Architekt Marco De Michelis über Venedig

Politik trägt die Verantwortung für Rekord-Hochwasser

08:30 Minuten
Eine überflutete enge Gasse in Venedig, in der ein kleines Boot gestrandet ist.
Nicht nur Gassen versanken im Rekord-Hochwasser, sondern auch der Markusplatz und die Krypta des Markusdoms. © Alvise Busetto / imago images
Marco De Michelis im Gespräch mit Gabi Wuttke · 13.11.2019
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Das Hochwasser in Venedig hat Schäden in Millionenhöhe verursacht und sogar Todesopfer gefordert. Bürgermeister Luigi Brugnaro macht den Klimawandel dafür verantwortlich. Andere, wie der Architekt Marco De Michelis, sprechen von politischem Versagen.
Es ist das schlimmste Hochwasser in Venedig seit 50 Jahren. Die Schäden, die es bis jetzt angerichtet hat, sind so groß, dass Bürgermeister Luigi Brugnaro diese auf mehrere Hundert Millionen Euro schätzt. Auch Todesopfer hat es bereits gegeben.
Für die weitreichende Verwüstung macht der Bürgermeister der Lagunenstadt den Klimawandel verantwortlich. Viele Einwohner hingegen sprechen von politischem Versagen, so auch Marco De Michelis, Professor für Architekturgeschichte an der Università Iuav di Venezia.

Sturmflutsperrwerk Mose immer noch nicht funktionsfähig

"Es ist eine Katastrophe und der Anfang einer Apokalypse", sagt er und macht im nächsten Atemzug auf das seit 2003 in Bau befindliche Sturmflutsperrwerk Mose aufmerksam, das noch immer nicht funktionstüchtig ist. In dieses sind je nach Schätzung zwischen fünf und sieben Milliarden Euro geflossen: "Wir sollten das nicht vergessen: 1966 gab es das letzte außerordentliche Hochwasser: 1,94 Meter. Nach 50 Jahren ist die Situation die gleiche geblieben, wahrscheinlich schlimmer."
Schuld an der aktuellen Katastrophe ist nach De Michelis' Ansicht die Politik. Die Verantwortlichen für das Sturmflutsperrwerk hätten sich selbst bereichert, anstatt für die Stadt zu arbeiten. Viele von ihnen seien bereits im Gefängnis und viele weitere gehörten genau dort hin, ist sich De Michelis sicher.

Alles dreht sich nur noch um Tourismus

Natürlich gebe es Probleme, die nicht einfach zu lösen seien, wie zum Beispiel Erdbeben. Mit diesen könne man aber technisch umgehen, so De Michelis. Man schaue sich nur ein erdbebengefährdetes Land wie Japan an, in dem die Bauweise der Gefährdung angepasst wurde, so dass größere Katastrophen verhindert werden. "Aber Hochwasser ist kein Erdbeben", gibt De Michelis zu bedenken. "Hochwasser ist ein kleines Problem. Es ist ein Problem, das in den Niederlanden vor hundert Jahren gelöst wurde".
Mose müsse dringend funktionstüchtig gemacht werden, mahnt der Architekt. "Es wird in 20 Jahren total veraltet sein, aber in der Zwischenzeit müssen wir verhindern, dass ein weiteres Hochwasser in die Stadt kommt." Doch letztlich drehe sich alles nur noch um den Tourismus. Die Einwohnerzahl sei stetig gesunken, die Zahl der Touristen hingegen stetig gestiegen: Auf 50.000 Einwohner kämen nun 20 Millionen Touristen jährlich, sagt De Michelis.

"Venedig ist ein Problem der Welt"

Von daher sei Venedig etwas Einmaliges in der Welt, so einmalig, dass nicht nur die italienische oder die venezianische Politik nun gefordert seien, sondern auch die europäische und die internationale: "Venedig ist nicht ein Problem der Venezianer, nicht eines der Italiener, sondern ein Problem der Welt. 20 Millionen Weltbürger genießen die Schönheit von Venedig jedes Jahr."
Man könne zwar den Menschen nicht verbieten, die Lagunenstadt zu besuchen, aber gegen die immens gewachsene Zahl der Kreuzfahrtschiffe könne man durchaus etwas unternehmen. Nur fehle der Wille zur Regulierung, zur politischen Entscheidung, erklärt De Michelis.
"Wenn Venedig gerettet werden muss, dann könnte man den Hafen in der Stadt schließen. Man kann den Hafen zum Beispiel außerhalb der Lagune installieren. Jede Lösung verlangt eine politische Entscheidung. Und in Venedig wird seit 50 Jahren keine einzige getroffen."
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