Tony Cokes in München

Der Horror hinter der fröhlichen Sachlichkeit

06:07 Minuten
Installationsansicht: Ein Plakat in orange mit der Aufschrift: „Maintaining control over the way the rest of the world was to perceive its image was important in Munich." Ein Plakat in blau mit der Aufschrift: „The street is more important than the museum.“ Und ein Plakat in grün mit der Aufschrift: „No more art“.
Die Ausstellung in München ist auch eine Hommage an Otl Aicher. Von ihm stammen die poppigen Farben für das Design der olympischen Sommerspiele 1972: Freundliche Farben für ein freundliches Image einer neuen Bundesrepublik. © Maximilian Geuter
Von Tobias Krone · 11.06.2022
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Der US-amerikanische Künstler Tony Cokes blickt in seinen Werken hinter die Kulisse: Er befragt die Welt nach ihrem ideologischen Inhalt. In München beschäftigt er sich mit dem Olympiadesign und dem Versuch, Deutschland in neuem Licht zu präsentieren.
Beginnen sollte man vielleicht am besten genau in der Mitte zwischen den beiden Kunstorten, nämlich unter dem Altstadtring, der das Haus der Kunst und die Galerie des Münchner Kunstvereins voneinander trennt. Hier, in einer dunklen Unterführung, hat Tony Cokes drei farbige Plakate aufhängen lassen. „Das ist sicherlich auch eine Auseinandersetzung und auch ein bisschen eine Hommage an diesen visionären Gestalter“, sagt die Direktorin des Kunstvereins München, Maurin Dietrich.
Dieser Gestalter, das ist Otl Aicher. Er hat München diese Farben gegeben, um das Design der olympischen Sommerspiele 1972 zu gestalten: ein poppiges Grün, ein poppiges Hellblau und ein poppiges Hellorange. Mit ihnen wollte Aicher München ein neues Image in der Welt verpassen. „Das Interessante ist ja", sagt Dietrich, "dass er eine umfassende Recherche zu Farben gemacht hat, die nicht faschistisch konnotiert sind, oder eben beispielsweise in Monarchien verwendet worden sind.“

Nichtfaschistische Farben für eine neue Republik

Mit diesem Designkonzept sollten die Spiele, so eine offizielle Beschreibung von damals, „heiter, leicht, dynamisch, unpolitisch, unpathetisch und frei von Ideologie“ wirken: Hier sollte ein Gegenmodell zum faschistischen Olympia in Berlin 1936 kreiert werden. Es präsentierte sich eine demokratische Bundesrepublik.
Ein Frieden, der durch die Entführung mehrerer israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen jäh durchkreuzt wurde. Bei der missglückten Befreiungsaktion durch die deutsche Polizei starben damals fast alle Geiseln. Tony Cokes spielt auch mit diesem lange Jahre verdrängten Unbewussten in der Münchner Stadtbevölkerung. Er sagt:
„Ich dachte: Was würde es bedeuten, es wieder aufzuhängen? Ist es nur eine Geste der Erinnerung zur Identifikation, oder ist es vielleicht nur, um zu fragen: Waren diese Farben erfolgreich? Und persönlich denke ich, sie waren kein totaler Fehlgriff, aber was da sonst noch an Ideen zum Vorschein kommt, das ist schon schwieriger zu sagen.“

Heimsuchung der Geschichte in Kunst, Design und Popkultur

Der Terror, den wir in die Geschichte verbannt haben, kann wiederkommen. Dies ist der Subtext zu Tony Cokes Kunst. Es geht ihm um die Heimsuchung der Geschichte in Kunst, Design und Popkultur. Und da ist der Künstler hier in der einstigen Hauptstadt der NS-Bewegung wohl genau am richtigen Ort gelandet. Und natürlich bleibt es auch nicht bei der Hommage an den Designer der sachlichen Fröhlichkeit.

Die Ausstellung "Tony Cokes. Fragments, or just Moments" im Münchner Kunstverein und im Haus der Kunst ist noch bis zum 23. Oktober 2022 zu sehen. 

Mit „Black September“ – nach der palästinensischen Terrorgruppe benannt – ist eine kurze Videoarbeit zu sehen, ein paar Schritte weiter in der Galerie des Kunstvereins: Das Video beginnt mit dem Flammenmeer aus Michelangelo Antonionis Kultfilm „Zabriskie Point“. Darauf folgt ein Abspann mit einer langen Liste an politischen Ereignissen, Terroranschlägen und zum Schluss ausgerechnet auch noch dem Geburtsdatum von Theodor W. Adorno.

Der Versuch, logische Zusammenhänge herzustellen

Die Reihung erscheint ziemlich willkürlich und ist genauso gemeint. Elena Setzer, Kuratorin am Haus der Kunst erklärt: „Es geht eigentlich darum, was diese Bilder des Terrors eben auch für Fantasien anregen und aber auch, was für Verschwörungstheorien entstehen. Und was für Kompilationen Menschen erstellen und versuchen, um logische Zusammenhänge herzustellen.“
Verfremdend und auch verstörend geht es weiter. Nebenan sind auf großen Screens Aufnahmen der zerbombten Münchner Altstadt 1945 zu sehen – zu lauter Technomusik. Eine auf den ersten Blick sarkastische Idee. Doch ursprünglich stammte sie gar nicht von ihm. Cokes wurde im Internet dazu inspiriert, wie Maurin Dietrich erklärt. Es geht Tony Cokes viel um Musik, Techno, Pop, Jazz, und ihre Wirkung auf unseren Konsum von Bildern und Texten. Musik ist bei ihm allgegenwärtig.
Im Haus der Kunst geht die Ausstellung weiter: Hier ist im Keller, dem sogenannten Luftschutzbunkergewölbe, Tony Cokes Werk zu sehen, auch frühe Videoarbeiten wie „The Wall and the way“.

Was ist authentisch?

In dieser wirft Cokes Textausschnitte der Autobiografie des frühen schwarzen US-Architekten Paul R. Williams an die Wand, der in den 50ern wichtige Bauten in Los Angeles schuf und gleichzeitig unter dem Rassismus litt. Cokes misstraute dem Text von Anfang an, wie er erklärt:
„Manches enthält nur persönliche Erfahrungen und Anekdoten. Das wirkt kohärent wie ein Lebensbericht. Aber dann gibt es Passagen, die eher Reflexionen sind: auf die Rolle von Architekten, die Beziehung zu Kunden. Und ich dachte: Welcher Paul R. spricht hier? Ist es eher die theoretische oder eher die persönliche Stimme? Vielleicht gab es da einfach noch einen Herausgeber zwischen ihm und mir.“
Was ist persönliche, authentische, was vielleicht eher gesellschaftliche Realität? Das lässt uns Tony Cokes lesend erspüren. Ob man sich nun mit dem etwas gehetzten Prozess des Lesens von Screens zu elektronischer Musik anfreunden kann, oder aber relativ schnell Kopfweh dabei bekommt, ist sicherlich eine Frage der persönlichen Verfassung. Doch Tony Cokes Blicke von außen auf diese Welt sind in ihrer Skepsis glasklar.

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