Die Ausstellung "Pleasure Beach" ist bis zum 6. März 2022 im Münchner Nachtklub „Unter Deck“ zu sehen.
Ausstellung „Pleasure Beach“ in München
„Werden wir jemals wieder so unbeschwert tanzen und feiern können, oder wird man immer Angst haben, sich zu infizieren?“, fragt Cornelia Gockel, die Kuratorin der Sammlung Goetz. © picture alliance / PYMCA/Photoshot
Als die Nächte noch wild und lang waren
05:42 Minuten

Seit nunmehr fast zwei Jahren kann man nicht mehr unbeschwert in Clubs feiern. Damit wir nicht vergessen, wie das einmal war und hoffentlich wieder sein wird, zeigt die Sammlung Goetz Videokunst aus den 90ern im Münchner Nachtklub „Unter Deck“.
Barkeeper Christian ist kein Ausstellungsobjekt, auch wenn der Mann mit den grauen längeren Haaren, den blassblauen Augen und dem elegant gewickelten Schal optisch durchaus was hermacht, eine Art Charles Schumann in etwas jünger. Nein, auch wenn Nachtklubs gerade ein Fall fürs Museum sind, weil die bayerische Regierung sie nach sechs Wochen Öffnung wieder zugemacht hat: Christian ist und bleibt Barkeeper. Barkeeper des „Unter Deck“.
„Ich bin fast 50 und mache das schon seit ich jugendlich mit 16, 17 angefangen habe, in der Gastronomie zu arbeiten“, sagt er. „Klar, es fehlt einem dann schon, wenn man so 18 Monate zum Nichtstun verdammt ist, aber…“
Aber klar: Corona. Das heißt: keine Partynächte in diesem Klub mit seinen roten Ledersesseln und vollgetaggten Wänden in der Münchner Altstadt.
Sehnsucht nach der Nacht
„Werden wir jemals wieder so unbeschwert tanzen und feiern können, oder wird man immer Angst haben, sich zu infizieren?“, fragt Cornelia Gockel, die Kuratorin der Sammlung Goetz. Sie steht vor der Leinwand gegenüber dem Tresen. Auf dieser lässt gerade eine Horde britischer Partykids in nassen T-Shirts ihren Hormonen bei einem Massenschunkeln freien Auslauf.
Es geht hier vor allem um Sehnsucht nach der Nacht, der hier in dieser Ausstellungsinstallation in ganz verschiedenen popkulturellen Stilen gehuldigt wird. Die Videoinstallation von Mark Leckey, Jahrgang 1964, heißt „Fiorucci made me Hardcore“.
„Nachher kommt auch noch mal so eine Tanzszene“, sagt Cornelia Gockel, „da haben alle Schlaghosen an, fünf Leute, und tanzen exakt gleich, wo man auch so denkt: Na gut – Uniformität!“ Bei diesen engagierten Tanzformationen der Disco Dance Scene in weißer Schlaghosentracht und teilweise Sandalen muss Cornelia Gockel grinsen.
Es wird gestolpert, getorkelt und gekotzt
Mark Leckeys Video ist eine dokumentarische Zeitreise durch die Jugendkulturen von den 70ern bis in die 90er-Jahre. Von Post-Hippies über Hooligans in Lederjacken bis zu den Ravern – immer wieder verfremdet durch Sounds, die selten zum Bild passen. Sie erinnern an die Samples, die Hip-Hop-DJs auf ihren Scratch-Platten hatten. Die Partyszenen auf der Leinwand, der Exzess kommen dadurch unweigerlich ins Stolpern. So wie das soziale Leben in dieser Zeit.
Gestolpert, getorkelt und gekotzt wird in der nächsten Arbeit, präsentiert auf einem Röhrenbildschirm auf dem Bartresen. Die Künstlerin Nina Könnemann verbrachte mit ihrer Kamera einen Abend in Blackpool, dem nordenglischen Seebad: Hier vergnügen sich vor allem die europaweit berüchtigten Junggesellinnen bei ihren Abschiedsfeiern.
„Das ist mit einer Handkamera gefilmt“, erklärt Cornelia Gockel, „man sieht das in den verwackelten Aufnahmen auch, ziemlich authentisch in einer Nacht, und zwar am Ende der Saison 2000. Nina Könnemann folgt hauptsächlich Frauen und fängt hoffnungsvoll an, die Lichter glitzern, es ist sehr stürmisch und die Frauen sind aufgebrezelt, kostümiert teilweise wie im Karneval mit billigen Glamour-Kleidchen, High Heels und in der Vorfreude des Abends.“
Dann tritt das Meer über den Strand und über die Straßen. Durch die Wassermassen kämpft sich eine Straßenbahn. Ironisch erzählt Nina Könnemann das Drama dieses Abends, ohne ihre durch Wind und Regen wankenden Protagonistinnen aus der Working Class zu verraten.
Die Tristesse einer Jugendlichen in Super-8-Optik
Weiter über die Tanzfläche, vorbei an der nächsten Station, an Wolfgang Tillmans' erster Videoarbeit „Lights (Body)“, jener etwas autistisch wirkenden Studie der Disko-Scheinwerfer in Großaufnahme, die einsam zum Air-Remix von The Hacker vor sich hin blinken. Hinein durch die rote Tür in das Backstage-Kämmerchen zu Tracey Emin.
„Tracey Emin ist inzwischen eine sehr bekannte Künstlerin“, sagt Cornelia Gockel, „das ist eine sehr frühe Arbeit von 1995. Sie erzählt da von ihrer Jugend in Margate, einem britischen Seebad, wie sie Sex mit älteren Männern hatte, mit Jungs, als sie elf, zwölf, 13 war; von ihren Schulproblemen; dass sie die Schule geschmissen hat und dann nur noch in Margate am Beach herumgehangen hat.“
Die Tristesse einer Jugendlichen in Super-8-Optik eingefangen und der gnadenlose Sexismus der Provinz. Mit Tracey Emins Videoarbeit gelingt ein intimer Einblick in eine Künstlerinnenbiografie. Zu sehen auf den Sofas des wohl intimsten Ortes des „Unter Deck“.
Der malerische Reiz der 90er-Jahre
Warum die 90er-Jahre hier bei den Werken dominieren? Vielleicht, weil dieses feierfreudige Jahrzehnt inzwischen der allgemeinen Verklärung anheimfällt. Für Cornelia Gockel hatten die 90er auch ihren ästhetischen Reiz – das Unscharfe, das Malerische.
Wie dieses Ensemble dem Barkeeper hier gefällt? Christian schaut sich um, schürzt kennerhaft die Lippen und nickt zustimmend.
„Ja, ich würde sagen, es passt sehr gut rein. Es macht fast den Eindruck, als wäre es immer so. Man hat nicht den Eindruck, dass es eine Ausstellung, sondern Teil des Konzepts ist. Und, ja, könnte durchaus auch dauerhaft funktionieren, würde ich sagen.“
Hier wird keiner stillgelegten Nachtklub-Location irgendeine Kunst aufs Auge gedrückt, hier gelingt es, mit der Kunst auf Du und Du zu sein: Selten bekommt man die Gelegenheit, ihr so niederschwellig zu begegnen, so natürlich und so lässig – auf roten Ledersesseln mit einem, tja, noch imaginären Bier in der Hand.