Ausdauersport Rock ’n’ Roll

Perfekte Bewegungen im Takt treibender Musik

22:56 Minuten
Ein Tänzer wirft seine Partnerin in die Höhe.
Rock ’n’ Roll als Wettkampfsport: Akrobatische Elemente sind besonders trainingsintensiv. © imago/ Tass/ Yegor Aleyev
Von Elmar Krämer · 29.09.2019
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Akrobatische Einlagen, springende Grundschritte, durch die Luft fliegende Tänzerinnen: In der Wettkampf-Ausprägung gilt Rock ’n’ Roll als einer der körperlich anstrengendsten Tänze. Entsprechend wichtig sind im Training Kraft- und Ausdauerübungen.
Eine Schulsporthalle in Berlin-Lichterfelde. Jeden Mittwoch trainiert hier der RRC Cadillac. Was klingt wie ein militärisches Boot-Camp oder ein hartes Crossfit-Training ist lediglich das Aufwärmtraining beim Rock ’n’ Roll, einem der wohl anstrengendsten und schweißtreibendsten Tanzstile der Welt. Der Wettkampf Rock ’n’ Roll begeistert das Publikum meist durch dauerspringende, durch die Luft wirbelnde und dabei auch noch lächelnde Menschen – nicht selten in glitzernder Kleidung.

Schwieriges Tanzen leicht aussehen lassen

"Der Sport baut natürlich sehr auf Dynamik auf: Schnelligkeit spritzige Tanzfiguren, schnelle Beine, exakte Arme, viel Körperspannung. Es ist halt eine Kombination aus Tanz im klassischen Sinne aber vor allem halt auch aus dieser Akrobatik. Die Kombination mit den Würfen noch dazu, dadurch wird dieser Tanzsport so athletisch." Belinda und ihr Mann Michael Schatz sind begeisterte Tänzer und gleichzeitig auch Trainer im Rock ’n’ Roll Club Cadillac in Berlin.
"Prinzipiell geht es darum, sich und den Tanz mit einer Leichtigkeit zu präsentieren, die dafür sorgt, dass der Zuschauer denkt, das wäre nicht anstrengend. Und das ist die große Herausforderung, schwieriges, schnelles Tanzen leicht aussehen zu lassen."
Koordination, Kraft, Kondition und dazu noch Timing und Rhythmus. Der sportliche Rock ’n’ Roll, so wie er heute getanzt wird, ist, so wie der Musikstil Rock ’n’ Roll, eine Mischung aus vielem was Spaß macht. Das allerdings, was Laien oft aus Filmen kennen und für Rock ’n’ Roll halten, würde man heute wohl eher als Boogie-Woogie oder Rock ’n’ Roll der 1950er bezeichnen, auch wenn die Übergänge fließend sind.
Paare tanzen auf einem Platz im Freien umgeben von einer Menschenmengen.
Der Tanzsport heute unterscheidet sich stark vom Rock ’n’ Roll der 1950er. © imago/ United Archives
Einfach zu definieren ist weder die Musik noch der sportliche Tanz. Letzterer beinhaltet seit den 1970er-Jahren auch Elemente des Aerobic, auch ein Zeichen für seine zunehmend sportlichere Prägung.
Für das Trainer-Ehepaar des RRC Cadillac war die körperlich-akrobatische Komponente von Anfang an das Entscheidende. Für beide war es, anders als bei vielen ihrer Sportskolleginnen und -kollegen, nicht in erster Linie die Musik, die sie zu diesem Tanz brachte.

Seit dem achten Lebensjahr dabei

Belinda war gerade mal in der zweiten Klasse, als sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Sport machte – und dann half der Zufall: "Als ich auf ein Clubheim stieß, das diesen Sport angeboten hat und ich war ein Kind, das Bewegung wollte und einen Sport gesucht hat, der mich auspowert. Und da war dann Rock ’n’ Roll an sich ein für mich sehr unbekannter Sport aber durchaus interessant, weil er halt vieles kombiniert hat: Musik, Bewegung und, was mich schon damals an dem Sport fasziniert hat, dass es halt in gemischten Gruppen stattfand. Jungs und Mädchen gemeinsam in einer Halle. Das fand ich toll. Das hat mir Spaß gemacht und seitdem, seit meinem achten Lebensjahr, bin ich dabeigeblieben."
Ihr Mann Michael Schatz hatte schon früh eine Affinität zum Tanz: "Ich hab ganz klassisch Standard, Latein Jugendkurs gemacht, das komplette Programm bis zur Goldnadel. Und dann haben nebenan die Rock ’n’ Roller trainiert und da hab ich gesagt: Die sind ja viel cooler, die war nicht so steif, die haben Spaß gemacht. Denen sah man an, dass Rock ’n’ Roll, also dass das Tanzen - eigentlich Tanzen, Bewegung, Musik - Spaß macht. Das war es, was mich begeistert hat. Dann bin ich zu denen gegangen und seitdem bin ich beim Rock ’n’ Roll."

Unzählige Turniere und etliche Siege

Irgendwann trafen sich die beiden sportlich und privat - und es funktionierte. Vor rund zehn Jahren, vor der Familiengründung und der beruflichen Karriere, sind Belinda und Michael Schatz bei Welt- und Europameisterschaften angetreten, haben unzählige Turniere getanzt und etliche Siege davongetragen. Zum Interview haben sie einen Laptop mitgebracht, darauf ein Video von einem ihrer schönsten Turniere, wie sie sagen.
Sechs Frauen in roten Hosenanzügen betreten die Tanzfläche, gefolgt von sechs Männern in weißen Hosen und schwarzen Westen. Elegant, kraftvoll und zielstrebig sieht das aus und es lässt erahnen, was dem Publikum wenige Momente später geboten wird: 90 Sekunden Vollgas, denn 90 Sekunden dauert so ein Rock ’n’ Roll-Wettkampfauftritt. 90 Sekunden voller Dynamik, Kraft und Energie.
90 Sekunden an die Belinda und Michael Schatz sich immer noch gern erinnern: "Da hinten stehen wir, man hat seine feste Position. Auch der Aufmarsch soll schon möglichst synchron aussehen und in den Momenten ist man ganz schön aufgeregt, da zittern die Knie. Sieht alles cool aus, aber da ist man schon noch zitterig."
Es war nicht das größte ihrer Turniere, keine EM, keine WM, sondern eine Norddeutsche Meisterschaft, aber mit ausgelassener Stimmung und der Besonderheit, dass sie da nicht als Paar angetreten sind, sondern in der sogenannten Master-Formation, der hohen Schule des Rock ’n’ Roll-Turniertanzes. Hierbei müssen mehr als vier und maximal acht Tanzpaare zusammen tanzen und auch spektakuläre Sprünge und Würfe zeigen.

"Das hat uns viele Tränen im Training gekostet"

"Da sind sechs Paare auf der Tanzfläche – da kommt jetzt ein freier Salto. Und wir haben sehr viel mit Video trainiert, damit das alles so exakt aussieht, also Formationstanz ist eine ganz besondere Herausforderung. Das ist jetzt ein freier Salto, von dem wir geredet haben, den mussten wir lange trainieren, das hat uns viele Tränen im Training gekostet, bis alle so weit gekommen sind", sagt Belinda Schatz.
Die sechs Tanzpaare bewegen sich absolut synchron, jede Arm-, jede Beinbewegung schnell und exakt, jeder Sprung im Takt, jeder Wurf atemberaubend für das Publikum und auch atemraubend für die Männer und Frauen auf der Tanzfläche. Zeit zum Luftholen gibt es in den 90 Sekunden nicht, denn der Takt der Musik nimmt keine Rücksicht auf knapp werdende Puste und brennende Muskeln.
"Das ist nicht zu unterschätzen", erklärt Michael Schatz, "das heißt, ich kann mir nicht überlegen: Na, ich hol noch mal Luft und jetzt mach ich die nächste Akrobatik, weil der Takt treibt mich weiter und ich muss jetzt die Akrobatik machen. Es gibt keinen anderen Zeitpunkt als genau jetzt."
"Weil über den Takt hinaus gibt die Musik uns Betonungen", sagt Belinda Schatz. "Breaks, Stopps, weiche Bewegungen. Entweder man orientiert sich gesanglich oder man orientiert sich musikalisch. Und das versucht man natürlich, wenn man seine Choreografie auf eine eigene Musik macht, zu untermalen. Das soll dann schon passen. Das was ich tanze, soll zur Musik passen."

Wettkampfklassen nach Alter und Leistungsstand

Bei Wettkämpfen wird in unterschiedlichen Klassen angetreten, abhängig vom Alter und Leistungsstand. Entsprechend sind dann die Vorgaben bezüglich der zu zeigenden Elemente. Wo die Kinder noch mit den Füßen auf dem Boden bleiben, geht es mit zunehmendem Alter und Leistungstand Schritt für Schritt in die Luft.
"Und dann werden sie über die verschiedenen Klassen - Schüler, Junioren, C-B-A-Klasse - langsam herangeführt", sagt Michael Schatz. "Und dann ist es zum Beispiel so, dass man in einer C-Klasse einen geführten Rückwärtssalto macht, das heißt: Der Herr hält die Dame die ganze Zeit noch fest an den Armen. Aber die Bewegung ist im Prinzip schon dieselbe. Und dann kommt nach ein paar Jahren dann der freie Salto, das heißt, man wird da nicht so reingestoßen, sondern wird langsam herangeführt, so wie man das in anderen Sportarten ja auch macht. Niemand fängt gleich in der ersten Bundesliga an und spielt um die Champions League."
Gruppenbild mit Mitgliedern des RRC Cadillac in einer Übungshalle.
Mit voller Motivation dabei: Tänzerinnen und Tänzer vom RRC Cadillac trainieren in einer Berliner Sporthalle.© Deutschlandradio/ Elmar Krämer
Jede Bewegung, die ein Tänzer auch allein tanzen kann, wird im Rock ’n’ Roll als Tanzfigur bezeichnet. Diese sind, anders als in vielen anderen Tanzstilen, nicht festgelegt, wodurch sich der Rock ’n’ Roll vielleicht auch das kreative und rebellische seiner musikalischen Geschichte bewahrt hat.
Kinder zeigen in den Wettkämpfen nur Tanzfiguren, meist im Rock ’n’ Roll typischen Grundschritt, dem sogenannten Kick Ball Change. Das sind abwechselnde Tritte im gesprungenen Wechsel - und das nicht selten in schweißtreibend hohem Tempo.
"Dann kommen immer leichte Hebefiguren dazu", erklärt Belinda Schatz. "Die werden auch festgelegt von der Anzahl. Das beginnt mit drei und dann erweitert es sich bis in die höchste Tanzklasse, die also ein Paar erreichen kann, die A-Tanzklasse, bis zu sechs Akrobatiken. Und das sind, sage ich mal, so Hebel, an denen die Wertungsrichter das Paar bemessen können."

Von Abkipper bis Zugrolle

Das Akrobatiklexikon des Deutschen Rock ’n’ Roll- und Boogie-Woogie-Verbands enthält eine lange Liste von Bewegungsabläufen. Von A, wie Abkipper, bis Z, wie Zugrolle: "Beim Abkipper kippt die Dame rückwärts aus dem Schultergrätschsitz ab. Der Herr hält die Dame am Bauch fest und setzt sie im Stand ab. Bei der Zugrolle macht die Dame eine Rolle rückwärts und wird vom Herrn an den Fußgelenken mit einem halben Salto rückwärts in den Stand geworfen."
Neben den Würfen und Sprüngen gelten die sogenannten Wickler als besonders Rock ’n’ Roll typisch. Dabei wirbeln sich meist die Männer die Frauen um den Körper. Um all diese Bewegungen mit einem Lächeln im Gesicht durchzuhalten und sich nicht zu verletzen, ist sehr viel Training nötig.
Der Trainingsplan in ihrer aktiven Wettkampfzeit war der einer Profisportlerin, erinnert sich Belinda Schatz: "Wir haben dreimal die Woche in der Halle Tanztraining gehabt und darüber hinaus hatten wir am Wochenende Sondertraining, Schrägstrich, für die Formation trainiert. Weil wir sozusagen nicht nur einzeln getanzt haben, sondern dann etwas später auch in einer Formation, gemeinsam mit anderen Paaren. Und wir haben noch ein gezieltes Krafttraining verfolgt, ein bis zweimal die Woche, plus Ernährungsplan, plus mentales Training, plus Visualisierung. Das Leben hat sich sehr darauf fokussiert."
Ihre aktive Turnierzeit haben Belinda und Michael Schatz hinter sich. In der Halle stehen sie dennoch regelmäßig – als Trainer, auch ihrer eigenen Kinder, die das jüngste Tanzpaar in der Halle sind.

Die beiden Kinder sind auch ein Tanzpaar

"Ich bin Beorn Schatz. Ich bin neun Jahre alt. Und ich tanze auch Rock ’n’ Roll, jetzt aktiv, seit ich sieben bin. Und ich und Mayla wir tanzen das halt. Mayla ist meine kleine Schwester und meine Tanzpartnerin. Und wir haben schon auf drei Turnieren getanzt. Und hier in der Halle trainieren wir - und das macht halt auch Spaß, weil: Ist toll. Der Sport ist ganz cool und wie gesagt, ist der auch vielfältig und ja, mir gefällt der."
An diesem Tag sind in der großen Schulsporthalle in Berlin Lichterfelde rund 14 Frauen, Männer und Kinder zum Training des RRC Cadillac erschienen. Allesamt leidenschaftliche Tänzer, für die klar ist, Rock ’n’ Roll ist anstrengend und das Training längst nicht nur Tanz.
"Der Tanz ist am Anfang nicht im Vordergrund", sagt Belinda Schatz, "nimmt also nur ein Drittel des Trainings ein. Die andere Zeit verbringt man wirklich damit, die Kinder fit zu machen. Also im Sinne, dass man sehr viel Athletik-Programm hat, sehr viel turnerische Aspekte berücksichtigt, in seinem Training. Und diese jungen Körper erstmal für diese Anstrengung fit macht, also daraufhin trainiert. Und dann wird der tänzerische Aspekt immer etwas mehr in den Vordergrund rücken und die Paare müssen im Endeffekt dann die Athletik schon haben, um das dann tänzerisch auch abzurufen. So ist der Werdegang."
Das wird im Training sofort klar, denn vor dem Figuren-, Akrobatik- und Formationstraining, steht die Erwärmung, die es in sich hat.
"Also das Anstrengendste im Training ist manchmal die Erwärmung, manchmal auch nicht", sagt Beorn Schatz.

Sprints, Liegestütze und Animal-Athletics

Abwechslungsreich, vielseitig und äußerst anstrengend ist diese Aufwärmphase. Skippings, also schnell tippelnde Sprints auf der Stelle, Liegestütze, statische Übungen für die Bauch- und Rückenmuskulatur – sogenanntes Core-Training, krabbelnde und kriechende Tierbewegungen, auch Animal-Athletics genannt.
"Wir sagen es immer ein bisschen umgangssprachlich: Die Kotzgrenze ein bisschen hochschieben", sagt Belinda Schatz, "damit sie es dann auf dem Turnier einfach schon kennen. Wie fühlt sich das an, dieser Tiefpunkt. Wie fühlt es sich an dieses Gefühl, wo man am liebsten aufhören würde. Und da muss die Dame aber mindestens noch einmal in die Luft fliegen."
Nach wenigen Minuten Aufwärmtraining sind die T-Shirts durchgeschwitzt und die Körper gut vorbereitet auf all das, was nun auf dem Plan steht.
"Prinzipiell sind wir jetzt im Paar-Training", sagt Michael Schatz. "Wir müssen als Trainer immer darauf achten, dass die Paare lernen, auch alleine zu trainieren. Die kriegen Aufgaben, die sie dann lösen sollen. Auf der einen Seite haben wir einen sogenannten Läufer aufgebaut. Das ist eine sehr dünne Matte, wie Turner sie auch benutzen, auf denen wir die Akrobatiken trainieren, das heißt, die Hebungen. Sind jetzt drei Paare, die prinzipiell dasselbe trainieren oder zugleich dieselbe Akrobatik trainieren."
Kurze Zeit später halten die Männer die Frauen waagerecht über dem Kopf, lassen sie geschmeidig über den eigenen Rücken in Richtung Boden gleiten, ziehen sie an den Händen durch die Beine und schon stehen beide sich wieder gegenüber und weiter geht es im Takt. Konzentriert von Übung zu Übung. Bei Sprüngen und Saltos besteht immer eine gewisse Verletzungsgefahr. Dieser wird aber durch einen langsamen Aufbau der Übungen begegnet - und im Training dürfen die Gesichter auch konzentriert und angespannt aussehen.

Trampolin und Hochsprungmatten für das Salto-Training

In einer Ecke der Halle ist ein Trampolin aufgestellt. Dahinter liegen Hochsprungmatten – hier werden Salti geübt. Das, was später ohne Trampolin locker aussehen soll, ist jetzt noch sichtlich harte Arbeit.
Auf der anderen Seite der Halle, üben einige der Teilnehmer auf einer Turnmatte Akrobatik-Elemente, andere trainieren, weich vom Handstand abzurollen und fließend aufstehen. Wieder andere lassen sich vom Trampolin in die Luft katapultieren, üben Drehungen und Landungen.
"Und auf der anderen Seite haben wir unsere Kinder-Paare die ihre Folgen trainieren sollen, aber gerade ganz viel Erzählbedarf haben", sagt Michael Schatz. "Und jetzt hilft häufig ein Blick, damit die anfangen, ihre Folgen zu trainieren. Abmarsch los, Mayla, Janni. Das ist natürlich schwierig, dass die Paare schon ganz alleine trainieren, aber wir versuchen sie dahin zu bringen, weil die Halle jetzt im Moment gerade mit sieben Paaren voll ist, da kann ich ja nicht neben jedem stehen."
Wenige Minuten später sind die Kinder voll bei der Sache. Der neunjährige Beorn und seine sechsjährige Schwester Mayla stehen sich gegenüber, halten sich an den Händen. Kick Ball Change - leichtfüßig wirkt das, bis zu einem kleinen Fehler.
Ehrgeizig sind schon die Jüngsten in der Halle. Am Ende ihrer 90 Sekunden rutscht Mayla, als wäre es nichts, in den Spagat. Beorn kniet hinter ihr und reckt die Arme zur Hallendecke – Endpose. Es folgt die Auswertung.
"Ihr werdet als Paar bewertet, es ist egal, wer den Fehler macht", sagt Belinda Schatz.

Zwischendurch andere Tanzstile ausprobiert

Während die Kinder mit Belinda in der Auswertung sind, ist für ihren Trainingspartner Pause. Bernd ist 40 und tanzt seit 30 Jahren Rock ’n’ Roll. Er sitzt auf einer Bank, Schweißperlen auf der Stirn und ein breites Lächeln im Gesicht. Er hat mit zehn Jahren angefangen mit dem Rock ’n’ Roll und hat lange Jahre mit Belinda getanzt, dann aber andere Tanzstile ausprobiert. Irgendwann fehlte ihm aber doch die Freiheit des Rock ’n’ Roll und so ist er nun wieder in der Halle des RRC Cadillac aktiv und stellt fest, dass die Zeit nicht stehengeblieben ist.
"Ich bin erschrocken nach 20 Jahren, wie sich die Musik geändert hat, dass die ganz schön rockig geworden ist", sagt Bernd. "Früher, klar, Elvis und die ganzen Leute, die man kannte, und die Filme, die auch damals noch aktueller waren. Aber früher waren das wirklich Elvis Presley und Buddy Holly und solche Sachen. Natürlich gab es auch aktuellere Musik, aber jetzt ist es halt - wie gesagt - teilweise Lena Meyer oder irgendwie richtige Rockmusik, Ärzte und hast du nicht gesehen. Das finde ich schon ein bisschen anders."
Doch auch wenn die Musik mal rockiger, mal poppiger geworden ist und oft auch mit technischer Unterstützung der Tanz-Choreografie in der Geschwindigkeit angepasst, also meist schneller gemacht wird, so finden sich in den Wettkampfmusiken auch heute noch immer wieder Schnipsel und Samples guter alter Rock ’n’ Roll Musik.

Musikalischer Ausdruck von Rebellion und Protest

Es war das Jahr 1954 als Bill Haley and the Comets mit "Rock Around the Clock" ins Rampenlicht einer breiten Öffentlichkeit traten. Bei der Jugend sorgte die Musik für begeisterte, bei den Eltern oft für empörte Aufschreie. Diese Musik klang anders, sie war frisch, rebellisch und schien keine Grenzen zu kennen. Sie war eine Mischung aus der bis dahin vorrangig von Weißen gespielten Country-Musik und dem afroamerikanischen Rhythm and Blues. Diese Melange funktionierte hervorragend und über alle Rassentrennungsgrenzen hinweg.
Bill Haley und die Comets stellen die Bühne in London auf den Kopf.
 
1954 nahmen Bill Haley und seine Band die Comets den Song "Rock Around the Clock" auf.© imago/ ZUMA/ Keystone
Schon bald sprach man vom: Rock ’n’ Roll. Von der Kirche und konservativen Kreisen als ungehörig verschrien, als Musik des Teufels gar, war der Rock ’n’ Roll der musikalische Ausdruck von Rebellion und Protest.
Eine der Identifikationsfiguren der Jugend wurde ein junger Weißer: Elvis Presley. Als der Anfang 20 war und seine ersten Lieder aufgenommen hatte, wollte diese vorerst niemand im Radio spielen: "Sie klängen zu schwarz", sagten die Sender. Es war die Zeit, in der in den USA Rassentrennung in allen Bereichen des Lebens herrschte. Doch die Jugend ließ sich nicht aufhalten.
Musik, die sich aller Stile und Genres bediente, und eine Bühnen-Performance, die offen mit sexuellen Attributen spielte und die hemmungslos die Freude an der Bewegung zur Musik zelebrierte und heute noch zelebriert, egal ob zu klassischen oder modernen Rock ’n’ Roll-Rhythmen.

Überall auf der Welt wird Rock ’n’ Roll getanzt

Rock ’n’ Roll wird überall auf der Welt getanzt – sei es zum Spaß in Clubs oder mit sportlichen Ambitionen in Trainingshallen und bei Wettkämpfen. Allein in Deutschland sind über 15.000 Menschen in Rock ’n’ Roll-Vereinen organisiert. In Berlin gibt es vier aktive Klubs.
Berlin-Lichtenberg, wieder eine Schulsporthalle und wieder Menschen, die teilweise schon ihr Leben lang im Rock ’n’ Roll-Fieber sind. Einer von ihnen ist Axel Platzen, ein Mann bei dem auf den ersten Blick klar wird: Bei ihm war es die Musik, die zum Rock ’n’ Roll-Tanz führte. Die Haare hat er nach hinten gegelt, bei Auftritten trägt er Schlips, Hemd und eine elegante Weste darüber, oder auch ein Hawaiihemd - seit über 30 Jahren tanzt er die unterschiedlichen Stile.
"Weil es natürlich eine sehr rhythmische Sache ist", sagt Axel Platzen, "die eigentlich auch sofort in den Körper geht, sehr, sagen wir mal so, unseren Grundbedürfnissen der Bewegung entspricht, also die akustische Wahrnehmung unseres Grundbedürfnisses. Und dann kann man halt einfach nicht stehenbleiben. Also man hat die unterschiedlichsten Rhythmus-Varianten und da ist für jeden eigentlich was dabei."
Axel Platzen ist im Vorstand des RRC-Spreeathen, einem Verein, der 1993 gegründet wurde. Platzen war von Anfang an dabei: "Damals waren wir alles nur Turnier-Rock ’n’ Roll-Paare. Wir haben ziemlich schnell festgestellt, dass die breite Basis eigentlich den Verein ausmacht - und nicht nur die Leistungsspitze. Und deswegen ist es heute so: Der Großteil unseres Klubs sind Breitensport-Tänzer und dann haben wir noch unsere Show-Tänzer. Und im reinen Turnier-Bereich sind wir als Verein nicht mehr aktiv."

"Es gibt für mich einfach nichts Vergleichbares"

Doch auch beim RRC-Spreeathen ist das Training weit entfernt von gemütlichem Hin- und Her-Wippen. Auch hier wird äußerst ernsthaft trainiert, auch hier ist die Gruppe geschlechter- und generationsgemischt und auch hier gibt die Musik den Takt an.
Für Barbara, eine der Frauen, die eben noch durch die Luft gewirbelt wurden, genau der richtige Sport: "Also, zum einen hat man die Kondition, die ich gerade nicht habe, wie man merkt. Man hat halt die Kraftelemente durch die Akrobatik. Ich sage mal, für die Dame ist das wie Turnen am Menschen. Und man hat die Kreativität durch die Tanzfiguren, die man sich auch ausdenken kann. Und man hat wie eine Mini-Mannschaft dieses Paar, das heißt, wenn man selber mal nicht so die Meinung zum Training hat, man weiß immer, da ist noch ein anderer - und der will auch etwas machen. Zusammen rafft man sich auf. Und dann macht man eben auch was - und es gibt für mich einfach nichts Vergleichbares."
Egal, ob Wettkampf, Showtanz oder ambitionierter Breitensport: Rock ’n’ Roll ist sowohl als Musikform als auch als Tanzstil äußerst vielseitig und erfreut sich mittlerweile längst generationsübergreifender Beliebtheit. Nachwuchssorgen hat der Rock ’n’ Roll nicht und dennoch freuen sie sich beim RRC Spreeathen und dem RRC Cadillac über jedes neue Gesicht.
Was zieht, ist der Zauber der Musik, sagt Axel Platzen: "Ich glaube einfach, dass die Musik junggeblieben ist, über die Jahre. Dass Rock ’n’ Roll mit Auf und Ab immer wieder neue Interessenten findet, dass eine neue Generation jetzt auch wieder heranwächst, die Rock ’n’ Roll-interessiert ist. Und dementsprechend glaube ich nicht, dass wir das Ende des Rock ’n’ Roll zu befürchten haben. Im Gegenteil Rock ’n’ Roll will never die."
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