Ulrich Deupmann: Die Macht der Kinder

Rezensiert von Kostas Petropulos · 15.04.2005
Der Journalist Ulrich Deupmann beschreibt in seinem Buch "Die Macht der Kinder" eindrucksvoll die Nachwuchsmisere in Deutschland und fordert einen Kurswechsel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
"Das Fundament jeder Gesellschaft sind ihre Kinder… und aus dieser Sicht lautet das wichtigste politische Projekt für die nächsten 20 Jahre: Kinder müssen auf der Tagesordnung des Landes ganz nach vorne rücken. Der Aufruf zum Mitmachen ergeht an alle Gruppen: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sein Inhalt ist der radikale Umbau des Landes zur "Kinderrepublik Deutschland" - einer Republik für Kinder."
Dieser eindringliche Appell zur Korrektur unserer gesamtgesellschaftlichen Prioritätenliste steht ganz am Anfang des neuen Buches von Ulrich Deupmann. Sicher, Kinder sind als künftige Fachkräfte und Beitragszahler für die Sozialsysteme nicht ersetzbar. Bei aller Liebe zu den Kindern - sollten uns jetzt nicht die grassierende Massenerwerbslosigkeit und die sich damit heute verschärfenden Probleme bei der Finanzierung von Renten- und Pflegeleistungen wichtiger sein?

Irrtum! - Gegenüber den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich die Zahl der geborenen Kinder nahezu halbiert. Unterm Strich bedeutet dies rund acht Millionen weniger Konsumenten und Arbeitskräfte und damit weniger Wirtschaftswachstum.

Das ist allerdings nicht der einzige Irrtum, dem weite Teile der Bevölkerung und viele Medien bei der Beurteilung der gegenwärtigen Politik für Kinder unterliegen. Dass - trotz aller Programme und Beschlüsse - praktisch alle Parteien beängstigend weit hinter den tatsächlichen Erfordernissen zurückgeblieben sind, zeigt sich für Deupmann in dem für ihn zentralen Bereich der Bildung:

"...nur wenn Millionen Hochqualifizierte unser Land in eine Ideen und Denkfabrik für die ganze Welt verwandeln, erbringen sie die Wertschöpfung, die notwendig ist, um die Lasten einer alternden Gesellschaft zu schultern.
Unsere Bildungspolitik verfolgt aber seit 200 Jahren die entgegen gesetzte Strategie: Sie sondert frühzeitig eine Elite unter den Kindern aus, der sie eine hochklassige Bildung an Gymnasien und Hochschulen ermöglicht. Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen muss sich dagegen mit einer Schulbildung begnügen, die im internationalen Vergleich bestenfalls mittelmäßiges Niveau erreicht."

Schonungslos schildert der Journalist die schon lange tatenlos hingenommene kulturelle Abschottung erheblicher Teile der Einwanderer und ihrer Kinder; die systematische und kaum fassbare Vernachlässigung der deutschen Unterschicht.
Nicht minder bedrohlich für unseren Wohlstand ist nach Ulrich Deupmann der andere, oft beklagte Trend: Der eklatante Kindermangel. Hier habe die Politik ebenfalls durch faktische Tatenlosigkeit geglänzt. Einzelne und ermutigende Verbesserungen für junge Paare und Eltern seien nur durch Urteile des Bundesverfassungsgerichtes erzwungen worden. Das reiche aber nicht mehr aus: Weder mit einer längeren Lebensarbeitszeit, noch mit einer höheren Quote von Frauen im Arbeitsmarkt und selbst mit mehr Einwanderung seien die absehbaren Wohlstandsverluste zu verhindern. Wirklich helfen würde nur eines:
"Wir müssen rasch und rasant die Geburtenziffern steigern."
Dazu sei eine "moderne Bevölkerungspolitik" notwendig. Diese dürfe nicht länger mit Verweis auf den Missbrauch während der Diktatur der Nationalsozialisten blockiert werden. In einer Demokratie sei dies ein legitimer Anspruch, der im Ausland wie etwa in Frankreich beispielhaft und höchst erfolgreich umgesetzt werde.

Die notwendige politische Neuorientierung werde hierzulande allerdings noch durch eine ganz speziell deutsche, mentale Blockade erschwert: Dem "Mutter-Mythos". Immer noch dominiere hierzulande bei vielen Müttern der Wunsch, gerade in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder beruflich kürzer zu treten, um sich persönlich der Kindererziehung zu widmen. Dies sei aber pure Ideologie und zumindest teilweise ein Erbe des Nationalsozialismus.
Dieses Lamento Deupmanns über die vermeintliche "mentale Rückständigkeit" deutscher Frauen zeigt ein strukturelles Problem des gesamten Buches: Der Journalist hat zwar sehr viel Material zusammentragen und fleißig gelesen, aber sich bei seiner Meinungsbildung ganz offenkundig zu wenig eigene, kritische Gedanken gemacht.

Wenn er im Chor mit einzelnen feministischen Autorinnen den angeblichen deutschen Mütter-Mythos beklagt, bleibt er doch die Antwort auf einige nahe liegende Fragen schuldig. Beispielsweise: Wer soll denn die vielen in der Nach-68er-Ära aufgewachsenen jungen, gut ausgebildeten und berufsorientierten Frauen von heute überhaupt dieses Mutterbild vermittelt haben? - Zudem zeigt etwa der Blick auf unser Nachbarland Holland, dass dort die Hälfte der Mütter bewusst ihre Erwerbstätigkeit für mehrere Jahre unterbricht, um sich persönlich ihren Kindern voll zu widmen. Wegen der Kinder beruflich zurückzustecken ist deshalb mitnichten nur ein deutsches Phänomen!

Eine ähnlich fehlende gedankliche Tiefe zeichnet Deupmanns Vorschläge zur Bekämpfung des Kindermangels aus - neben einer völligen Unkenntnis der einschlägigen verfassungsrechtlichen Grundlagen, die sich etwa in seiner Forderung nach einer Halbierung des Kindergeldes dokumentiert. Bezeichnenderweise decken sich seine Vorstellungen in großen Teilen mit dem Konzept von Bundesfamilienministerin Renate Schmidt, die er im Übrigen immer wieder mit Lob bedenkt. Sein so genannter "Masterplan für mehr Kinder" lautet daher: Ganztagsbetreuung für alle!
Dabei hatte er selbst noch im ersten Teil seines Buches festgestellt, dass es mit mehr Krippen und Kitas allein nicht getan ist:

"Ohne ein Mindestmaß an äußerer und beruflicher Sicherheit und Planbarkeit helfen aber nicht einmal optimale Betreuungsangebote. Das wissen wir seit dem Fall der Mauer. Der Zusammenbruch eines ganzen Gesellschaftssystems, Unsicherheit und Arbeitslosigkeit ließen die Geburtenrate in Ostdeutschland schlagartig um die Hälfte einbrechen - beinahe wie in Kriegszeiten."
Richtig. Der Verlust an beruflicher und wirtschaftlicher Sicherheit lässt viele Paare davor zurückschrecken, ihre Kinderwünsche zu verwirklichen. Und dass diese Sicherheiten noch weiter im Schwinden sind, listet Deupmann an anderer Stelle auf: Mehr erzwungene Berufswechsel; viele junge Leute, die - wenn überhaupt - nur Zeitarbeitsverträge erhalten; Arbeitszeiten rund um die Uhr; immer mehr tariflich nicht abgesicherte, meist niedrig bezahlte Dienstleistungstätigkeiten. Im Zeitalter einer verschärften Globalisierung und des auf Hartz-IV abgemagerten Sozialstaates ist hier keine Abhilfe zu erwarten.

Die Kurzsichtigkeit Deupmanns zeigt sich darüber hinaus unübersehbar am Leitmotiv seines gesamten Buches. Das Land braucht: 1. Mehr Geburten. 2. Mehr Bildung. - Die für jedes Gemeinwesen und selbst für eine funktionierende Wirtschaft unverzichtbare Grundlage - nämlich die Erziehung von Kindern und Jugendlichen - ist bei Deupmann kein Thema. Erziehung heißt, Orientierung vorzugeben. Der Nachwuchsgeneration Werte zu vermitteln, die sie befähigen sollen etwa langfristige Partnerschaften einzugehen, sich gegenüber Nachbarn verantwortungsvoll zu verhalten, gegenüber Kollegen im Betrieb, als Manager gegenüber den Kunden und den Aktionären, als Politiker gegenüber seinen Wählern oder als Mitglieder einer Solidargemeinschaft. Solche Grundwerte werden bekanntlich maßgeblich von den Familien und ihrem Umfeld geprägt und sind bei Deupmann dennoch nicht der Rede wert.
Unterm Strich fällt die Beurteilung des Buches von Ulrich Deupmann sehr zwiespältig aus. Seine Darstellung der deutschen Nachwuchsmisere - selbst wenn sie unvollständig ist - macht Eindruck genug, um den dringenden Kurswechsel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu begründen. Seine Lösungsvorschläge verdeutlichen, dass es um eine fundamentale Neuorientierung geht, die viel Geld kostet. Geld, das bei einer anderen Prioritätensetzung in den Haushalten mobilisierbar wäre.

Nicht akzeptabel - und das ist die größte Schwäche des Buches - ist sein einseitiger, rein ökonomischer Blick auf die Kinder und ihre Eltern. Alleiniger Orientierungspunkt für seine vermeintliche "Kinderrepublik Deutschland" ist die Erhaltung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit im planetaren Kampf um Marktanteile. Genau dieser politisch kaum gebändigte und tendenziell ethikfreie Wirtschaftskampf der Nation lässt immer weniger Raum für Kinder, ja für jegliches gesellschaftliche und kulturelle Leben überhaupt. Doch das erkennt Deupmann nicht mal als Problem. Schade, eine vertane Chance.