Ausstellung über "Gaudiopolis"

Wenn Kinder das Ruder übernehmen

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Das Leben als Zirkus - aus kindlicher Sicht - eines der vielen Ausstellungsstücke in Leipzig. © Christoph Ruckhäberle/GfZK Leipzig
Franciska Zolyom im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 03.04.2018
"Kinder an die Macht" heißt ein Song von Herbert Grönemeyer. Tatsächlich gibt es sogenannte Kinderrepubliken, in denen Kinder das Sagen haben: Gaudiopolis in Budapest und Boys Town im US-Staat Nebraska sind die bekanntesten. Eine Ausstellung in Leipzig widmet sich künstlerisch dem Thema.
Was passiert, wenn man Kindern das Ruder überlässt, wenn sie ihren Alltag in einer Gemeinschaft mit anderen Kindern selbst organisieren und über wichtige Entscheidung demokratisch abstimmen müssen? Es gab und gibt eine Reihe von Kinderrepubliken, die diese Autonomie der Kinder praktizieren.
Eine Ausstellung in der Galerie für zeitgenössische Kunst  (GfZK) Leipzig widmet sich nun einem historischen Vorbild, der Kinderrepublik "Gaudiopolis", die 1945 für Kriegswaisen unter der Anleitung des evangelischen ungarischen Pfarrers Gábor Sztehlo in Budapest entstand und die Hunderte von Kindern aufnahm - Jungen und Mädchen.
Die von dem evangelischen Pfarrer Gabor Sztehlo gegründete Kinderrepublik "Gaudiopolis" (1945 bis 1951) sah einen selbstverantwortlichen und selbst verwalteten Alltag für die Kinder vor. Das Foto zeigt einen Jungen beim Tischlern.
Ein jugendlicher Bewohner von "Gaudiopolis" beim Tischlern von Möbeln.© Christoph Ruckhäberle/GfZK Leipzig
Laut Zeitzeugen soll Sztehlo den Kindern zugerufen haben: "Macht jetzt Republik", woraufhin sich die Kinder eine eigenständige Verfassung gaben, die unter anderem ein Kriegsverbot enthielt. Was kaum jemand weiß: Offenbar hat es schon im späten Mittelalter solche eigenständigen Gemeinschaften gegeben.

Ein hohes Maß an Verantwortung

Die Kinder hätten zwar nicht wirklich politische Macht besessen, aber ein hohes Maß an Verantwortung und Mitspracherecht. So hätten sie 1949, als es darum gegangen sei, mit der ungarischen Regierung über einen Fortbestand von Gaudiopolis zu verhandeln, mit am Tisch gesessen, sagt Franciska Zolyom, die Kuratorin der Ausstellung. Zolyom ist auch Kuratorin des deutschen Pavillions bei der nächsten Biennale in Venedig, 2019.
Ein Vorbild für "Gaudiopolis" war die Boys Town im US-Bundesstaat Nebraska. Deren Geschichte wurde 1938 mit Spencer Tracy in der Hauptrolle verfilmt.
Ein Vorbild für "Gaudiopolis" war die Boys Town im US-Bundesstaat Nebraska. Deren Geschichte wurde 1938 mit Spencer Tracy in der Hauptrolle verfilmt.© Christoph Ruckhäberle/Galerie für Zeitgenössische Kunst
Neben diesem historischen Teil versammelt die Leipziger Ausstellung zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, die sich mit gesellschaftlichen Organisationsformen beschäftigen. Vor dem aktuellen Hintergrund von sozialer Spaltung stehe "Gaudiopolis" für eine freudvolle und solidarische Gemeinschaft, die ihre inneren Konflikte kenne und sich dennoch auf ihre Vielfalt konzentriere, um ihre Spielräume auszubauen, fasst Zolyom zusammen.
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