Hildegard Müller ist seit Anfang 2020 Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Die gelernte Bankkauffrau und studierte Diplomkauffrau saß von 2002 bis 2008 für die CDU im Deutschen Bundestag und war von 2005 bis 2008 Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Von 1998 bis 2002 war Müller die erste weibliche Bundesvorsitzende der Jungen Union und gehörte zudem von 1998 bis 2008 dem CDU-Bundesvorstand an. Seit 1999 ist sie stellvertretende Landesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU/CSU (MIT) in Nordrhein-Westfalen und seit 2001 auch Mitglied des Bundesvorstandes der MIT. Nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik ging Hildegard Müller zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW), wo sie bis April 2016 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung war. Danach war sie bis 2019 als Vorständin für Netz & Infrastruktur bei der innogy SE tätig. (*)
"Es gibt ein Zuviel an Verkehr"
29:31 Minuten
VDA-Chefin Hildegard Müller sieht ihre Branche vor enormen Anstrengungen, um das fossile Zeitalter hinter sich zu lassen. Das Auto müsse "neu erfunden werden". Aus Autoherstellern müssten "Mobilitätsanbieter" werden. Und die Politik müsse liefern.
Eine Mehrheit der Deutschen will auch in den Städten nicht auf automobilen Individualverkehr verzichten, glaubt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA).
Geboten sei jetzt nicht generell "Abschied von der autogerechten Stadt". In Kleinstädten und auf dem Lande sei der private Pkw ohnehin weiterhin unabdingbar. Aber wir befänden uns mitten in "einer der spannendsten gesellschaftlichen Diskussionen" über eine "neue Mobilität". Nicht alles müsse "auf das Auto ausgerichtet sein". Wenn es jedoch aus Gründen des Klimaschutzes und des Umweltschutzes weniger Verkehr geben solle, müssten alle "miteinander und nicht gegeneinander" an Konzepten der Vernetzung, des Sharings und für einen effektiven ÖPNV arbeiten.
Von Autobauern zu Mobilitätsdienstleistern
Am 7. September beginnt die internationale Automobilausstellung – erstmals in München und nicht mehr in Frankfurt. Schon der Name IAA Mobility signalisiere ein verändertes Selbstverständnis der Messe mit angeschlossenen Veranstaltungen. Es präsentieren sich "nicht nur reine Automobilanbieter", sondern zum ersten Mal bei einer Automesse auch Fahrradhersteller. "Es geht nicht mehr 'nur' um das Auto, sondern es geht um ein komplett verändertes Lebens- und Mobilitätsverhalten." Selbstverständlich wollte dabei aber auch die Automobilindustrie ihren Teil an "Lösungen anbieten". Für die aktuelle Situation müsse man insgesamt sagen: "Es gibt ein zu viel an Verkehr."
Politik muss ihre Hausaufgaben machen
"Wir verpflichten uns zur Klimaneutralität. Wir ringen um das Wie und nicht um das Ob", sagt Müller. Die Autohersteller und Zulieferer machten gewaltige Anstrengungen, um den Strukturwandel hin zu klimafreundlicheren Antrieben zu schaffen - vor allem in Richtung E-Mobilität. Allerdings betont die Vertreterin der Automobilindustrie, dass es schließlich auch von anderen Akteuren abhänge, ob der Abschied von der fossilen Energie so schnell gelingt, wie politisch vorgegeben.
Eines der größten Probleme ist aus Sicht der VDA-Präsidentin der schleppende Ausbau der Lade-Infrastruktur für E-Fahrzeuge. Die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit gehe aufseiten der politisch Verantwortlichen immer weiter auseinander. Die Verbraucher seien offen für das Elektroauto, aber eine der ersten Fragen vor einer Kaufentscheidung laute: "Wie sieht es aus mit der Lade-Infrastruktur?" Diese flächendeckend aufzubauen, sei nichts, was "die Autoindustrie alleine leisten könne".
Wandel wirtschaftlich und sozial verträglich gestalten
Bei der laufenden Transformation setze sie auf die Verbindung zwischen Ökonomie und Ökologie. Sie werbe dafür, in Europa "Wachstum, Wohlstand nicht aus den Augen zu verlieren". Immerhin gehe es um Millionen Arbeitsplätze in der EU. Der aktuelle Strukturwandel in der Automobilindustrie betreffe wesentlich mehr Jobs als der Kohleausstieg. Die Herausforderungen seien entsprechend "gewaltig". Sie gehe von einer "hohen sechsstellige Zahl von Arbeitsplätzen aus, die betroffen sind von dieser Veränderung" so die VDA-Chefin. Auch wenn neue Arbeitsplätze entstünden, würde "nicht jeder für die neuen Jobs qualifizierbar sein". Da stellten sich auch gravierende soziale Fragen, denen man branchenübergreifend begegnen müsse.
Mobilität unterbelichtet in allen Wahlprogrammen
Egal, welches Parteiprogramm für die in wenigen Wochen anstehenden Bundestagswahlen man betrachte – keines befasse sich umfassend mit der ganzen Komplexität des anstehenden notwendigen Wandels im Verkehrssektor. Die Zusammenhänge müssten aber "offen angesprochen und diskutiert werden."
Hildegard Müller spricht sich dezidiert gegen ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen aus, wie man es etwa in unseren Nachbarländern kennt. Das trage nicht zur allgemeinen Sicherheit im Straßenverkehr bei, wie Unfallzahlen belegten: "Ich bin ein großer Fan davon, dass wir Situationen und Fahrverhalten aneinander anpassen."
(AnRi)
Redaktioneller Hinweis: Wir haben eine Unternehmensbezeichnung korrigiert.