Ikone der amerikanischen Moderne

Von Anette Schneider |
Edward Hoppers Bilder gehören zu den wohl populärsten überhaupt. Millionenfach wurden und werden sie als Poster und Postkarten vervielfältigt und verkauft. Nun zeigt hierzulande erstmals eine Ausstellung Hopper in seiner Zeit und verdeutlicht damit, wie er seinen unverkennbaren Stil entwickeln konnte.
Im Zentrum der Ausstellung: acht Arbeiten von Edward Hopper. Bevor nun Enttäuschung aufkommt, dass es nicht mehr sind: Drumherum hängen Werke von Zeitgenossen, die in den USA als Ikonen gelten, hierzulande allerdings - bis auf wenige Ausnahmen - kaum bekannt sind. Werke von Künstlern, die Anfang des 20. Jahrhunderts die US-amerikanische Malerei in Frage stellten, weil diese vornehmlich aus repräsentativen Landschaftsbildern und Porträts der High Society bestand. Die sich - nach Aufenthalten in Paris - in Künstlergruppen zusammentaten, und neue Ideen verfolgten: Etwa die um Alfred Stieglitz, zu denen Georgia O’Keefe und Man Ray gehörten, und die die Formensprache der europäischen Avantgarde aufgriffen. Oder die Vertreter eines "städtischen Realismus”, die sich um Hoppers Lehrer Robert Henri versammelten. Sie richteten ihren Blick auf das alltägliche Leben in der Großstadt, zeigten Häuserfassaden, wartende Menschen vor Kinoeingängen, Boxkämpfe und Tanzrevuen - was zu einem Skandal führte.
Ortrud Westheider, Organisatorin der Ausstellung:

"Man muss sich vorstellen: Das war ja eine Situation in einem Land, in dem selbst die impressionistischen Bilder als anstößig galten, weil man gesagt hat: 'In der Auflösung der Form ist auch schon die gesellschaftliche Auflösung nicht weit.' Und deshalb hat man im Impressionismus in Amerika ganz unverfängliche Themen gemacht. Aber eben diese Stadtszenen, diese Caféhausszenen, die man aus dem französischen Impressionismus kannte, das war Tabu. Das wird erst mit dieser neuen Malerei bildwürdig. Und dann heißt es dann auch gleich: Aha, das sind die Maler der Ashcan-School, der 'Mülleimer-Schule', mit diesem Schimpfwort mussten die dann auch umgehen."

Zu ihnen gehörte auch der junge Edward Hopper. Hopper, 1883 in New York geboren und 1967 dort gestorben, hatte in der Metropole Kunst studiert. Danach sah er in Paris Werke von Degas, Courbet und Manet, die den Vertretern des "Urban Realism” als Vorbild galten, und ab 1908 entstanden erste einfache Straßenszenen. Es folgte die Teilnahme an der ersten Ausstellung der "Mülleimer-Künstler”, die in einem leerstehenden Warenhaus stattfand, da die Maler von den offiziellen Akademie-Ausstellungen ausgeschlossen wurden.

Heute sind es eben diese Künstler, deren Arbeiten in den USA als Ikonen einer frühen, eigenen Malerei gelten, und die nun erstmals hierzulande zu sehen sind: etwa die winterliche Straßenecke von John Sloan. Paul Cadmus Bild von betrunkenen Matrosen und Huren, durch das sich damals die Marine verhöhnt fühlte. Guy Pène du Bois’ Karikaturen geistloser Superreicher. Ben Shans Tagelöhner an einem Bahndamm. Oder die kalten, technikverherrlichenden Fabrikansichten eines Charles Sheeler.

Hopper griff bestimmte Momente dieser Malerei auf und entwickelte sie weiter: Er übernahm bestimmte Schauplätze - wie Kinosäle, Hausansichten oder Bars - verzichtete aber auf zeitgebundene Attribute. Wie seine Kollegen beobachtete auch er die Menschen, zeigte sie aber nicht mehr als Handelnde, sondern allein, zurückgeworfen auf sich selbst. Auch vermied er in seinen Bildern alles Anekdotische und hielt stattdessen das Geschehen stets offen.

"Er ist in dem Konzept der Ausstellung zwischen allen Positionen - aber mit allen verbunden. Das war auch schon so während seiner Laufbahn, dass man ihn mit all diesen Künstlern und den Gruppierungen in Verbindung gebracht hat, obwohl er ja nirgendwo Mitglied war. Aber man sieht, dass er die Dinge in seiner Zeit aufgenommen hat und ausbalanciert hat, und dass macht ihn eben zu dem Ausnahmekünstler, als den wir ihn heute sehen."

Anfang der 1920er-Jahre hatte Hopper zu seiner unverkennbaren Bildsprache gefunden, die er bis zu seinem Tod beibehielt. Nach 1945 - als Gegengewicht zum Vormarsch des Abstrakten - gründete er mit Kollegen die Zeitschrift "The Realist”, die auf der Darstellung des Menschen beharrte. Denn selbst dort, wo Hopper leere Straßen zeigt oder abweisende Häuserfassaden, geht es um den Menschen. Um sein Dasein. So auch, wenn er - was oft surrealistisch anmutet - immer wieder Dinge miteinander konfrontiert, die nicht zusammenpassen, die aber unmittelbare Assoziationen auslösen über unsere Existenz: Was zum Beispiel macht die elegant in Rot gekleidete Städterin an einem Haus, das inmitten endloser Getreidefelder steht? Oder was hat es auf sich mit dem Haus, das - obwohl von der Abendsonne beschienen - eiskalt wirkt, und direkt neben einem dunklen Wald steht?
Ortrud Westheider:

"Es wird ja viel über die Einsamkeit in den Bildern geschrieben. ... Es ist aber, denke ich, so das existenzielle Gefühl des Alleinseins gemeint. Also nicht so negativ, dass man einsam ist, dass es anonym in der Großstadt - sondern dass es wirklich so die Conditio ist, dass man eben allein ist, im philosophischen Sinne. ... Und das bedeutet aber auch, dass diese Bilder Spiegelbilder sind. Sie bieten Projektionsfläche für die eigene Geschichte. Für Situationen, die man schon erlebt hat, die man weiterspinnt, die man auf sich bezieht."

Bisherige Ausstellungen stellten Edward Hopper gern als Solitär, als künstlerische Ausnahmeerscheinung vor. Das Bucerius Kunst Forum bindet den Maler nun erstmals ebenso anschaulich wie erhellend ein in seine Zeit, und macht deutlich, dass er keineswegs aus dem Nichts kommt, sondern bestimmte Ideen und Anregungen seiner Zeit aufgriff und weiterentwickelte, andere ignorierte - um dann - mit knapp 40 Jahren - unbeirrt seinen einmal eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Ein Weg - das dokumentieren Skizzen und Aquarelle im ersten Stock des Bucerius Kunst Forums - der für jedes Bild langwierige, aufwendige Recherchen und zahlreiche Vorzeichnungen erforderte.

Service:
Modern Life. Edward Hopper und seine Zeit
Bucerius Kunst Forum
9.5. - 30.8.2009