Ausgezeichnetes Low-Budget-Kino

Familienzusammenführung wider Willen

Die Preisverleihung des 35. Filmfestival Max Ophüls Preis fand am 25.01.2014 im E Werk in Saarbrücken (Saarland) statt. Den Preis überreichte die amtierende Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer.
Nico Sommer wird für "Familienfieber" auf dem 35. Filmfestival Max Ophüls mit dem Preis der Saarländischen Ministerpräsidentin ausgezeichnet. © picture alliance / dpa / Oliver Dietze
Von Bernd Sobolla · 10.01.2015
Nico Sommers Filme kommen mit kleinstem Budget aus, bei den Dreharbeiten wird oft und viel improvisiert. So auch bei seinem neustes Werk "Familienfieber", eine gelungene Tragikkomödie über die schönen und schwierigen Momente zwischen Eltern und Kindern.
"Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? / Nö. / Wie die Leute hier. Die einen gehen in die Richtung, und die anderen gehen in die andere Richtung. Ich habe kein Ziel. Ich fühl mich quasi wie alle. Und ich bin der komplette Durchschnitt. Mit dem Unterschied, dass ich Plakate klebe. Und so ne Wichsarbeit mache. Und meine Frau nichts hat, wo sie sagen kann: Mein Mann ist ein toller Typ!"
Uwe, gespielt von Peter Trabner, klebt irgendwo in Berlin Plakate. Einst war er Fahrstuhlmonteur, verantwortlich für die modernsten Modelle. Doch dann fuhr die Kabine seines Lebens kontinuierlich runter: Er verlor seinen Job, und seine Ehe ist auch kein Knaller mehr. Die Initialzündung zu dem Film erhielt Autor und Regisseur Nico Sommer einerseits von Max Frischs "Fragebogen", einer Sammlung von Lebensfragen.
"Die andere Hälfte der Idee ist quasi, dass mich das Thema Beziehungen interessiert, auch Familie. Und Beziehungen werden sozusagen psychologisch in Phasen unterteilt. Das findet sich auch im Film wieder. Ich habe dort Phasen verkürzt, aber es gibt dort so die Verliebtheitsphase, die Ernüchterungsphase und ein paar Phasen mehr. Und habe das zum Anlass genommen, diese Geschichte zu bauen."
"Hier rein? / Links! / Hier rein? / Ja. / Bist du dir sicher? / Ja, sicher. Ganz sicher."
Plötzlich dem Liebhaber vorgestellt werden
Vielleicht ist ja der Familienausflug ins Brandenburgische eine angenehme Abwechslung. Seine Tochter Alina will nämlich ihre Eltern, den Eltern ihres Freundes Nico vorstellen.
"Da geht es dann aber nicht mehr weiter. / Aber da ist es ja auch. … / Das ist ja ein Schloss. / Jetzt sage mir mal, wo das ist! / Das Haus hier. / Das ist doch nicht dein Ernst. / Ich fasse es nicht. Was hast du denn für ein Freund. / Ich meinte doch, es ist ein großes Haus. / Oh, mein Gott!"
Während Uwe den ersten Schock verdaut, in dem er Frau und Tochter auslädt und sich erst einmal standesgemäße Kleidung besorgt, erlebt seine Frau Maja, gespielt von Kathrin Waligura, eine unerwartete Überraschung.
"Was machst denn du hier? / Tja."
Denn der Vater des Freundes ihrer Tochter, ist kein anderer als Majas Liebhaber Stefan, souverän zurückhaltend dargestellt von Jörg Witte.
"Ich wusste ja nicht, dass dein Sohn mit meiner Tochter zusammen ist. Hast du mir nie gesagt."
Einige Szenen des Films wirken im ersten Moment, als übten die Protagonisten ein wenig Zurückhaltung. Aber dann entwickeln sie einen unaufhaltsamen Sog mit ihrer Mischung aus Süffisanz und Peinlichkeit. Was Regisseur Nico Sommer damit erklärt, dass es kein Drehbuch gab.
"Was wir hatten, waren vier A4-Seiten mit Text und der Grundlage, dem Wissen, dass wir improvisieren wollten. … Das war eine bewusste Entscheidung. … Die Art der Improvisation, wie ich sie versuche anzugehen, bringt eben hoffentlich einen Mehrwert für den Zuschauer... Man entrückt ein bisschen dem, ich sage mal, Standard. Man versucht, sich davon wegzubewegen, freier zu werden, hoffentlich auch authentischer, gefühlvoller."
Handlung im Moment des Drehs entstanden
Noch wichtiger vielleicht: Nie hat der Zuschauer das Gefühl zu wissen, was als nächstes passiert. Die Handlung ist eben nicht vorausgedacht, sondern entstand im Moment des Drehens.
"Meine Tochter ist 17. / Mein Sohn ist 19. Soll ich den an die Leine nehmen – das nächste Mal? / Wissen Sie, heute Morgen habe ich gar nicht gewusst, dass wir zu einem Schloss fahren. / Wissen Sie was, ich habe heute Morgen noch nicht gewusst, dass Sie hier heute kommen. Ich habe auch noch nicht mal gewusst, dass mein Sohn mit ihrer Tochter zusammen ist. Ich dachte, der wäre mit so einer Blonden zusammen. Aber… schön, dass Sie da sind."
Allmählich und fast ungewollt entwickeln die Protagonisten eine Art Intimität.
"Es ist schön bei euch. Es ist echt schön. Soll ich dir mal was sagen? / Was? / Alina macht nicht, was ich will. Meine Frau macht nicht, was ich will. Mein Auto macht nicht, was ich will. Und mein Staubsauger macht auch nicht, was ich will. … Ich glaube, meine Frau betrügt mich."
Überzeugend gemacht
"Familienfieber" ist eine Familienzusammenführung wider Willen. Die Tragikomödie überzeugt nicht nur wegen seiner fragil-komischen Figurenkonstellation, in der besonders Peter Trabner heraussticht, sondern auch wegen seiner Machart: Da wirbeln Interviewsequenzen, in denen die Eltern sich vor der Videokamera Lebenslügen gestehen, die Handlung durcheinander. Und auf Momente scheinbarer Lethargie folgen skurril-emotionale Ausbrüche.

"Ich möchte, dass ihr eure Sachen packt und geht. … Geht! / Maja! Jetzt bleibt doch beide erst einmal hier! / Hast du eine am Brett oder was? Hast eine geile Frau hier Zuhause und fickst meine. / Holt doch den ADAC! / Das kostet 120 Euro im Jahr. / Mir doch egal."


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