Autobiografie von Avi Primor

Schräg und historisch unhaltbar

Avi Primor
Avi Primor hat eine zwiespältige Autobiografie vorgelegt. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von Birgit Kaspar · 14.02.2015
In seiner Autobiografie zeigt sich der israelische Ex-Botschafter in Deutschland, Avi Primor, einmal mehr als Diplomat. Aber auch als Propaganda-Profi. Irritierend sind geschichtsklitternde Betrachtungen der israelischen Geschichte – insbesondere der Kriege des Landes.
Als Avi Primor am Ende seiner diplomatischen Laufbahn von 1993 bis 1999 Botschafter in Deutschland wurde, vollendete er ein Herzenswerk: Vielleicht mehr als jeder andere israelische Diplomat baute er eine solide Brücke zwischen diesen beiden Staaten, deren Bürger eine komplizierte und schmerzhafte Vergangenheit miteinander verbindet.
Es ist ihm nicht leicht gefallen. In jungen Jahren war sein Deutschlandbild sehr kritisch. Der 1935 in Tel Aviv Geborene warf den Deutschen vor, die Gräuel der Nazizeit zu verdrängen.
"Für uns stand daher fest, dass man mit Menschen, die ihre Identität verschleiern, keinen ehrlichen Dialog führen konnte."
Ein Maßstab, den Primor allerdings nicht auf den Umgang der Israelis mit ihrer eigenen Geschichte anwendet. Doch davon soll später die Rede sein.
So wie die Deutschen mit der Zeit ihre Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit änderten wandelte sich auch Primors Bild.
"Je mehr ich über den deutschen Umgang mit der Nazivergangenheit lernte, desto mehr kam ich zu der Schlussfolgerung, dass die Deutschen in Sachen Gewissensforschung vorbildlich sind (...) und zwar auch deshalb weil es weltweit kein anderes Beispiel dafür gibt, dass ein Land Mahnmale zur Erinnerung an die eigene Schande errichtet."
In weiten Passagen spricht der Diplomat
Die Kapitel, die sich mit seiner Beziehung zu den Deutschen beschäftigen, sind die überzeugendsten. Sie sind ausführlich, in klarer, schnörkelloser Sprache, gespickt mit Anekdoten. Hier scheint der Mensch Primor mit seinen Fragen und Zweifeln durch, eine Entwicklung der Person wird erkennbar. Leider hat das Buch weite Passagen, in denen vor allem der Diplomat Primor spricht. Über seinen zweifellos facettenreichen Werdegang, seine Zeit im Außenministerium, die ersten Jahre in Afrika, die Zeit in Paris. Der Mensch wird hier aber kaum greifbar, die Erzählung wirkt kontrolliert. Da, wo es politisch interessant werden könnte, geht sie nicht in die Tiefe.
Brücken hat Primor, der sich als überzeugten Zionisten bezeichnet, auch in Afrika, Paris und Brüssel gebaut. Denn es war eines seiner Hauptanliegen, die - wie er sie nennt - "diplomatische Belagerung Israels" zu durchbrechen. Schon als Kind, so schreibt Primor, wollte er sein Leben in den Dienst Israels stellen.
"Warum der Auswärtige Dienst? Weil auch er eine Art Verteidigung des Staates bedeutete, weil auch er bedeutete, für das Überleben des Staates zu kämpfen."
Israel habe inzwischen viel erreicht, meint Primor. Aber das langfristige Überleben als demokratischer Judenstaat sei auch heute noch nicht garantiert. Der Friede mit den arabischen Nachbarn sei dafür unabdingbar.
"Ohne Frieden mit den Palästinensern wird ein Frieden mit unseren Nachbarstaaten nicht möglich. Solange die Palästinenser nicht in Würde leben können, solange ein palästinensisches Kind nicht die gleichen Chancen hat wie ein israelisches, werden wir hier nicht zur Ruhe kommen."
Avi Primor, das zeigt seine Autobiographie, glaubt an Vertrauensbildung und ehrlichen Dialog. Er unterstreicht die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen bei der Völkerverständigung. Auch deshalb hat er nach seiner Diplomatenkarriere viel Energie in ein trilaterales Universitätsprojekt gesteckt, das israelischen, palästinensischen und jordanischen Studenten an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf einen gemeinsamen Aufenthalt ermöglicht.
Altbekannte israelische Geschichtsmythen
Doch in dem Buch begegnen wir auch einem anderen Avi Primor: Dem Propagandaprofi, der dem Leser die altbekannten israelischen Lesarten ihrer Geschichte oder gar Mythen verkaufen will, die nachweislich nur bedingt mit der historischen Realität zu tun haben.
Ein paar Kostproben: Die Araber Palästinas hätten 1947 den UN-Teilungsplan abgelehnt, weil sie anders als die Juden gar keinen eigenen unabhängigen Staat gewollt hätten.
"Sie entfesselten daher einen Krieg gegen den jüdisch-palästinensischen Nachbarn, mit dem ausdrücklichen Ziel, den jüdischen Staat im Keim zu ersticken."
Die moderne historische Forschung zeichnet ein anderes Bild. Auch die arabischen Bewohner Palästinas wünschten sich einen unabhängigen Staat. Zudem hatte der Krieg zwischen Arabern und Juden auf palästinensischem Boden schon längst angefangen. Denn jüdische Milizen hatten schon vor der Ausrufung des Staates Israel mit der Vertreibung der Palästinenser begonnen. Ähnlich schräg und bei genauer Betrachtung historisch unhaltbar geht es an einigen anderen Stellen zu. 1977 gab Primor ein kurzes Gastspiel beim Geheimdienst Mossad. Es gehörte zu seinen Aufgaben, beim Schmieden eines politischen Paktes mit den Christen im Libanon zu helfen. In Nacht- und Nebelaktionen fuhr er mit israelischen Kriegsschiffen übers Mittelmeer ins libanesische Jouniyah.
"Jouniyah war für mich eine neue Welt – nicht nur menschlich und politisch, sondern auch kulinarisch. Die köstlichen und üppigen Mahlzeiten, mit denen unsere Gastgeber uns empfingen, waren für einen Israeli, der aus einem Land kam, das damals kaum etwas von guter Küche verstand, ein Paradies. (…) Die Idee einer Verbindung zu den Christen im Libanon erwies sich als Fehlschlag. Ihre Schwäche zeigte sich, als es den Christen 1982 mit Hilfe der israelischen Armee gelang, die Macht im Libanon zu übernehmen. Der Grund: Die Machtübernahme kam für die Christen zu spät."
Kein Wort von den brutalen israelischen Militärinvasionen in den Libanon 1978 und 1982, die Teil des Plans waren, die rechtsradikalen christlichen Libanesen um Bachir Gemayel an die Macht zu bringen. Es sind solche Vernebelungen und Auslassungen, die der Glaubwürdigkeit des Buches großen Schaden zufügen. Auch vorgespielte oder tatsächliche Naivität untergräbt den Pakt der Aufrichtigkeit zwischen Leser und Autor, der einer Autobiographie zugrunde liegt. All dies lässt den Leser, der den Nahen Osten kennt, mit einem schalen Nachgeschmack zurück. Das ist umso bedauerlicher, als man bei der Lektüre auch den Familienvater angetroffen hat, der hilflos zusehen muss, wie seine erste Frau an Krebs stirbt. Und den Brückenbauer mit seinen Visionen, seinen Zweifeln und Sorgen. Aber vielleicht ist es dieser unüberbrückbare Widerspruch, der den Menschen Avi Primor ausmacht.

Avi Primor: "Nichts ist jemals vollendet" - Die Autobiografie
Quadriga Verlag, Köln 2015
431 Seiten, 22,99 Euro; als E-Book 16,99 Euro

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