Ausländische Studierende

Wie spiegeln sich internationale Konflikte im Uni-Alltag?

Deutsche und internationale Studenten verfolgen in Köln in der Aula der Universität eine Vorlesung.
Deutsche und internationale Studenten verfolgen in Köln in der Aula der Universität eine Vorlesung. © dpa / picture alliance / Oliver Berg
Von Cornelia Braun · 12.12.2016
Als Ausländer wird man zum Repräsentanten seines Heimatlandes, da kann man noch so unpolitisch sein, das bringt das Leben im Ausland einfach mit sich. Studenten und Studentinnen an deutschen Universitäten kennen diese Situation. Ein Feature aus dem Uni-Alltag.
In Deutschland studieren Menschen aus aller Welt. Da treffen auch Kommilitonen aufeinander, deren Heimatländer gerade einen Konflikt austragen oder sogar Krieg führen. Russen und Ukrainer zum Beispiel. Auch andere Gruppen zwischen denen es politischen Zündstoff gibt, sitzen zusammen im Seminar: Christen und Muslime, regimetreue Syrer und Chinesen neben Oppositionellen aus diesen Ländern.
Inwieweit spiegeln sich internationale Konflikte und Beziehungen im Uni-Alltag wieder? Wird offen diskutiert oder geschwiegen? Welche Informationsquellen nutzen die Studierenden? Schließen sich politisch Interessierte aller Nationen zusammen, oder läuft die Gruppenbildung eher nach Nationalität und Religionszugehörigkeit? Wie funktioniert die internationale Uni-Gesellschaft?

Das Manuskript im Wortlaut:
Régis: "Ich denke, wenn man erst mal im Ausland ist dann sucht man was, was man mit jemandem gemeinsam hat, was man mit den anderen gemeinsam, und das Erste bei den Studis ist auch das Aussehen, egal, wenn ich im Seminar sitze und sehe einen afrikanischen Studierenden oder Kommilitonen gehe zu erst mal zu ihm."
Mohammad: "Als Ausländer sucht man sich immer einen deutschen Student, wo ich von ihm meine deutsche Sprache verbessern könnte und ihn fragen könnte, wie er so lernt."
An der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sind knapp 4000 ausländische Studierende immatrikuliert - eine Weltgesellschaft im Kleinformat, inmitten der beschaulichen Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz.
Régis: "In meinen ersten fünf Jahren in Mainz, hab' ich keinen Mainzer kennengelernt. In den Seminaren waren die Einheimischen, die immer in dem letzten Moment gekommen sind. Und direkt am Ende des Seminars sind die wieder verschwunden."
Yun: "Mit einigen einzelnen Deutschen habe ich befreundet, ja, aber sie bilden eigentlich keine Gruppe, meine ich so."
Yun aus China studiert Wirtschaftswissenschaften, Mohammad aus Syrien Zahnmedizin und Régis aus Benin hat in englischer Sprachwissenschaft promoviert. 130 Nationen zusammen auf dem Campus, verstanden als Versuchsanordnung: Wie orientieren sich die ausländischen Studierenden? Wie bilden sich Gruppen? Wie funktioniert die Kommunikation, welche Rolle spielen Konflikte zu Hause für die Beziehungen untereinander? Welche Dynamik entsteht hier?
Anna: "Ich in meinem Umkreis da sind meistens Ukrainer, ganz wenig Russen, fast kaum, und die Deutsche ja. Aus Lateinamerika oder noch was, da nicht, nur beruflich aber nicht privat."
Anna aus Russland studiert Slawistik und Wirtschaftswissenschaften, Iryna aus der Ukraine hat gerade ihren Magister in Osteuropäischer Geschichte, Anglistik und Rechtswissenschaft gemacht.
Iryna: "Ich war bis vor Kurzem Referentin des Ausländerreferats, im Asta, das heißt, ich hatte Kommunikation mit mehreren Gruppen. Trotzdem habe ich auch starken Kontakt zu meinen Landesleuten auch zu Russen, Polen, Osteuropa tun wir als Peergruppe zusammen. Trotzdem habe ich Kontakt zu anderen, aus Kolumbien, Brasilien, weil die so offen sind, die imponieren mir einfach und deswegen 'ne andere Peergruppe sozusagen."
Der amerikanische Soziologe Rogers Brubaker unterscheidet zwischen "Gruppen" und "Zusammengehörigkeitsgefühl". Menschen bilden eine "Gruppe", wenn sie sich ausdrücklich als solche zusammenschließen und offiziell ein- und austreten. Das "Zusammengehörigkeitsgefühl" zwischen Menschen versteht er dagegen als "Ereignis, als etwas, was geschieht" oder eben nicht.
Mohammad: "Es ist immer so, dass die Syrer hier, immer was im Medizinbereich machen wollen und deswegen habe ich viele Freunde im meinem Studium oder im Humanmedizinstudium."
Régis: "Zum Beispiel Vereinigung Afrikanischer Studierender oder Vereinigung kamerunischer Studierender und solche Dinge. Und allein kann man nichts machen, deswegen versuchen wir einfach so zusammen zu kommen, weil wir sind sehr wenig. Von den Zahlen her sind die Afrikaner sehr wenig."
An einer großen Hochschule gibt es fast für alles Experten, auch für das wissenschaftliche Erforschen interkultureller Prozesse.
Thomas Bierschenk: "Die Ethnologie ist ja per se ein sehr internationales Fach. Wir sind ja die Leute, die die Entwicklung in der Weltgesellschaft beobachten, das ist jedenfalls unser Anspruch."
Und so nehmen sie auch die kleine Weltgesellschaft in ihren Seminaren bewusster wahr, als zum Beispiel die Wirtschaftswissenschaftler. Der Ethnologe Thomas Bierschenk ist seit 20 Jahren Professor am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes-Gutenberg Universität Mainz.

Spannungen liegen in der Luft

Thomas Bierschenk: "Bei den Studierenden haben wir eher Leute, die hier aufgewachsen sind. Und da gibt es ne interessante Spannung in der Diskussion, weil die Leute viel stärker auf so Themen wie Rassismus achten.
Das sind gar nicht so sehr die afrikanischen Doktoranden, die aus Benin, Togo oder Nigeria kommen, denen das Thema Rassismus so auf den Nägeln brennt. Sondern da sind eher die Einwanderer, die hier wohnen, also die Deutschen mit ausländischen Wurzeln, wie man heutzutage sagt. Und die also da sehr viel sensibler sind auch uns gegenüber."
Solche Spannungen liegen auch in der Luft, wenn Studierende sich treffen. Jeder trägt nicht nur seine eigenen Zusammengehörigkeitsgefühle in die Begegnungen hinein, sondern auch eine Vorstellungen davon, was die anderen denken. Erst in Konfliktsituationen kommen solche Vorurteile zur Sprache.
Iryna Ivantsiv aus der Ukraine und Anna Suvorova aus Russland haben drei Jahre im AusländerInnenreferat des AStA zusammengearbeitet. Anfänglich hätten sie nie gedacht, dass Politik in ihrer Freundschaft einmal einen wichtig werden könnte.
Iryna: "Also allgemein über Politik, so unbedingt, haben wir nicht so diskutiert. Aber ich hatte schon ein bisschen den Eindruck, dass die Gruppe von der Ukraine wurde von den Russen als die dazugehörige Gruppe gesehen, und die Ukrainer habe sich so von sich aus, als, ne wir sind Ukrainer, gesehen."
Anna: "Für mich früher war Russland und Ukraine fast gleich. Auch aus Märchenfilmen hatte ich auch ein bisschen so, aber nur als ich ganz klein war, so Assoziationen, mit Ukraine wie ein großes Dorf."
Die Welt in den Köpfen ist geprägt von der Geschichtsschreibung und der aktuellen politischen Berichterstattung im Herkunftsland.
Anna: "Durch die Gespräche mit Irina habe ich ganz neue Informationen bekommen, nun ja sie hat mir in einigen Sachen aufgeklärt. Und am Ende sieht so aus, hab ich Gefühl, dass einfach diese Kulturen, die sind einander vermischt und man kann das irgendwie nicht trennen, fast, kaum trennen."
Iryna: "Was denn?"
Anna: "Kulturen - russische ukrainische."
Iryna: "Doch kann man."
Anna: "Nun ja, West-Ost dann eher, weil die Teil, die näher zu Russland liegt, sie ist trotzdem eher so gleich mit russische Kultur. Und die andere ist mit polnische."
Iryna: "Natürlich wir haben etwas gemeinsam mit Polen wir haben etwas gemeinsam mit Weißrussen mit Russen, aber an sich ist es eine selbstständige Kultur."
Die innere Landkarte von Russland und der Ukraine sieht bei Iryna anders aus als bei Anna. Aber vor der Annexion der Krim durch Russland war dieser Unterschied nicht wichtig. Ein starkes nationales Zusammengehörigkeitsgefühl sei oft die Folge eines gewalttätigen Konfliktes, und nicht seine Ursache, so Rogers Brubaker. Als auf dem Maidan demonstriert wird, sitzt Iryna in Mainz an ihrer Magisterarbeit und verfolgt die Geschehnisse per Internet und Telefon. Hauptgesprächspartnerin ist Anna.
Anna: "Es gab keine richtige Krise aber in einem Moment irgendwann Iryna war sehr gekränkt, und das fühlte ich weil sie hat mich mit den Nachrichten aus dem Internet einfach bombardiert ja in Facebook. Guck mal das, lies mal das! Es war einfach zu viel. Aber ich habe nicht so mit ihr darüber gesprochen, ich habe einfach die Hälfte Nachrichten ignoriert, ja, weil bringt auch nichts."
Iryna: "Ich erinner' mich daran. Ich hab ja nicht so wahrgenommen, dass ich so auf die Nerven gegangen bin. Aber die Anna hat sich ziemlich tolerant verhalten, finde ich. Kann sein, dass sie manche Sachen nicht so sah wie ich, aber das ist keine Krise noch."
Anna: "An ihrer Stelle hätte ich das gleiche gemacht oder noch schlimmer. Einfach ist, das ganze Krieg passiert nicht auf das Territorium von Russland, sondern Ukraine. Natürlich hat sie mehr Angst als ich."
In den letzten beiden Jahren hat sich gezeigt, dass ihre Freundschaft mindestens so stark ist, wie das Zusammengehörigkeitsgefühl mit ihren Landsleuten. Aber die russisch-ukrainische Community an der Uni Mainz hat einen Riss bekommen.
Anna: "Viele Freundschaften gingen kaputt. Das habe ich gehört."
Iryna: "Ich hab' meistens die Erfahrung, dass Leute versuchen, dieses Thema überhaupt aus dem Weg zu gehen. Hier in Deutschland. Um hier zu bleiben und weiter so quasi Freunde zu sein, und nicht darüber zu streiten, ist besser nicht darüber zu reden."
Syrien wird im Bürgerkrieg jeden Tag mehr und mehr zerstört. Wer aus Syrien stammt, lebt hier in der Unsicherheit, ob die Realitäten und Personen, auf die sich sein Zusammengehörigkeitsgefühl dort bezieht, überhaupt noch existieren.
Mohammad: "Am Anfang war ganz komisch, weil ich mir nicht vorgesellt habe, dass so was bei uns in Syrien passieren würde, weil ich hab' mein Heimatland immer irgendwie anders erlebt. Ich hab alles in Medien irgendwie bekommen, aber kommt mir irgendwie unrealistisch vor. Und ich kann mir noch nicht vorstellen, dass mein irgendwie Land zerstört ist."
Zerstörung in der syrischen Stadt Homs
Bei den Gesprächen geht es auch um den Syrien-Konflikt (hier die zerstörte Stadt Homs).© dpa / picture-alliance / Mikhail Voskresenskiy
Mohammad hat sein Zahnmedizinstudium in Deutschland ein Jahr vor den ersten Demonstrationen der syrischen Opposition gegen Bashar al-Asad begonnen und ist seitdem nicht wieder in Syrien gewesen.
Mohammad: "Also von politischer Situation bin ich gegen den Präsidenten, weil, was ich jetzt sehe, und was ich mitbekommen habe. Niemand kann ihn unterstützen, was er da macht. Und genau deswegen, ich weiß im Inneren meinen Eltern, dass sie gegen ihn auch sind aber, die werden niemals das am Telefon mir sagen, weil genau, weil sie so aufgewachsen sind, glaube ich, weil sie dran gewohnt sind, nichts über solche Themen zu reden."

Studierende aus unterschiedlichen Gesprächskulturen

Zur Idee der Weltgesellschaft gehört ein lebhafter Austausch zwischen den 130 Nationen. Aber das geht nicht ganz von selbst. Die ausländischen Studierenden, die sich auf dem Campus begegnen, unterscheiden sich nicht nur in ihrer Identifikation mit dem Herkunftsland und ihrem Interesse für Politik, sondern sie sind auch in unterschiedlichen Gesprächskulturen aufgewachsen.
Yun: "Mit meinen Familienmitgliedern habe ich gar nicht über Politik geredet. Mein Vater hatte diese Meinung und er hat immer diese Meinung, dass Politik ist gefährlich, und wenn ich vielleicht etwas Böses oder etwas Schlechtes über Politik geäußert haben, dann warnte mein Vater mich, das ist gefährlich, ich habe schon etwas gelebt. Er meinte, ich sollte gar keine meine eigene Meinung äußern."
Yun Zhars Vater hat die Verfolgungen der chinesischen Kulturrevolution miterlebt. Die werde im Westen immer noch durch eine rosa Brille gesehen, meint Yun, tatsächlich ...
Yun: "... war die Situation so schlimm, dass die Ehefrau sagt also heimlich etwas Böses über den Ehemann, damit die Strafe auf ihr nicht kam, das war die Situation, also die Familie brach also wegen der politischen Bewegung aus."
Régis Guézodje stammt aus der oberen Mittelschicht von Benin, seine Eltern haben auch schon im Ausland studiert und sind heute Beamte. Gespräche, auch Auseinandersetzungen gehörten in der Familie zum Alltag.
Régis: "Ich stamme aus einem liberalen Haus. Schon von zu Hause haben wir gelernt zu diskutieren, das waren noch diese französische Denkweise, argumentieren und so, dass wir gelernt haben und bis heute mitgenommen haben, dass, dann, wenn was ist, ich muss nur argumentieren, um die anderen davon zu überzeugen, dass die Richtung, die ich blicke, stimmt, weil A plus B führt zu so, und dann geht das. Man kann verschiedene Blickwinkel habe, das akzeptiert man, wenn man das begründet, so haben wir zu Hause funktioniert."
Yun: "Also ich finde eine echte Diskussion unter Chinesen ist unmöglich, ich denke das ist nicht meine persönliche oder meine subjektive Aufnahme, sondern in wissenschaftliche Bereich ist das auch. Erst denke, ich ist diese politische Herrschaft sehr große Einfluss auf alle Aspekte des Lebens. Deswegen, wenn ich eine andere Meinung von dir oder von deiner Meinung habe, sagen die Chinesen nicht direkt sondern indirekt, das führt zu kein Diskussion. Wir haben vielleicht eine These und eine Antithese, dann können wir eine Synthese machen, aber wenn wir keine Antithese haben dann: Schluss."
Ob sich an der Uni eine Weltgesellschaft als Mikrokosmos realisiert, hängt auch davon ab, inwieweit sich die deutschen Universitäten für die Welt öffnen. Tatsächlich beträgt der Anteil der internationalen Studierenden in Deutschland zehn Prozent. Dazu kommt noch eine kleine immer wechselnde Gruppe von Austauschstudenten in Förderprogrammen wie zum Beispiel Erasmus. Der Anteil der Ausländer und Ausländerinnen bei den Professoren und den Beschäftigten in der Verwaltung ist mit fünf Prozent und drei Prozent sehr gering.
Thomas Bierschenk: "Rein so quantitativ gesehen ist die Universität also kein Hort der Internationalisierung. In der Forschung ist das wieder etwas anders."
Für den Ethnologen Thomas Bierschenk ist die Zusammenarbeit mit ausländischen Studierenden und Wissenschaftlern selbstverständlich. Aber wie man gute Wissenschaft betreibt und, was Forschung und Wissenschaft für die Gesellschaft leisten müssen, davon gibt es weltweit sehr unterschiedliche Auffassungen.
Thomas Bierschenk: "Die afrikanischen Studenten sind sehr viel stärker drauf aus praktische Probleme zu lösen und nicht Probleme der Theorie. Das gibt zum Teil sehr interessante Diskussionen. Ich war jetzt gerade in Uganda, auf einem Doktorandenseminar, was wir da organisiert haben mit afrikanischen Studierenden aus sechs verschiedenen Ländern und dann auch aus europäischen Ländern.
Da war das dann Thema, also was ist überhaupt ne relevante Fragestellung, muss die unmittelbar zur Lösung gesellschaftliche Probleme beitragen. Da würden wir in Deutschland eher ein bisschen zurückzucken vor diesem Anspruch. Also ich persönlich würde die Meinung vertreten, wir müssen erst mal eine saubere Empirie hinkriegen, aus der wir dann vielleicht im zweiten Schritt vielleicht Folgerungen ziehen können. Das sehen die Afrikaner, also auch die Dozenten übrigens dann doch sehr viel direkter."

"Die Erasmusstudenten werden natürlich bevorzugt"

Mit ihrer jeweiligen Bildungsbiografie und Vorstellung vom Studieren und nicht ganz perfekten Deutschkenntnissen treffen die ausländischen Studierenden auf die mehrheitlich im deutschen Wissenschaftsbetrieb sozialisierten Dozentinnen und Professoren.
Régis: "Hier am Anfang durch diese Freiheit an den deutschen Hochschulen, da muss man selber schon diszipliniert sein. Und man kommt aus afrikanischen Ländern, wo wir noch in Schulen war, wo alles streng reguliert wurde, und wir konnten gar nicht selbstständig lernen am Anfang und dann sehr schnell verliert man den Fokus."
Iryna: "Die Erasmusstudenten werden natürlich bevorzugt. Die anderen sind auf sich alleine gestellt. Sobald sie eingeschrieben sind, sind sie einfach auf sich gelassen und bekommen kaum Unterstützung, was hier jetzt das deutsche Bildungssystem angeht."
Régis: "Ich denke, an der Uni gibt's schon genug Stellen, wo man anklopfen sollte, aber es muss den Neuen bewusst sein, das müssen sie machen, schon gleich am Anfang des Studiums, schon gleich in den ersten Semestern in den ersten Monaten.
"Schade, dass ich sehe, Leute, die kommen sehr spät, nachdem sie schon eine Kette von falschen Entscheidungen getroffen haben und sich irgendwann in einer Sackgasse befinden und erst dann melden sie sich und meistens ist es zu spät."
Das Auslandsstudium bietet in jedem Fall die Chance, von außen auf das eigene Land zu schauen, Abstand zum Alltag und den Menschen der gewohnten Umgebung zu gewinnen, sich frei zu informieren und auch politische Standpunkte zu überdenken.
Anna: "Ich denke es hat vor drei vier Jahren passiert, diese Umstellung, ich habe mich einfach in Deutschland eingelebt und konnte schon viele Sachen in Russland nicht mehr akzeptieren, zum Beispiel Umgang mit den Leuten, politische Lage, obwohl wir Demokratie haben, ist die Wirklichkeit keine Demokratie. Ich bin irgendwie verdeutscht geworden, keine Ahnung."
Mohammad: "Früher hat man sich nicht so beschäftigt. Man könnte über solche Themen auch keinen Zugriff haben. Durch die vielen Leute die gegen den Präsidenten jetzt sind, die die auf seine Seite waren, hat man jetzt viele Information jetzt quasi mitbekommen. Was 1984 zum Beispiel in Hama passiert ist, was der Präsident gegen das gesamte Volk in der Stadt gemacht hat, wo die gesamte Stadt verbrannt wurde. Von dem Thema hatte ich Null Ahnung. Also ich war blind dort."
Zurück zur Idee der Weltgesellschaft. Wenn sich die aus-und inländischen Studierenden begegnen, diskutieren sie dann Politik und Zeitgeschehen? Régis hat als Heimsprecher im Katholischen Wohnheim und als Tutor ausländische Studierende aller Länder betreut, aber über Politik spricht er vor allem mit anderen Afrikanern.
Régis: "Wenn wir im Ausland sind, sind wir sogar mehr an der politischen Lage interessiert, als wenn wir zu Hause sind, das ist einfach so, weil mit der Entfernung, wenn man weit weg ist, kann man besser sehen. Klar, wir diskutieren viel, wenn wir uns sehen, aber eher in dem Versuch, Lösungen zu finden. Wie können wir unten helfen. Warum laufen die Dinge nicht richtig. Das sind unsere Sorgen."
Yun glaubt nicht, dass Europäer China und die Chinesen verstehen können, das liege auch am Konfuzianismus, von dessen Traditionen ihr gesellschaftliches Leben immer noch geprägt sei. Aber, wenn es um Politik geht, sind auch Chinesen untereinander sehr vorsichtig.
Yun: "Sogar unter den Chinesen sprechen die Leute auch nicht über Politik. Also diese politischen Standpunkte scheint mir schon ein persönliche Aspekt. Ja vielleicht, ich weiß welche Freunde von mir eine ähnliche Position mit mir hat, kann ich auch meine Meinung so frei sprechen, austauschen. Aber mit einem Fremden kann ich gar nichts, gar nichts reden."
Unter den syrischen Studierenden an der Uni Mainz ist bekannt, welche Kommilitonen das Asad-Regime unterstützen, sie seien in der Minderheit, meint Mohammad, er lehnt es ab, mit ihnen zu diskutieren, um sie umzustimmen.
Mohammad: "Weil alle Leute, die hier auf seiner Seite stehen, die sind entweder aus seinem Dorf, oder aus seiner Stadt, oder die einfach von ihm unterstützt werden, die durch BAföGs oder was keine Ahnung, hier nach Deutschland gekommen sind, und wieso sollten sie eigentlich gegen ihn sein, wenn von ihm quasi unterstützt werden."
Prägung und Traumatisierung durch Diktaturen hinterlassen ihre Spuren in den Kommunikationsgewohnheiten und sind auch Teil der Weltgesellschaft Universität. Wer sich zu Hause in Lebensgefahr begibt, wenn er seine Meinung äußert, dem fehlt auch im Ausland die Lockerheit, das politische Gespräch als Übung einer demokratischen Debattier-Kultur zu begreifen.
Das Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz bietet den Raum, das Gespräch zwischen Kulturen und über Kulturen zu üben und sich dabei die eigenen Vorurteile bewusst zu machen. Thomas Bierschenk.
Thomas Bierschenk: "Wir haben ne Homepage des Instituts. Da hatten wir immer so ein zentrales Foto gehabt, was wir gelegentlich dann mal austauschen. Und da wurde uns dann schon mal vorgeworfen, dass die Auswahl der Fotos doch schon son bisschen exotisierend oder auch son bisschen rassistisch ist ungewollt rassistisch, insofern als wir immer nur das exotische, arme Afrika darstellen. Also Leute, die in Rundhütten wohnen. Da wurde gesagt, das ist ein ganz falsches Bild von Afrika, in Afrika gibt's natürlich alles - von Wolkenkratzern also in der Architektur bis zu Rundhütten. Das ist auch richtig, da wird uns dann manchmal der Spiegel vorgehalten."
Die deutschen Studierenden sind aktive Mitglieder der Weltgesellschaft. Auch wenn sie die ausländischen Kommilitonen auf die Politik ihrer Länder ansprechen. So sind diese gezwungen, Stellung zu beziehen. Und es ergibt sich die Gelegenheit, das eine oder andere richtig zu stellen.
Régis: //"Benin hier wird oft mit Voodoo und die dunkle Seite des Voodoo dargestellt, was gar nicht damit zu tun hat. Man assoziiert hier Voodoo nur zur schwarzen Magie.
Oder auch irgendwann wurde Benin öfter zitiert in Zusammenhang mit Beschneidung. Aber das sind Dinge, dass es Frauenbeschneidung in Benin gibt, habe ich erst in Deutschland erfahren.//
Dort, wo ich herkommen, niemand ist in der Gegend beschnitten worden. Also, solche Dinge kommen vor, es gab Beschneidungen, man kann das nicht verleugnen, aber wenn ein Bericht kommen würde, der negativ ist, dann würden die Leute das auf das ganze Land übertragen, so sehen sie das halt. Das ist das Problem, die Medien müssen auch gucken, dass sie nicht nur eine Seite der Sachen darstellen."
Iryna: "Ich finde es nicht in Ordnung, wenn manche Leute versuchen so ne Appeasement-Politik spielen. Wenn sie sagen, ok wenn ein Teil von einem souveränen Land einfach abgespaltet wurde, das ist in Ordnung, soweit kein Krieg wird, dann ist es auch nicht in Ordnung, weil das ist eben dann Krieg, weil der größte Ansatz von internationalem Recht ist gebrochen, nämlich Annexion und Gewaltverbot."

"Zuerst gab's den Maidan"

Wenn sich die ausländischen Studierenden auf das Studium und die Universität in Deutschland eingelassen haben und neue Zusammengehörigkeitsgefühle entstanden sind, dann kann das auch Konflikte mit Familie und Freunden zu Hause nach sich ziehen, und auf einmal ist dieses Zusammengehörigkeitsgefühl nicht mehr selbstverständlich.
Anna: "Nun zuerst gab's Maidan, ja ich hab mich irgendwie sogar gefreut, und ich hab sogar gehofft dass russische Leute sehen jetzt ukrainische Leute, diese kleine Bevölkerung was sie so machen und, dass sie werden auch etwas gegen Putin machen gegen seine Politik. Ich habe das erwartet."
Anna Suvorova ist sich zunächst sich gar nicht bewusst, dass sie mit dieser Einstellung nicht mehr auf der gleichen Wellenlänge liegt, wie ihre Freunde. Als das russische Fernsehen die Annexion der Krim und den Krieg im Donbass als innerukrainischen Bürgerkrieg darstellt, in dem die Russen den Ostukrainern gegen die Westukrainer zu Hilfe kommen, versucht sie per Internet zu diskutieren.
Anna: "Ich hatte da viele Diskussionen, da wurden in einigen Diskussionen vier oder fünf Teilnehmer ja meine Freunde. Ich allein, ich hab' ab und zu Iryna gefragt ob sie auch da gehen kann und auch da schreiben, also ich alleine gegen vier oder fünf Personen. Zum Beispiel Iryna hat irgendwelche Nachrichten an mich geschickt, ich habe diese Nachrichten in diese Kommunikationsliste reingesteckt, aber dann diese Leute die finden auch irgendwelche Nachrichten in Russland und stellen dann die rein, immer so schg schg bringt nichts. Die Leute haben mich gelöscht aus der Freundliste."
Iryna: "Ich empfinde jetzt so wie die Anna das erzählt, dass sie das schwieriger zu bewältigen hat als ich. Weil sie muss dann quasi mit ihren Landsleuten, mit ihrer Familie wegen ihre Position, dann auseinandersetzen. Ich bekomme so überall Unterstützung in meinem Land, weil alle sind betroffen. Und bei ihr finde ich jetzt, dass sie da irgendwie so Alleinkämpfer-Alleingänger ist."
Das kann sich aber auch bald wieder ändern. Der Soziologe Rogers Brubaker schreibt: "Wenn das Zusammengehörigkeitsgefühl nicht durch spezifische soziale und kognitive Mechanismen auf hohem Niveau gehalten wird, nimmt es zwangsläufig ab, weil die Alltagsinteressen wieder Vorrang gewinnen." Und so ist es auch bei den Freunden, mit denen Anna sich trotzdem noch versteht.
Anna: "Die gucken keine Nachrichten, da habe ich auch keine solche Diskussionen, jeder hat eigene Meinung und fertig."
Yun: "Solange Sie mit anderen Meinung austauschen, nicht nur streiten, sondern versuchen die andere Leute zu verstehen, werden sie vielleicht unbedingt, unausweichlich diese Erfahrung, diese Prozess Selbstreflexion machen und ich denke das wär gut."
Allerdings kommt auch die universitäre Weltgesellschaft nicht ohne funktionierende Bürokratie aus.
Bierschenk: "Wir hatten jetzt wie gesagt so ne zweiwöchige Doktorandenausbildung in Uganda durchgeführt, dann kommt man mit ganz verschiedenen Quittungen wieder. Uganda ist dann noch machbar für die Verwaltung, das ist dann auf Englisch, und wenn das dann ein französischsprachiges Land ist oder auch ein portugiesischsprachiges Land, dann ist unsere Verwaltung doch einigermaßen überfordert. Und das ist natürlich auch ne Aufgabe der Internationalisierung."
Mehr zum Thema