Autobahnkirche

Beten an der A40

Die Autobahnkirche in Bochum an der A40 mit der Aufschrift "Komm mal zur Ruhe" und "Deine Autobahnkirche".
Die Autobahnkirche in Bochum an der A40 mit der Aufschrift "Komm mal zur Ruhe" und "Deine Autobahnkirche". © Deutschlandradio / Klaus Deuse
Von Klaus Deuse · 12.09.2015
Die meisten Autobahnkirchen liegen am Rand von Fernstrecken, eine bildet die Ausnahme: Sie befindet sich mitten in Bochum, unweit der A40, der Hauptverkehrsader durch das Ruhrgebiet. Wer sind die Menschen, die von der A40 abfahren, um in die Kirche zu gehen?
Die A 40 in Höhe der Abfahrt Bochum-Hamme, kurz vor 17 Uhr. Über 100.000 Fahrzeuge rollen jeden Tag über diese Hauptverkehrsader des Ruhrgebietes. Im Berufsverkehr hat auf der überlasteten A40 zwischen Dortmund und Essen niemand Zeit zu verlieren. Trotzig prangt in großen Lettern an der Fassade eines roten Backsteingebäudes die Aufforderung "Komm zur Ruhe". Schon von weitem gut sichtbar ist der 30 Meter hohe Turm mit einem Kreuz auf der Spitze: Autobahnkirche Ruhr. Bochum, Abfahrt Hamme.
Aus dem fließenden Verkehr biegt ein Auto mit Dortmunder Kennzeichen ab, hält auf dem Parkplatz vor der Kirche. Der Fahrer steigt zielstrebig die wenigen Stufen zum Gotteshaus hinauf und öffnet die Tür.
Trotz dicken, roten Backsteinmauern hört man, wenn auch gedämpft, die Autobahn. Eine für den 57-jährigen Frank Stollmann inzwischen vertraute Atmosphäre. Auf der Heimfahrt nach Dortmund kommt er häufiger vorbei, um die Belastungen des Tages abzuschütteln, um sich im Kopf und in der Seele für die Familie frei zu machen.
"Ich habe vor geraumer Zeit von Bekannten gehört, dass es dort eine Kirche gibt. Und das hat mich doch sehr, sehr neugierig gemacht. Und ich bin dann mal von der A40 abgefahren und in diese Kirche rein. Ich bin wirklich erstaunt und es hat mich sehr gefreut, dass ich Ruhe und Einkehr dort gefunden habe. Seitdem ich das einmal gemacht habe, mache ich das eigentlich wiederkehrend."
Dann setzt sich der bekennende Katholik in eine der hinteren Stuhlreihen mit Blick auf den Altar einer Gemeinde der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, versinkt in ein kurzes Gebet und blickt auch nicht auf, als sich die Tür zum Vorraum öffnet. Pastor Michael Otto, der vom Gemeindebüro aus sehen kann, wer kommt und geht, hält sich diskret im Hintergrund. Die Menschen, sagt er, suchen Abstand zur Außenwelt und nicht das Gespräch mit einem Pastor. Die meisten sind Pendler.
"...die also von der Arbeit nach Hause fahren und einfach ein Stück Ruhe suchen, abschalten oder eben auch Begegnung mit Gott in dieser Stille."
"Das mache ich für den lieben Gott"
Draußen, im Vorraum, ordnet die 75-jährige Helga Osthues die Broschüren in einem Regal, stellt saubere Gläser neben Mineralwasserflaschen, die den Besuchern zur Erfrischung zur Verfügung stehen. Seit Jahren macht sie das schon, ehrenamtlich.
"Das mach ich für den lieben Gott, ja, dass die Menschen zu uns kommen."
Und dass die Kirche ihrer Gemeinde als Autobahnkirche für alle offen steht, darüber ist sie aufrichtig froh. Ist doch egal, sagt die Frau aus dem Ruhrgebiet, wo die Menschen zu Gott finden. Hauptsache sie kommen überhaupt.
"Und wir haben ja auch Leute hier, die gehen zum Altar, beten und setzen sich dahin und kommen zur Ruhe dann, ne."
Anja Wegener tritt in ein. Die Projektmanagerin aus Bochum, die mit dem Auto beruflich viel unterwegs ist, hat einen Anker im bewegten Leben gesucht und in der Autobahnkirche gefunden. Manchmal kommt sie, so wie heute, allein, manchmal macht sie Station mit ihren zwei Töchtern und ihrem Mann.
"Bevor wir dann in Urlaub fahren oder ich beruflich weiter unterwegs bin, finde ich es ganz schön, da noch einen ruhigen Punkt, einen ruhigen Moment zu haben, in sich zu gehen, zu sammeln oder zu erhoffen, dass man gesund wieder nach Hause kommt."
Jeder Besucher ist willkommen. Aus welchem Grund auch immer. Aber eine Statistik führt Pastor Michael Otto nicht.
"Die einzige Zahl, die wir eruieren können, geht über den Kerzenverbrauch. Und da liegt es im Durchschnitt bei uns bei zehn Kerzen pro Tag, wo wir entsprechend halt nachkaufen."
"Lieber Gott, beschütze unsere Familien"
Mehr als die Zahl der Kerzen sagt wohl das dicke Anliegenbuch aus, in das Besucher Bitten und Sorgen eintragen können.
Pastor Otto gewährt einen anonymen Einblick.
"Ich lese mal eine Passage vor: Lieber Jesus Christus helfe mir bitte dabei, wieder lachen zu können. Erlöse mich von diesen bösen Gedanken. Helfe mir, eine Arbeit zu finden, die mir Spaß macht und helfe mir, eine Liebe zu finden, die mich glücklich macht."
In dem über 1000-seitigen Buch finden sich auch Einträge von Kindern.
"Lieber Gott, beschütze unsere Familien und Freunde. Pass auf Kims Tante Dorothee auf und auf Katis Meerschweinchen. Amen."
Und manche wollen sich auch einfach nur bedanken.
"Ich freue mich immer wieder, hier einige Augenblicke verweilen zu können. Die Hektik und den Stress draußen zu lassen, ein Gebet zu sprechen und anschließend etwas zufriedener den Heimweg anzutreten. Danke für diesen Ort."
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