Autor: Es geht um mehr als Bahnhof und Bäume

Moderation: Ulrike Timm |
Der Stuttgarter Autor Heinrich Steinfest hält Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Mappus angesichts der Atomdebatte nicht mehr für glaubwürdig. Mit "Wo die Löwen weinen" hat er einen Krimi zu Stuttgart 21 geschrieben.
Ulrike Timm: Auf dem Höhepunkt der Debatte um Stuttgart 21, da schien es, als marschiere Rot-Grün auf einen triumphalen Wahlsieg bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg zu. Dann kam Schlichter Heiner Geißler und die Koalition aus CDU und FDP machte mächtig Boden gut. Und nach der Atomkatastrophe in Japan steht es nach letzten Umfragen nun wieder 47 zu 44 für Rot-Grün vor Schwarz-Gelb. Wo die Kreuzchen am Sonntag tatsächlich gemacht werden, das wissen wir dann, aber wie sehr die Wut den Wahlbürger bestimmt und wie stabil oder wie wankelmütig der Wutbürger agiert, darüber wollen wir jetzt schon reden mit Heinrich Steinfest, er ist Krimiautor, Bahnhofsgegner, als Österreicher am Sonntag nicht wahlberechtigt, aber überhaupt nicht neutral. Ich grüße Sie, Herr Steinfest!

Heinrich Steinfest: Ja hallo, grüß Gott!

Timm: Herr Steinfest, Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus war wie Wenige für die Atomkraft, jetzt ist er ebenso entschieden dafür, dagegen zu sein. Ihre Krimis, die leben von verblüffenden Pointen. Juckt es Sie, aus Mappus eine absolut glaubwürdige Romanfigur zu machen?

Steinfest: Na ja gut, wie Sie schon angedeutet haben, die Groteske, das Skurrile, das scheinbar Unwirkliche im Realen, das ist mein Thema. Aber ich habe ja auch immer betont, dass es jetzt nicht sozusagen eine Art von Fantasy ist, sondern dass es natürlich das ist, wie ich die Wirklichkeit wahrnehme. Und diese Wahrnehmung wird dann durch solche Kapriolen und durch solche Stellungnahmen einfach immer wieder bestätigt.

Timm: Na, umso mehr wäre es doch ein Stoff.

Steinfest: Ja, gut, ich habe ja schon einen Roman zu Stuttgart 21 geschrieben, "Wo die Löwen weinen", und gut, ich habe mich immer mit diesen realen Aspekten eben auf meine Art und Weise auseinandergesetzt.

Timm: Stuttgart 21 und Atomkraft, im Grunde, Herr Steinfest, sind das zwei Debatten. Speist sich die Gegnerschaft trotzdem aus einem Potenzial?

Steinfest: Ja, ich sehe das ja auch nicht so, das ist ... Der entscheidende Aspekt, denke ich, beim Protest gegen S 21 war ja die Argumentation, zu sagen: Wir wollen nicht warten, dass jene Katastrophen, die wir hier voraussehen, die wir prognostizieren, eintreten, und dann kann man fünf, sechs, sieben Jahre später stolz sagen, ja, seht her, genau das ist passiert, und Politiker werden dann wieder sagen, ja, mit dem haben wir jetzt nicht gerechnet, dass dieses klitzekleine Restrisiko nun doch eine Auswirkung hat. Ich denke, dass ... darum ist das jetzt zu entscheiden, der Aspekt. Es gibt in Flandern das Sprichwort: Freud und Angst sind Vergrößerungsgläser. Ich denke, die Angst, die wir jetzt auch ganz stark natürlich erleben durch die Ereignisse in Japan, die bilden so ein Vergrößerungsglas auf eben das, was da ein ... diese ganzen euphemistischen Äußerungen wirklich darstellen, eben das von dem klitzekleinen Restrisiko und dass dann eben auch zum Beispiel ein bayrischer Umweltminister sagt, das hätte keiner voraussehen können. Da müssen ja viele lachen, unter Anführungszeichen, lachen, die also schon in den letzten zwei Jahrzehnten hier vehemente Kritik geübt haben.

Timm: Ich meinte mit Protestpotenzial eben mit der Gegnerschaft Stuttgart 21 und zur Atomkraft, dass doch das womöglich die ähnlichen oder die gleichen Menschen sind, und dass da womöglich auch so eine schwäbisch-pietistische Haltung dahintersteckt.

Steinfest: Ja, also das sind sicherlich die gleichen Menschen. Ich denke nur, wenn es jetzt für die Wahl ausschlaggebend ist, dann könnte das auch damit zusammenhängen, dass ein Teil der Bürgerschaft, so habe ich das zumindest aus Gesprächen erfahren, die bisher doch noch unsicher waren, ob sie überhaupt zur Wahl gehen sollen, jetzt hier noch mal so einen Schub bekommen haben, sozusagen zumindest strategisch zu wählen.

Timm: Das hieße ja, der Wutbürger hält sich raus. Kann das sein – wenn die nicht hingehen?

Steinfest: Wie meinen Sie, dass der Wutbürger ... Also erstens Mal glaube ich, ich sage ja immer, es ist kein Wutbürger, sondern es ist ein Bildungswutbürger, und das ist eine sehr aufgeklärte, eine sehr, sehr mündige Klientel, die natürlich ja auch das Atomthema beziehungsweise das Energiethema immer auch schon in dieser Bahnhofsgeschichte integriert hatte. Es ging immer nicht nur um den Bahnhof, nicht nur um die Bäume, es geht um die gesamte Gesellschaft, es geht um unsere Kinder, es geht darum, wie wir mit Tieren umgehen, wie wir mit Ressourcen umgehen. Das führt ja auch zwangsläufig natürlich zu einer Energiedebatte. Die habe ich hier eigentlich sozusagen im Rahmen der Bahnhofsdebatte eigentlich auch immer erlebt gehabt. Also es ist nicht so, dass das jetzt ... da kommt jetzt ein ganz neues Thema hinein, das vorher nicht relevant war – das war schon Teil dieser Diskussion über die Frage: Wie wollen wir eigentlich in Zukunft leben?

Timm: Nun kam der Unmut ja in Wellen, Herr Steinfest. Wenn man sich auf die Umfragen bezieht, mal mehr, mal weniger für die bestehende Koalition oder ihre Ablösung – das schwankte sehr, man kann auch böse sagen, je nach Schlagzeilen. Ist der Wutbürger oder von mir aus auch der Bildungswutbürger per se ziemlich wankelmütig?

Steinfest: Ich habe das so nicht erlebt, weil zumindest, wie ich ... also hier in Stuttgart habe ich ja wahrgenommen, dass die Leute, die sich hier kritisch äußern, die auf die Straße gehen, die haben ja nicht ihre Position geändert, auch nicht im Zuge des Narkotikums Schlichtung.

Timm: Nein, aber die Umfragen kennen Sie ja auch, und die schwanken doch sehr.

Steinfest: Ja, aber da habe ich das Gefühl, dass hier einfach auch ... ich meine, man muss ... Es geht ja hier nicht nur um Stuttgart, es geht natürlich auch um Baden-Württemberg, dass hier natürlich auch eine gewisse Mobilisierung stattgefunden hat, die zum Beispiel eben der Ministerpräsident durch sein napoleonisches Auftreten gewährleisten konnte. Das ist ja auch ... dass diese Franz-Josef-Strauß-Gebärden oder das -Gebaren immer noch auch eine bestimmte Wirkung hat, auch als Souveränität ausgelegt wird, während jetzt ein gewisser Umschwung wiederum da ist, dass, wenn man eben sagt, ja, im Endeffekt ist es nicht mehr glaubwürdig – also das ist mein Eindruck, dass diese Glaubwürdigkeit jetzt, gerade des Ministerpräsidenten, da schon sehr gelitten hat.

Timm: Dass die Gegnerschaft gegen Ministerpräsident Mappus, sei es von Stuttgart 21, sei es von den Atomkraftgegnern, dass das eine stabile ist, das ist glaube ich sehr klar. Trotzdem fiel es ja auf bei den Leuten, die da nicht so zum etablierten Kern gehören, dass es eben Wogen gab, Wogen – die Regierung muss sofort abgesetzt werden, Rot-Grün, riesiger Wahlsieg, und dann ging es wieder ein bisschen runter. Das waren schon auffällige Wellen, sodass man fast den Eindruck hatte: Es braucht den Kick, sonst flaut die Wut ab und die Friedens- und AKW-Bewegung war in den 1980ern einfach konsequenter. Oder ist das zu böse gedacht?

Steinfest: Ach, ja gut, ich meine, ich als Österreicher habe da nicht so ein Problem mit so einer Wellenbewegung. Und ich meine, das gehört zu Bewegungen, auch, ich würde mal sagen, auch die Krise, das ... Ich war doch eher erstaunt, wie sehr sich der Protest über das gesamte Jahr 2010 erhalten hat. Also ich hätte jetzt eher gedacht, dass das nach einiger Zeit abflaut und da ist eigentlich das Gegenteil der Fall. Und es war eigentlich erst die Schlichtung, die da so einen Einbruch bedeutet hat und wo dann schon viele dann auch glaube ich resigniert haben. Aber das hat sich jetzt auch wieder massiv geändert. Und ich muss Ihnen sagen, ich habe manchmal auch den Eindruck, als wollte man gerade von außen das ein bisschen kleinreden, als hätte man Angst, auch andere Orte könnten sich sozusagen verstuttgartern und hier so ein neues kritisches Bürgertum entstehen, auf was wir ja eigentlich stolz sein sollten. Diesen Wankelmut kann ich jetzt eigentlich nicht so ganz nachvollziehen. Hier geht es ja auch immer wieder mal um ein paar Prozent im Endeffekt. Aber dieses kritische Bürgertum, das sehe ich also eigentlich da unverändert kraftvoll und stabil und etwas durchaus Positives, was uns ja auch – ganz egal, wie die Wahlen ausgehen – ich meine, das muss uns ja erhalten bleiben, diese Diskussion, dieses Kommunikationsbedürfnis, was jetzt entstanden ist, also das wäre eine Tragödie, wenn das dann einfach wieder vorbei ist, und jetzt hat man da halt sozusagen mal ein heftiges Jahr und das war's. Ich sehe, dass das auf jeden Fall weitergehen wird.

Timm: Herr Steinfest, das Wort "verstuttgartern", das klaue ich Ihnen bei Gelegenheit, das finde ich ganz wunderbar. Aber wenn ich Ihnen zuhöre und Sie so sehr darauf pochen, diese Haltung hat sich erhalten und gleichzeitig doch die Wellenbewegungen wahrnehmen und Ministerpräsident Mappus, wie Sie ihn charakterisieren, dann habe ich doch ganz schwer den Eindruck, je nach Wahlausgang wird die Krimihandlung in Ihrem Kopf am Sonntag so oder so ausfallen. Kann man da schon was verraten, oder ist da gar nichts in der Mache innerlich?

Steinfest: Nein, nein, also ich habe mit diesem einen Buch meine Stuttgartliebe thematisiert und auch meine Polemik gegen die herrschende Politik formuliert, und bin jetzt wieder mit ganz anderen Geschichten beschäftigt. Aber als Bürger – und ich würde mal sagen denke ich auch als Essayist – werde ich mich dann weiter diesem Thema widmen.

Timm: Herr Steinfest, Sie als Reingeschmeckter, als Österreicher und als Beobachter – wir brauchen dringend noch Ihren Tipp für Sonntag. Wie geht es aus?

Steinfest: Ja, also gut, man darf ja hoffen – also ich denke mal, dass wir demnächst den ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland haben.

Timm: Steile These! Ich danke Ihnen, Heinrich Steinfest war das, Krimiautor, Bahnhofsgegner und als Österreicher am Sonntag in Stuttgart nicht wahlberechtigt. Herzlichen Dank fürs Gespräch!

Steinfest: Gerne!

Links bei dradio.de:
"Die Leute leben wieder" - Roman über "Stuttgart 21" aus der Feder eines Gegners
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