Ausstellung "America after the Fall"

Bilder der Verlorenheit

Das Gemälde "Gas" von Edward Hopper in einer Ausstellung in Paris 2012
Jetzt in London zu sehen: Das Gemälde "Gas" von Edward Hopper, hier in einer Ausstellung in Paris 2012 © dpa / picture alliance / Christophe Karaba
Von Walter Bohnacker · 21.02.2017
Mit dem Börsenkrach von 1929 schien der Amerikanische Traum geplatzt. Auf dieses Trauma reagierten US-Maler mit Melancholie und experimentierlustiger Dynamik. Die Royal Academy in London zeigt 45 Meisterwerke der 30er-Jahre, darunter zwei Ikonen von Edward Hopper.
"Ich sehe den Tag kommen, an dem die Armut endgültig aus unserem Volk verbannt sein wird", sagte Herbert Hoover bei seinem Amtsantritt als 31. Präsident der USA im März 1929.
Aber schon ein gutes halbes Jahr später kam alles ganz anders. Aus dem Wunschtraum des Republikaners wurde der Albtraum Amerikas und die ganze Welt hatte ein böses Erwachen.
Und als 1933 der Demokrat Roosevelt ins Weiße Haus einzog, glaubte auch niemand mehr an die Prophezeiung des Vorgängers. Statt ihr war jetzt dieser Song in aller Munde: "Bruder, hast du mal 'nen Groschen? − Brother, can you spare a dime?"
"Hier haben Sie alles in einem Bild: der Apfelbaum, ein Apfel im Gras und aggressive, fette, Schweine im Kampf gegen eine Schlange."
So, sagt Kurator Adrian Locke, sah John Steuart Curry 1930 den großen Börsencrash an der Wall Street vom 24. Oktober 1929: als expressionistische Allegorie in Öl auf den Sündenfall des Kapitalismus und die Vertreibung aus dem Wohlstandsparadies im Reich der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten.
"America after the Fall" − 45 Gemälde versammelt die Schau, Bilder US-amerikanischer Künstler, die eines gemeinsam haben: Alle Werke entstanden im ersten Jahrzehnt nach dem Wall Street-Desaster.

Blick zurück und nach vorn

Arbeitslosigkeit und Armut, politisches Chaos, Landflucht, Urbanisierung, Rassismus: die Visualisierung der sogenannten Großen Depression in ihrer gesamten Bandbreite ist ein Schwerpunkt in der Ausstellung.
Sie ist thematisch gegliedert in die Kapitel "Industrie", "Leben in der Stadt", "Leben auf dem Land", "Visionen von Dystopia", "Der Blick zurück" und "Der Blick nach vorn".
"Der andere Schwerpunkt ist die Frage: Inwiefern war die Wirtschaftskrise ein Katalysator für die Entwicklung einer repräsentativen Bildsprache für die Malerei der Moderne?"
Georgia O'Keeffe fand ihre Sprache in den dürren, menschenleeren Landstrichen Neu-Mexikos. Sie ist hier vertreten mit einem sonnengebleichten Rinderschädel samt weißen Lorbeerrosen.
Edward Hopper, der Maler großstädtischer Melancholie und Verlorenheit in der Masse, ist zweimal mit von der Partie: mit "Gas" und "New York Movie".
Hier der einsame Tankwart an seiner hell beleuchteten Tankstelle mit ihren roten Zapfsäulen vor bedrohlich-dunkler Natur im Hintergrund; dort die junge, in Gedanken versunkene Platzanweiserin in einem New Yorker Kino.
Hopper (er starb 1967) bewunderte Manet und Degas. Andere ließen sich inspirieren von der europäischen Moderne: Picasso, Braque, Léger, Matisse. Oder von der Renaissance-Malerei.
"Grant Wood zum Beispiel war fasziniert von Dürer und von den Meistern der niederländischen Schule, Hans Memling etwa. Wood bereiste Europa und 'übersetzte' deren Stil ins Amerikanische."

Oft kopiert und parodiert: "American Gothic"

Grant Wood ist neben Hopper die große Attraktion dieser Schau. Eines seiner Werke gilt als die Ikone der amerikanischen Malerei schlechthin und wurde jetzt erstmals ins Ausland verliehen: "American Gothic" aus dem Jahr 1930.
Kein Bild eines US-Malers wurde so endlos kopiert und parodiert wie dieses, meint der Kurator. Und keines gebe bis heute so viele Rätsel auf wie diese amerikanische Sphinx.
Das Doppelporträt eines Ehepaars aus dem Mittleren Westen vor seinem Haus mit gothischem Giebelfenster; er in Latzhose, mit strengem Blick, die Heugabel in der Hand; sie eine Mona Lisa mit dem argwöhnischem Blick zur Seite, das blonde Haar bis auf eine Strähne im Nacken streng zurückgekämmt: Was verschweigen die beiden?
Und wofür stehen sie? Für Tugendhaftigkeit und puritanischen Starrsinn? Für das Durchhaltevermögen von Farmern in turbulenten Zeiten? Für weißen Rassismus gar?
Das Risiko der Überinterpretation ist groß. Denn eigentlich malte Wood hier ja nur seinen Zahnarzt und seine jüngere Schwester. Aber vielleicht sind die beiden ja das: die fast schon fotografische Momentaufnahme einer trügerischen Dreißiger-Jahre-Idylle!
Die Große Depression: Hier scheint sie durchzubrechen − hyperrealistisch und in scharfem Kontrast zum Abstraktionismus des frühen Jackson Pollock, der hier auch vertreten ist.
"America after the Fall" zeigt, wenn man so will, die bildkünstlerischen Pendants zur nach dem Crash an der Wall Street entstandenen Literatur Amerikas: zu Steinbecks "Früchte des Zorns" etwa oder F. Scott Fitzgeralds "Zärtlich ist die Nacht".
Deren Themen sind auch die der bildenden Kunst. Denn spätestens seit 1929 kratzen Schriftsteller wie Maler lieber am Mythos USA, statt zu sagen: "Let's make America great again!"
Informationen der Royal Academy of Arts zur Ausstellung "America after the Fall"
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