Gott wohnt an der A45

Von Elin Rosteck · 15.06.2013
Am 16. Juni ist der Tag der Autobahnkirche. Die Hinweisschilder hat wohl jeder schon mal gesehen. Aber wer besucht diese Orte? Vor drei Wochen wurde an der A45 von Dortmund nach Frankfurt die 40. Autobahnkirche der Republik eröffnet. Ein erstaunlicher Neubau im religiösen Siegerland.
Ganz schön laut hier auf dem Autohof Wilnsdorf. Ein riesiger Parkplatz mit Tankstelle. Ein Fast-Food-Laden, eine Spielhalle, ein Hochhaushotel. Ein unwirklicher Ort für eine Kirche. Und doch - hier ist sie gebaut. An der A 45 zwischen Siegen und Frankfurt. In 435 Meter Höhe mit einem atemberaubenden Blick über das Siegerland und die Autobahn. Strahlend weiß, mit zwei Türmen und futuristischen Formen.

Ein langer Gang zwischen weißen Wänden führt mich wie durch einen Trichter Richtung Eingang. Mit jedem Schritt soll man Abstand gewinnen vom Krach der Welt, so steht´s im Internet. Die Autobahnkiche Siegerland hat ihre eigene Homepage.

Drinnen Stille. Es riecht nach Spanholz. Über mir spannt sich ein Gewölbe ineinander gesteckter Spanplattenstreifen, die einen luftigen Bogen bilden. Fragil und sehr besonders.

Ich bin nicht allein hier. Ein schlanker Mann rückt mit einem großen Stativ ein paar Schritte weiter in den Raum:

"Ich bin Architektur-Fotograf. Komme aus Kamen und hab jetzt auch Fotos von der Kirche gesehen und fand die spannend und hab mich auch auf den Weg gemacht."

Er schaut durch seine Linse und löst mehrmals hintereinander aus.

"Jetzt fotografiere ich die Holzwand, die Schwünge von dem Holz im Kontrast zu den harten Kanten außen; das Warme, verschiedene Ausschnitte, Details, Gesamtansichten. Ich wollte mal eine umfangreiche Serie machen von der Kirche, tagsüber bis in die Abenddämmerung hinein."

1,5 Millionen hat der Bau gekostet. Allesamt Sponsorengelder, die ein Förderverein bei Firmen und Privatleuten im Siegerland aufgetrieben hat. Autobahnkirchen sind offen für jeden, egal welche Konfession, welcher Glauben.

"Ich fahre hier immer die A45"
Vier Frauen betreten die Kirche. Auf einen Schlag bringen sie die Statistik ins Wanken. Drei Besucher pro Stunde pro Autobahnkirche inklusive nachts habe ich ausgerechnet, anhand der durchschnittlichen Besucherzahlen, die mir die Pressestelle genannt hatte.

"Wir sind zu Gast - da haben wir die Türmchen gesehen. Ich fahre hier immer die A45 und hab gedacht, das musst du dir mal ansehen. Aber dann hat man ja immer schnell, dass man wieder nach Hause kommt, und heute sind wir zu Gast bei der Dame. Von ihrem Haus aus kann man sie sehen, die Türme, jetzt fahren wir mal und schauen uns die Kirche an."

Sie strahlen und schauen sich um. Hier zwei Bretter mit Prospekten; da das schmale Stück Möbel mit den Teelichtern, die die Besucher kaufen und anmachen können. Etwa zwanzig Stück brennen schon.

Der Fotograf dürfte viele der Besucher gesehen haben; er ist seit heute Mittag hier:

"Ich konnte jetzt nicht beurteilen, ob die architektonisch interessiert waren oder in die Kirche wollten, um hier mal Ruhe zu finden. Das konnte ich jetzt nicht beurteilen."

Draußen rücken die Nächsten an, Oma, Opa, Enkeltochter, auch aus der Gegend hier:

"Für ne Kirche, gut, ist Geschmackssache. Aber es ist ne gute Sache, dass sie hier ist. Ja, wenn jemand hier Sorgen hat, oder Lkw-Fahrer, die hier übernachten, ist ne Möglichkeit, sich hier zu besinnen, ne."

Ich schaue mich auf dem LKW-Parkplatz um, dem Rastplatz für die Rastlosen, die quer durch Deutschland reisen. "Ralf" steht auf dem Schild im Führerhaus, Ralf geht um sein Fahrzeug herum. Auch ihm will die Autobahnkirche Ort des Rückzugs und der Einkehr sein. Er war noch nie in einer drinnen, sagt er:

"Ich brauch sie nicht. Ich schließ mich ein, dann habe ich meine Ruhe. Da sind wir oft genug allein."

Er zeigt mit dem Kinn auf sein Führerhaus und geht Kaffeetrinken. Ich frage weiter.

Zwei Fernfahrer: "Ich war in der Kirche, bin aber ausgetreten, gerade." / "Vom Bau her, okay ... aber wenn Sie da mal nei gehen, da kriegen sie keine Luft. Das Holz dünstet so sehr aus, da halten sie´s keine fünf Minuten aus. Mir taten die alten Leute leid, die da saßen und gebetet haben." / "Is aber modern." - "Ja aber is aber alles nur Holz und Billigbau." - "Is ja von Ikea!"

Eine Autobahnkirche, die die Menschen erreicht
Gerade strömen schon wieder mehrere Leute auf einmal aus der Kirche. Drinnen sind jetzt noch ein Ehepaar, ein alter Mann, der Fotograf. Diese Autobahnkirche erreicht die Menschen. Es brennen jetzt noch mehr Kerzen als vorhin.

Das Anliegenbuch ist schon zu einem Drittel vollgeschrieben, obwohl die Kirche gerade seit drei Wochen geöffnet ist. "Gott gebe meinem Mann seinen Verstand wieder"; steht da zu lesen; oder "Bitte lieber Gott, lass unseren Sohn aus seinen Fehlern lernen"; "Herr, gib den Opfern des Hochwassers Kraft, durchzuhalten". Frische Wiesenblumen stehen auf dem Altar; ein Farbtupfer in all dem Weiß. Der Fotograf drückt mehrmals ab.

Ein alter Mann kommt mit kleinen, langsamen Schritten auf mich zu.

"Heute bin ich hier, um die Blumen nachzusehen. Und ein Opferlicht anzuzünden. Und ein bisschen Stille zu finden. Ich freu mich, wenn ich hier allein bin. Aber meistens ist hier jemand."

Eigentlich freut er sich über die Besucherzahlen. Diese Autobahnkirche ist sein Kind. Er ist der langjährige Vorsitzende des Fördervereins. Wir waren nicht verabredet. Hier trifft man Menschen, einfach so. Das ältere Paar, das sich schon eine ganze Weile auf den glatt lackierten Sitzwürfeln ausruht, den Blick auf das Sonnenlicht gerichtet, das über dem Altar einfällt und den Innenraum erleuchtet, hat Tränen in den Augen.

Sie kommen gerade von einer Reise zurück, Besuch bei einer Kranken:

"Die Frau trägt das mit einer Würde, ein Gelassenheit, das ist beeindruckend. Das würde kein Zweiter so hinkriegen." / "Zu Hause, kann nicht mehr essen, nur noch Astronautenkost; Rollstuhl. Da fährt man schon dankbar nach Hause."

Sie nicken mir zu und gehen Hand in Hand nach draußen. Sie haben den stillen Moment, das Tröstliche hier gefunden. Mitten auf dem lauten Autohof, direkt an der A45 zwischen Siegen und Frankfurt.