Autorin Petra Reski über Hochwasser in Venedig

Frust über die Gleichgültigkeit der italienischen Regierung

06:19 Minuten
Venedig leidett im November 2019 unter einem der schlimmsten Überschwemmung nach Starkregen. Das Foto zeigt Leutein Gummistiefeln und Schutzmanschetten, die ihre Taschen teils über dem Kopf tragen.
Schlimm wie selten wird Venedig derzeit von Hochwasser heimgesucht. Was Touristen vielleicht noch unter Abenteuer verbuchen, ist für die Bewohner eine Katastrophe. © picture alliance/ dpa/ Pierre Teyssot/ MAXPPP
Petra Reski im Gespräch mit Shanli Anwar · 16.11.2019
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Die Venezianer sind wütend auf ihre Regierung. Der fehlt offenbar der Wille, die Lagunenstadt vor dem dramatischen Hochwasser zu schützen. Dabei seien alle Probleme hausgemacht, sagt die Autorin und Wahl-Venezianerin Petra Reski.
Shanli Anwar: Die Bilder vom Hochwasser in Venedig sind wirklich erschreckend. Der zentrale Markusplatz steht unter Wasser, viele Gebäude, Kirchen, Kunstschätze sind beschädigt. Unter den rund 50.000 Menschen, die im historischen Zentrum von Venedig leben, ist auch die deutsche Autorin und Journalistin Petra Reski, mit der ich jetzt telefonisch verbunden bin. Frau Reski, wie erleben Sie den Grad der Zerstörung in Venedig?
Reski: In Venedig sind ja nun alle davon betroffen, weil ich immer wieder gefragt werde: Sind Sie betroffen? Jeder in Venedig ist betroffen, denn natürlich wohnen die meisten Venezianer bis auf wenige Ausnahmen im ersten Stock, demzufolge kriegen wir dann nur nasse Füße, wenn wir rausgehen. Was heißt nasse Füße, das ist alles zu sehr Understatement im Moment. Wir sind einfach so verbittert in einer gewissen Weise über das, was passiert ist – und dass es so vorhersehbar passiert ist. Diese Zerstörung, die jetzt diese große Flut mit sich gebracht hat, war eine vorhersehbare nach allen Berechnungen von Hydraulik-Ingenieuren und so weiter. Demzufolge: Diese Überraschung für die Welt ist für uns jetzt keine Überraschung, deshalb sind wir extrem frustriert.

Ist es der Klimawandel?

Anwar: Das kann man sich die Frustration sehr gut vorstellen. In der Berichterstattung hört man jetzt ganz oft verschiedene Ursachen, aber eine, die immer wiederkehrt, ist die Frage nach der Ursache Klimawandel. Wie sehen Sie das?
Reski: Klimawandel hat ja immer den Vorteil, dass dann alle dafür verantwortlich sind, aber keiner wirklich verantwortlich ist. Und dass vor allem die Politiker dann auch sagen können: Ja, aber wenn ihr mit eurem Zug durch die Gegend fahrt, dann seid ihr selbst dran schuld. Das ist nicht das Problem, der Klimawandel, für Venedig. Also, er trägt natürlich jetzt selbstverständlich dazu bei mit diesen verheerenden Starkregen und so weiter. Aber der Starkregen, das ist nicht der Grund für das Hochwasser in Venedig, das ist auch nicht der Klimawandel, sondern dieses Hochwasser ist von Menschen gemacht – und das über Jahrzehnte.
Die Autorin und Journalistin Petra Reski
Wütend auf die italienische Regierung: Autorin und Journalistin Petra Reski, die seit 1991 in Venedig lebt.© Paul Schirnhofer
Im Faschismus wurde Porto Marghera geschaffen, dieser Industriehafen. Dazu wurde ein sehr tiefer Kanal ausgebaggert, der sogenannte canale dei petroli, für die Erdöltanker, der sich im Laufe der Jahrzehnte - der ist an manchen Stellen sogar bis zu 57 Meter tief - weiter ausgegraben hat durch unterseeische Wirbel. Es gibt auch noch andere Kanäle, die weiter ausgegraben wurden, natürlich auch für die Kreuzfahrtschiffe, weil der Hafen von Venedig im Grunde gar nicht gemacht ist für Schiffe mit Tiefgang. Die Lagune ist ja im Schnitt nur anderthalb Meter tief, wurde dann ausgegraben und das hat eine große Erosion der Lagune zur Folge gehabt.
Dann kommt noch der zweite entscheidende Punkt: Neben dem canale dei petroli und der Ausgrabung der Kanäle in Venedig kam der Bau dieser Hochwasserschleusen hinzu. Dazu wurde beispielsweise eine riesige Betoninsel in die Öffnung der Lagune geworfen sozusagen – und dadurch verengte sich die Lagune zum Meer. Das bedeutet dann, wenn Flut ist, dass das Wasser schneller reinschießt und langsamer abläuft. Das hat zur Folge gehabt, speziell in diesem Jahr, bereits im April war das so, dass zum ersten Mal in der Geschichte Venedigs das Hochwasser in der Lagune höher war als im Meer, also nicht abfloss. Und das sind eben die größten Probleme von Venedig mit dem Hochwasser.

Das Schleusentor ist bereits verrottet

Anwar: Viele Faktoren, bei denen man merkt: eine von Menschen gemachte Katastrophe. Jetzt ist Hochwasser nichts Neues für Venedig. Da kann man sich auch fragen: Warum gibt es bis jetzt immer noch keine vernünftigen Schutzkonzepte?
Reski: Das Schutzkonzept sollten diese Schleusentore sein, die sich dann gegebenenfalls aufrichten, ab einem Höchststand von 1,10 Meter, was sie aber nicht tun. Jetzt wird da seit 13 Jahren dran gebaut, sieben Milliarden Euro, der größte Schmiergeldskandal der Nachkriegszeit in Italien. Jetzt vor ein paar Wochen, anlässlich des 13-jährigen Jubiläums des Baubeginns, versuchte man, diese Schleusentore aufzurichten, hat es aber nicht geschafft, weil die Scharniere bereits verrottet sind – wie alles. Jeder, der ein Boot hat, der weiß, was man ins Wasser legt, da setzen sich Muscheln an. Speziell in einer Lagune, die sehr nährstoffhaltig ist, wächst alles ganz schnell zu. Und dieses Konzept alleine – und das haben viele kritisiert – war bereits veraltet, als mit dem Bau begonnen wurde. Und jetzt natürlich mit dem Klimawandel, der kommt noch hinzu, weil der Meeresspiegel ansteigt, demzufolge wird diese Schleuse nie funktionieren, aber deren Fertigstellung wird von allen Politikern lauthals verlangt.
Anwar: Frau Reski, gibt es denn in der italienischen Öffentlichkeit Initiativen, die sich für einen besseren Lagunenschutz, für nachhaltige Konzepte einsetzen?
Reski: Im Grunde sind es ja nur die Venezianer selbst, auf 52.000 Einwohner kommen schon fast ebenso viele Bürgerinitiativen, die vor allem aber einen Widerhall mehr noch im Ausland als in Italien haben. Und das sind diejenigen, die sich eingesetzt - die haben dagegen gekämpft, gegen den Bau dieser Hochwasserschleuse, die kämpfen gegen die Kreuzfahrtschiffe. Aber wir sind ja sozusagen nur zu einer kleinen Minderheit in einem Themenpark verkommen. Ich gebe Italien, jedenfalls von der Regierungsseite – und jetzt nicht nur diese Regierung, sondern sämtliche vor ihnen, vor allen Dingen die vorher – die große Verantwortung dafür, dass denen Venedig eigentlich im Grunde völlig egal war und nur als Schaufenster für dieses besagte Schaulaufen benutzt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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