthochschule studiert?
Fritz: Nicht so oft tatsächlich. Ich glaube, ich bin in so einem sehr aufgeklärten Kreis gerade oder einem sehr liberalen Kreis von Studierenden. Was ich aber spannend fand beim Schreiben des Buches und auch davor, war, dass ich trotzdem das Gefühl hatte, dass die Leute – mich inbegriffen – so eine Sehnsucht nach einem größeren Ideal haben, das zum Beispiel in der Literatur oder in Songs oder auch in Filmen dann als das Du aufgegriffen wird: dass jemand kommt, und dann ist das Leben perfekt.
Ich dachte mir beim Schreiben, dass das auch eine Art Sehnsucht nach Gott ist oder nach was auch immer man unter Gott versteht, eine Sehnsucht nach etwas Größerem, das einen auffüllt. Das fand ich spannend, dass diese Sehnsucht immer noch da ist, obwohl man nicht mehr genau weiß, was man damit konkret meint.

Der Kinderglaube passt nicht mehr

Dietrich: Sie sagen von sich: Ich bin gläubig. Sie sagen auch über sich: Ich glaube eigentlich nicht genug, weil ich zum Beispiel von Gott gar nicht erwarte, dass er mir wirklich zuhört. Also, Sie erwarten nichts, aber Sie sind auch nicht fertig mit Gott. Ist das ein Widerspruch oder ist das nur konsequent?
Fritz: Für mich ist das eine Auseinandersetzung mit meiner Prägung und mit meinem Glauben jetzt. Ich habe das Gefühl, dass meine Prägung wie so eine Schablone war, die ich als Kind bekommen habe, und die passt jetzt immer weniger auf die Dinge, die mir passieren oder auf die Erfahrungen, die ich mache.
Ich versuche praktisch, über diese Differenz zu schreiben, also: Wie gehe ich jetzt mit meiner Prägung um oder mit dem, was ich vorhatte zu glauben, das aber plötzlich nicht mehr meiner Realität entspricht. Was mache ich damit, wie fülle ich diese Lücke dazwischen?

Nicht angekommen in der Parallelwelt Kirche

Dietrich: Was Sie vorhatten zu glauben, das war das traditionell Kirchlich-Katholische. In diesem Milieu sind Sie aufgewachsen. Sie waren Ministrantin, aber schon als Sie 13 waren, als es eigentlich an die Firmung ging, da waren Sie nicht mehr im Takt mit dieser Kirche. Woran lag das?
Fritz: Ich glaube, die Kirche hat mich einfach nie tatsächlich berührt. Ich war gerne bei den Veranstaltungen, aber ich glaube, es war immer ein Parallelleben. Ich beobachte das häufig in Gesprächen, dass man, sobald man über den Glauben spricht oder über die Kirche spricht, in so einen ganz anderen sprachlichen Duktus reinrutscht. Als wäre das so ein Parallelleben, das aber wenig mit dem Alltag zu tun hat.
So habe ich mich als Kind und als Jugendliche auch gefühlt und habe dementsprechend dann auch einfach das Interesse verloren, weil es mich nicht mehr angegangen hat.

Kneipengespräch mit Maria Magdalena

Dietrich: Sie wählen einen Weg, sich Gott zu nähern, der ganz traditionell ist eigentlich, aber dann auch wieder ganz neu und innovativ, jedenfalls wenn man überlegt, wie viele 20-Jährige wohl heutzutage in der Bibel lesen. Sie setzen sich mit biblischen Geschichten auseinander oder genauer gesagt: Sie drehen und wenden diese biblischen Geschichten ganz neu.
Ich fand es besonders interessant, was Sie mit Maria Magdalena gemacht haben. Da haben Sie die Trauer um Jesus, der sich nach der Auferstehung nicht mehr gemeldet habe, verblendet mit einem Kneipengespräch mit einer Freundin, die verlassen wurde von einem, der ihr Leben zum Guten verändert hat, aber sie dann damit sitzengelassen hat. Das fand ich sehr spannend, wie Sie diese uralte und fast toterzählte Geschichte tatsächlich damit zu neuem Leben erwecken.
Fritz: Das hat mich tatsächlich auch fast am meisten interessiert beim Schreiben. Auch die Erkenntnis, das war für mich spannend, für das Drehbuchschreiben, dass die Bibel voll ist von solchen archaischen Geschichten. Also zum Beispiel bei Kain und Abel – das ist nicht ins Buch reingekommen, aber das fand ich auch so toll – dass das eigentlich zwei Brüder sind, die irgendwie mit Kritik umgehen müssen. Der eine geht konstruktiv damit um und versucht was draus zu lernen, und der andere bekommt die Kritik und schlägt dann denjenigen tot, der das besser macht als er selbst.
Das finde ich so eine archaische Geste, so zeitlos an Reaktionsmöglichkeiten, die wir als Menschen so haben. Das wollte ich im Buch betonen, dass da immer noch eine Aktualität drin ist. In der Sterbebegleitung sagt man manchmal, Gefühle werden nicht dement, und ich habe das Gefühl, dass das auch ein bisschen damit zusammenhängt, dass wir als Menschen einfach immer noch gleich reagieren, jetzt oder vor tausenden Jahren, und dass wir deswegen immer noch was lernen können vielleicht auch aus alten Geschichten.

Sehnsucht nach Liebe oder Gerechtigkeit

Dietrich: Das ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Sie so oft die Frage nach Gott und die Frage nach der Liebe, vielleicht sogar nach der großen Liebe, miteinander verknüpfen und dass das zwei Dinge sind, die fast vergleichbar sind oder parallel laufen: eine große Sehnsucht, mit ganz tollen Bildern vor Augen, wie das wohl sein mag, die dann aber in der täglichen Hektik irgendwie völlig untergeht.
Fritz: Mein Buch ist ja kein Buch über Gott. Ich habe ja nicht versucht, irgendwie Antworten zu geben, weil ich ja selber keine habe oder auch keine haben kann, glaube ich, sondern ein Buch über diese Sehnsucht. Ich denke, es ist eine Sehnsucht nach irgendwas, mit dem man sich erfüllen möchte. Also, man wäre gerne erfüllt von irgendetwas, und dann wäre man komplett - und für mich ist das das Gefühl der Liebe.
Manche haben vielleicht andere Sehnsüchte. Wenn man etwas sehr Schlimmes erfahren hat, dann möchte man vielleicht Gerechtigkeit viel mehr als Liebe. Dann formt man so vielleicht auch das Bild, das man von Gott hat und sagt, Gott ist der gerechte Gott, und das würde einen trösten, davon zu wissen. Deswegen finde ich es auch immer schwierig, Gott zu definieren, also das zu sagen – spricht man von dem gleichen überhaupt, hat man die gleiche Sehnsucht?
Dietrich: Aber ist es dann noch die gleiche Sehnsucht, wenn eigentlich relativ egal ist, worauf sie sich richtet?
Fritz: Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob man jemals über die gleiche Definition von Gott spricht.

Nicht geschaffen für ein globales Bewusstsein?

Dietrich: Die Sache mit der Liebe ist also genauso schwierig zu fassen wie die Sache mit dem Glauben und lässt die Menschen trotzdem nicht los. Liegt das vielleicht daran, wie unsere Welt heute beschaffen ist? Ich fand spannend, dass Sie schreiben, dass Sie eigentlich nicht glauben, dass wir dazu gedacht sind, ein globales Bewusstsein zu haben, dass wir einfach so überfordert sind, damit die ganze Welt mitdenken zu müssen.
Fritz: Ja, was mich da vor allem öfter anrührt, ist dieser Gedanke, dass ich nicht richtig reagieren kann. Das ist so ein Gedanke, der sich festgesetzt hat, und ich glaube, das Fatale daran ist, dass man auch bei Dingen, wo man reagieren könnte, plötzlich das Gefühl hat, es ist eh egal, ob man jetzt irgendwas macht, ob man eine Zeitschrift kauft oder ob man jemandem Geld gibt. Das spielt sowieso keine Rolle in dem großen Bewusstsein. Ich habe doch oft das Gefühl, dass es einfach so eine Ohnmacht gibt.
Dietrich: Das heißt, dass dann völlig gleich wird, ob da tausende von Menschen auf dem Mittelmeer unterwegs sind, wo man sowieso nicht eingreifen kann, oder ob es einen konkreten Menschen gibt, den man irgendwie unterstützen könnte.

Generation ohne Idealismus

Fritz: Nicht dass es egal wird, aber dass das Gefühl, dass man was verändern kann, vielleicht geringer ist. Freunde, die älter sind, sagen, dass sie früher noch ein Ideal hatten, dass sie gesagt haben, wir starten eine Revolution, und dann verändern wir das Ganze.
Ich glaube, so einen Idealismus hatte meine Generation gar nicht. Ich will nicht für alle sprechen, aber das, was ich mitbekomme und auch, was jetzt im Internet, in den sozialen Medien viel kursiert, ist ja vor allem Zynismus und Sarkasmus. Das ist ja eher eine Art von Resignation. Das ist kein Idealismus, wenn man Memes verschickt und das irgendwie ironisch meint. Das ist auch eine Art, mit der Welt umzugehen, und ich glaube, die ist neu.
Dietrich: Versuchen Sie, da gegenzusteuern, wenn Sie auf Instagram unterwegs sind?
Fritz: Nein, ich bin tatsächlich Teil davon, das merke ich immer wieder. Und zwar weil ich auch uneigentlich schreibe, weil ich auch in meinen Prosatexten über irgendwas schreibe, was ich nicht habe oder über das Warten viel schreibe, über das Warten, erfüllt zu werden. Das ist nicht unbedingt das, was ich im Alltag tue oder wie ich lebe oder was meine Überzeugungen sind, aber ich poste auch auf Instagram nur Dinge, zu denen ich auch eine Rückmeldung haben möchte, und das schließt viele Dinge aus, die mich persönlich betreffen.

Glück heißt immer auch Angst haben, es zu verlieren

Dietrich: Das heißt, die Sehnsucht ist relativ leicht zu fassen, aber es ist total schwer, diese Sehnsucht irgendwie konkreter festzumachen.
Fritz: Ja, das Schwierige ist, ich kann mir keinen Zustand vorstellen, in dem die Menschen tatsächlich glücklich wären, wenn man erfüllt wäre von irgendwas. Also das ist ja so eine Krux an sich. Wann wäre man denn glücklich, und hätte man dann nicht nur wieder Angst, das Glück zu verlieren, ist das nicht immer diese Suche nach mehr?
Auch diese Abwechslung zwischen: Ich will immer weiter – und das ist ja auch natürlich, sonst wären wir auch nicht aus den Höhlen rausgekommen, das ist ja unser Bedürfnis, weiterzumachen – und gleichzeitig dieser Wunsch, innezuhalten, und damit verbinde ich vielleicht Gebet oder Meditation oder Gott, und das in Einklang zu bringen, das ist wahrscheinlich das Schwierige daran.

Der Blick für das Ganze geht verloren

Dietrich: Sie halten ja auch ganz praktisch inne, wenn Sie zum Beispiel als Sterbebegleiterin arbeiten. Ist das so ein Versuch, diesen rasanten Wirbel, diesen ganzen Möglichkeiten etwas ganz Konkretes im Hier und Jetzt entgegenzusetzen?
Fritz: Ich habe den ersten Kurs schon vor drei Jahren gemacht und jetzt die Ausbildung abgeschlossen. Bei mir hat das damit angefangen mit dem Wunsch, Prozesse wieder ganz zu erleben. Wenn wir noch mal auf die Globalisierung zurückkommen, was ich auch empfinde ist, dass ich viel weniger Prozesse mitbekomme.
Also, ich esse in der Mensa mein Mittagessen, ich weiß aber nicht, wer den Teller nachher abspült, und ich weiß auch nicht, wer das Essen drauftut und überhaupt, wo das Essen herkommt oder wo das nachher hingeht. Ich kriege immer nur Ausschnitte mit von ganz kleinen Prozessen, die ich nicht mehr überblicken kann.

Beim Sterben darf man einfach nur da sein

Da hatte ich so eine Sehnsucht danach, persönlich einfach Prozesse wieder mehr mitzuerleben. Da gehört das Sterben auch für mich dazu. Dass man sagt, okay, wie ist das denn im Alter, wie mache ich das, wie gehe ich damit um. Das war mein erster Wunsch, und inzwischen merke ich, dass es genau das ist, was Sie sagen, so wirklich ein Ausstieg auch.
Was ich besonders im Hospiz gelernt habe und wofür ich sehr, sehr dankbar bin, ist dieses absichtslose Dasein, dass Gespräche nicht konstruktiv sein müssen, sondern dass es reicht, einfach nur dazusein. Das ist irgendwas, was mir wirklich sonst im Alltag nicht gegeben ist, wo alles immer sehr lösungsorientiert und praktisch ablaufen muss und man einen sehr großen Output haben muss, um produktiv zu sein und so weiter.
Dietrich: Endet Ihr Buch auch deswegen mit so einem Loblied auf den Himmel, in dem auch die ganzen guten Absichten an ihr Ende kommen und das überhaupt nicht schlimm ist?
Fritz: Ich denke schon. Weil es so eine Sehnsucht nach einem Stillstand ist. Wenn ich sage, ich bekomme immer nur kleine Ausschnitte aus einem Prozess mit, dann ist das ja auch eine Art Stillstand.

Der Unterschied zwischen erfülltem und unerfülltem Stillstand

Wenn ich immer To-do-Listen schreibe, und irgendwann streiche ich alle Sachen durch, die ich gemacht habe und schmeiße diesen Zettel weg, und ich kann mich nicht mehr dran erinnern, was ich überhaupt gemacht habe die letzten Wochen, ich weiß nur, es war sehr anstrengend, das fühlt sich ja auch an wie Stillstand.
Aber es ist nicht die schöne Art von Stillstand, sondern so eine hilflose Art. Ich glaube, die Sehnsucht, die ich vor allem habe, ist so eine Sehnsucht nach einem erfüllten Stillstand, also nach einem Stillstand, von dem man aus eine Übersicht hat. Wie wenn man sonst immer schwimmen muss, und plötzlich ist man auf dem Sprungturm und kann runtergucken.
Dietrich: Ist das eine Sehnsucht, die ansteckend sein könnte, also die auch andere begeistern könnte?
Fritz: Ich weiß nicht, ob das eine sehr persönliche Sehnsucht ist. Ich habe das Gefühl, dass das schon auch in unserer Kultur verankert ist, wie in den Popliedern mit diesem: Man findet den einen Richtigen, und dann wird alles gut – da ist ja schon eine Sehnsucht da. Nach was genau oder ob alle mir zustimmen würden und sagen würden, das könnte auch Gott sein, das muss kein Mann sein, das weiß ich nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Sophia Fritz: Gott hat mir nie das Du angeboten
Herder Verlag 2019
174 Seiten, 18 Euro

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