Cheerleading

Leistungssport mit Olympia-Ambitionen - und sexy Outfits

Eine Cheerleaderin in der Mercedes-Benz Arena in Berlin vor einem Basketballspiel
Eine Cheerleaderin in der Mercedes-Benz Arena in Berlin vor einem Basketballspiel © picture alliance / dpa
Von Katrin Weber-Klüver · 11.11.2018
Männliche Sportler anfeuern, knappe Kleidchen tragen, Pompons schwingen: Viele Cheerleaderinnen hadern mit dem Image und dem Frauenbild ihres Sports. Denn Cheerdance ist Leistungssport, der olympisch werden soll.
"1, 2, 3,.., 8"
Berlin, Prenzlauer Berg. Nichts hören die Mädchen und Frauen, die an diesem Montagabend im verspiegelten Tanzsaal der Max-Schmeling-Halle trainieren, so oft wie das...
"1, 2, 3,.., 8"
Wieder und wieder gehen die beiden Trainerinnen mit der Gruppe Schrittfolgen und Bewegungsmuster durch, erklären Abläufe und Elemente, brechen ab, kritisieren Ungenauigkeiten in Körperstreckungen und Hüftschwüngen, loben jede Verbesserung, überprüfen noch mal die Aufstellung und geben dann von Neuem den Rhythmus vor.
"Noch mal Durchschlagsprung."
So geht das an diesem Montag. Und an jedem anderen Montag auch. Drei Stunden konzentriertes Training. Das gleiche an jedem Donnerstag. Und an jedem Sonntag. In den Monaten vor Meisterschaften kommt noch mindestens eine weitere Dreistunden-Einheit dazu.
"Es ist natürlich schwierig. Man muss immer so ein bisschen kämpfen, auch wenn man sagt, dass man Cheerleader ist, dann wird auch immer gefragt: Machst du auch richtigen Sport? Dann sage ich immer: Komm mal einmal ins Training! Mach mal einmal mit! Dann wirst du sehen, was das für ein Sport ist!"
Maxi Biedenweg, 26 Jahre alt, Referendarin an einem Potsdamer Gymnasium und Trainerin der Cheerdancerinnen von Dance Deluxe, einer Abteilung des TSV Rudow 1888 Berlin. Biedenweg leitet das Team seit fünf Jahren, gemeinsam mit der zwei Jahre älteren Maria Hänel, die im Hauptberuf Marketing-Managerin ist. Aber was heißt schon Hauptberuf.
"Normalerweise ist das ein Fulltime-Job, was wir machen. Das geht wirklich über Musikschneiden, Choreografien ausdenken, Formationen sich überlegen, die Mädchen auf Wettkämpfe vorbereiten, den Trainingsplan erstellen, gemeinsam mit Auftraggebern sprechen und Auftritte vorbereiten."

"Es ist viel Arbeit, die oft nicht gesehen wird"

Die Jüngsten der Gruppe sind 15 Jahre alt, die Ältesten um die 30. Im Training tragen sie Leggins, einige lockere T-Shirts, andere Sport-Bustiers. Manche sind barfuß, andere bevorzugen Ballettschläppchen. In diesen Outfits sind sie kaum von Bühnentänzerinnen zu unterscheiden. Aber sie sind keine Musical-Tänzerinnen, keine Ballett-Tänzerinnen, keine Revue-Tänzerinnen. Sie betreiben Leistungssport.
Leistungssport?
"Also ich glaube, dass, wenn man sagt, man macht Cheerleading, dass immer nur dieses Motto kommt: Ja, das mit den Puscheln. Und das ist richtig schade, weil es einfach viel mehr als das ist. Die meisten Leute wissen gar nicht, wie viel Aufwand und wie viel Energie das kostet. Und wie besonders der Sport eigentlich ist."
Charly, 15 Jahre, Schülerin und seit neun Jahren Cheerdancerin. Jede Cheerleaderin kennt dieses Imageproblem, und jede hadert damit.
"Also ich finde, nach außen hin heißt es oft, die süßen kleinen hübschen Mädchen, die da ein bisschen rumwackeln. Aber im Endeffekt ist es viel, viel mehr, was dahinter steckt: Es ist super-anstrengend. Es ist viel Arbeit, die oft nicht gesehen wird, als Klischee abgetan wird, was ich eigentlich recht schade finde."
Celli, 21 Jahre, Auszubildende in der Zahnmedizin, tanzt seit 15 Jahren. Maxi Biedenweg, ihre Trainerin ergänzt:
"Auch wenn das immer alles ganz schön und ganz einfach aussieht, aber so ist das bei den Sportarten, im Turnen denkt man auch, die fliegen da einfach über die Matte oder schwingen sich da am Reck ein bisschen rum. Und das ist letztendlich höchste Anstrengung."
Cheerdance, auch Performance-Cheer genannt, ist eine Sparte des Cheerleading, die sich ganz auf das Tanzen konzentriert. Turn- und Akrobatikelemente, die zum klassischen Cheerleading gehören, haben Cheerdancerinnen nicht im Programm.
Ihre Tänze setzten sich aus sogenannten Fillern zusammen, kurzen Elementen, für die auf acht Takte gezählt wird. Etwa 30 Filler und rund 25 komplette Tänze haben Dance Deluxe im Repertoire. Für Wettkämpfe studiert das Team in jeder Saison neue, zweieinhalbminütige Choreografien ein.
"Meistens bekommen die Leute vor allem Respekt, wenn sie die Meisterschaften sehen. Weil sie dann sehen, dass es wirklicher Sport ist. Tanzen wird halt immer schnell so abgestempelt. Aber letztendlich ist der Tanzsport für den ganzen Körper so eine Anstrengung, man benutzt letztendlich so viele Muskelgruppen und man hat immer eine ganzheitliche Bewegung. Ich finde den Sport super."

Der Job: Die Männer anfeuern

Die 2006 gegründete Formation Dance Deluxe hat national und international Titel gewonnen, vor drei Jahren sogar eine Weltmeisterschaft. Die Vorbereitungen für die Wettkämpfe sind der trainingsintensivste und anspruchsvollste Teil des Sports. Die große Bühne aber bekommt Dance Deluxe auf dem ursprünglichen Arbeitsfeld der Cheerleaderinnen: dem Anfeuern von Männer-Mannschaftssport.
Dance Deluxe treten bei den Heimspielen des Handballbundesligisten Füchse Berlin auf. In der Max-Schmeling-Halle ist es dann ohrenbetäubend laut, schon vor dem Spiel, natürlich während des Spiels, und bei Erfolgen der Füchse auch nach dem Spiel.
Wummernde Musik, Animationen des Hallensprechers, Einlagen der Fan-Trommler, Applaus und Anfeuerung und Gejohle aus dem Publikum. Es ist eine mehr als zweistündige Kakophonie aufgeputschter Begeisterung.
Und unten auf dem Spielfeld lassen die Sportler und die Cheerleaderinnen kein Rollen- und Geschlechterklischee aus.
Im Zentrum stehen die Männer. Die knallharten Profisport präsentieren. Die an Hand- und Fußgelenken getapt sind. Die sich furchtlos auf den harten Hallenboden werfen. Deren dabei oft schmerzverzerrte Mienen signalisieren, dass sie gerade alles geben und bis zum Ende alles geben werden.
Hallensprecher: "Riesenapplaus für die Mädels von Dance Deluxe!"
Und am Rand stehen die Frauen. Die mit Pompons wedeln und die Hüften wiegen, wahlweise als Spalier für die einlaufenden Spieler, halb versteckt im Einlauftunnel oder als Showeinlage, wenn die Männer, also die "richtigen" Sportler, in Spielunterbrechungen, den Time-outs, Anweisungen bekommen.
Frauen, die sehr sexy angezogen sind, wie eine Kreuzung aus Cowgirl und Funkenmariechen. Dazu stark geschminkt, die Haare aufgedreht und festgesprüht. Frauen, die lächeln. Immer lächeln. Fast schon furchterregend entschlossen. Man kann doch nicht pausenlos lächeln...
"Das Lächeln ist ja im Tanz bekannt. Die Ballerina, die lächelt, zum einen den Schmerz weglächelt und das Prinzip der Leichtigkeit damit noch einmal unterstreicht. Sehr virtuos auftritt, dabei aber Leichtigkeit verkörpert und Schmerzfreiheit.
Das erkenne ich durchaus auch, wenn auch in sehr viel übertriebenerer Form im Cheerdance auch wieder: Das Lächeln spielt auch darüber hinweg, dass das, was sie machen, Anstrengung bedeutet, die es ganz offensichtlich ist, weil es sehr anspruchsvolle Figuren sind, die da getanzt werden."

Lächeln, Beine hoch werfen, Pompons schwingen

Isa Wortelkamp, Tanzwissenschaftlerin an der Universität Leipzig, analysiert die nonverbale Sprache von Tanz-Performances – zu der auch immer der Kontext gehört, in dem ein Auftritt stattfindet. In diesem Fall also: Frauen, die Männern bei deren Kräftemessen zujubeln.
"Das hat schon ganz viel mit der Idee von Weiblichkeit auch zu tun, die da verkörpert wird. Natürlich ist es erst einmal irritierend, wenn man eine Gruppe von Frauen sieht, die sich gerne Mädchen nennen, und auch gerade das Jugendliche sehr stark in den Vordergrund stellen, aber auch Stereotypen folgen, die sehr stark einem männlich sexualisierten Blick unterliegen, und, ja, das auch bedienen. Und sehr stark spielen auch mit den langen Beinen, viele verführerische Gesten enthalten. Auch allein das Setting: Die Frauen tanzen ja für die Mannschaft."
Sie lächeln und werfen die Beine hoch und lächeln und schwingen die Pompons, diese putzigen Puschel, und lächeln und rutschen in den Spagat und lächeln und schwingen mit den Hüften. Und posieren mal lasziv, mal zackig.
"Nach so einem Füchse-Spiel sind wir durch", sagt Maxi Biedenweg.
Nur zeigen dürfen sie es nicht. Die siegreichen Männer dürfen nach der Schlusssirene erschöpft auf den Boden sinken und sich dafür feiern lassen, dass sie sich völlig verausgabt haben. Die Frauen müssen mühelos beschwingt aussehen. Bis sie in den Katakomben und aus dem Blickfeld des Publikums verschwunden sind.
Caro, 18 Jahre, Gymnasiastin: "Oft höre ich, du bist ja gar nicht so eingebildet, wie ich gedacht habe. Oder: Du bist ja doch total nett. Also ich denke, dass Cheerleading, dass Leute nicht den Eindruck haben, dass es Leistungssport sein könnte, sondern dass sie einfach nur das Amerikanische von den Footballspielen sich vorstellen."
Ohne den US-amerikanischen Sport und seine Unterhaltungskultur gäbe es kein Cheerleading, aber ohne diese Wurzeln hätte das Cheerleading hierzulande weniger Probleme mit seinem Ansehen.
Maria Hänel: "Man kennt ja das Image, dass wir nur an der Seite stehen und 'Gib mir ein A und gib mir ein B' rufen."
Das Anleiten das Jubels, was Cheerleading wörtlich übersetzt bedeutet, nahm seinen Anfang in organisierter und ritualisierter Form gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Es ist als Begleitprogramm von Männermannschaftssport in den USA groß geworden und erst in den letzten drei, vier Jahrzehnten mehr und mehr auch auf diese Seite des Atlantiks geschwappt. Da es aber so ur-amerikanisch ist, hat Cheerleading eine überzuckerte Showkomponente, die für europäische Geschmäcker nicht unbedingt bekömmlich ist. Alles zu künstlich, zu aufdringlich, zu plakativ.
Maxi Biedenweg: "Bei unserem Sport wie auch im Turnern oder in der Rhythmischen Sportgymnastik geht es um die Ausführung, und da hat es natürlich alles schon sehr viel mit Optik zu tun. Und bei Meisterschaften da sind wir natürlich, sagen wir mal, nicht so sexy angezogen, aber wir sind ganz stark geschminkt.
Das sieht einfach auch wirklich schöner aus und synchroner aus, wenn auch alle gleich geschminkt sind, wenn alle die Haare gleich haben, das unterstreicht noch mal die Synchronität. Und das sieht man auch wirklich, wenn man Durchgänge im Training tanzt und alle sehen irgendwie aus, wie sie halt aussehen, dann ist das natürlich auch wunderschön. Aber beim Wettkampf, wenn wir dann zurechtgemacht sind, alle geschminkt sind, alle die Haare gleich haben, dann sieht das noch mal mehr wie eine Einheit aus."

Eher Wettkampf als Tanz

Auch auf Ballettbühnen oder im Varieté präsentieren sich Tänzerinnen uniform gekleidet und bewegen sich synchron, auch dort sind die Mienen Maskerade. Aber dort macht sich das Publikum kaum je über diese Präsentation lustig. Weil es Kunst ist und kein Sport? Offenbar nimmt man einer Balletttänzerin sofort ab, dass sie voller Hingabe agiert, sich dabei aber dessen bewusst ist, gerade nur eine Rolle zu spielen. Wohingegen man einer Cheerdancerin eher unterstellt, dass sie es ernst meint, diese dauerlächelnde Begeisterung dafür, in knappen Kleidchen das Publikum zu animieren und Sport treibende Männer zu bejubeln.
Eine Möglichkeit, sich von diesem devoten Image zu befreien, hätten Cheerleaderinnen, wenn sie sich zu Artisten erklären würden. Tun sie aber nicht.
Isa Wortelkamp, die Tanzwissenschaftlerin: "Ich würde diesen Schritt zum Wettkampf als ein Bekenntnis zum Sport definieren und auch als eine Abgrenzung von Tanz als Kunst – was ja auch eine Option wäre. Also zu sagen: Wir machen Tanz und wir wollen auf die Bühne. Vielleicht auch eine emanzipatorische Geste oder eine Möglichkeit, sich anders in der Weiblichkeit zu definieren, andere Rollen von Weiblichkeit zu finden, die nicht dem Uniformen folgen würden oder auch nicht diese Stereotypen bestätigen würden, einen anderen Gestaltungsraum aufsuchen."
In den Anfängen und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren es gar keine Frauen, es waren Männer, die den Jubel anleiteten.
Erst Mitte des 20. Jahrhunderts begann das Cheerleading Frauensache zu werden. Nicht zuletzt als Frauen für Männer einsprangen, die als Soldaten in den Zweiten Weltkrieg zogen. Später hatten die Männer kein großes Bedürfnis, die Hoheit über die Jubelanführerschaft zurück zu erobern. Sie überließen den Job Mädchen und Frauen. Und die griffen zu.
"Ich glaube, wenn man genug Selbstbewusstsein hat, ich meine, man sucht sich den Sport auch aus, und man macht es irgendwie schon gerne und man fühlt sich eigentlich auch relativ wohl, mit dem Team vor allem, weil man weiß, dass es am Ende gut aussieht."
Sagt Charly, eine der jungen Dance-Deluxe-Tänzerinnen.

"Schön, weil man es zusammen macht"

Der Teamgedanke ist wichtig beim Cheerleading. In jeder Hinsicht. Einmal für die Außenwirkung – ein allein für sich tanzendes Mädchen wäre auf einem großen Spielfeld eine ziemlich verlorene Erscheinung. Es ist aber auch für das Selbstverständnis wichtig. Das Tanzen ist schön, weil man es zusammen macht, im Einklang mit anderen. Es ist eine ästhetische Gesamtveranstaltung.
"Von manchen wird es wahrscheinlich so gesehen, dass es zu sexy wäre, aber wir sehen natürlich vorrangig einfach den Sport."
Enna, 28 Jahre, Projektmanagerin und seit neun Jahren bei Dance Deluxe.
Cheerdancerinnen formierten sich, einerseits soldatisch: uniform gekleidet, mit synchronen Bewegungen, die das A und O dieses Sports sind. Jede einzelne verschwindet in einer Masse, in der eine wie die andere aussieht. Das jedenfalls ist das Ideal. Und zugleich flirtet jede für sich mit dem Publikum.
Maria Hänel, die Trainerin: "Ich glaube, Cheerdance ist schon sexy und man muss sich auch bewusst sein, dass man eventuell auch von außen darauf reduziert wird. Ich glaube aber, dass gerade wir großen Wert darauf legen, dass wir eben nicht nur die kleinen Mäuschen auf der Tanzfläche sind, sondern dass wir intelligente, schöne Frauen sind, die Spaß an dem Sport haben und zeigen wollen, was sie können und eben gerne vor einem großen Publikum stehen und gerne Applaus kriegen und sich darüber freuen, wenn es ankommt, was wir da machen."
Es ist ein Spagat, zugleich sehenden Auges dem Klischee zu entsprechen und es zu bedienen und sich doch gerade durch diesen Animationstanz emanzipieren zu wollen. Aber mit Spagat kennen sich Cheerdancerinnen ja aus.
"Wenn Mädels kommen, die sind am Anfang noch ganz schüchtern, das fällt denen immer super schwer, so aus sich rauszukommen und sexy zu tanzen (...) sexy ist, finde ich, so ein verpöntes Wort und es ist eigentlich so doof, weil, man kann es auch als schön betiteln oder als (...) ja, es ist letztendlich halt einfach ein Ausdruck, der natürlich sexy rüberkommt, aber ja nicht bedeuten soll: Ich bin frei."
Sagt Maxi Biedenweg.
Verführung ist nicht Verfügbarkeit. Und wenn Mädchen und Frauen mit ihren Reizen spielen, kann das auch das Gegenteil von Unterwerfung sein – eine souveräne Entscheidung, aus der sich durch die Praxis des Trainings, der Auftritte und der Wettbewerbe ein neues Selbstbewusstsein formt.
"Halt einfach, dass sie wissen, okay, ich brauche mich nicht schämen, mir muss das nicht unangenehm sein: Ich finde mich toll, ich finde meinen Körper toll, und das ist halt schön mit anzusehen."

Auch mal lange weite, silberne Hosen

Es sei denn, man stößt sich daran, dass dabei Stereotypen und Rollenmuster doch nur wieder bedient statt aufgebrochen werden. Alles unter dem Deckmantel des Sports.
Isa Wortelkamp, die Tanzwissenschaftlerin: "Also ist der Sport quasi so eine Art Maske, eine Maskerade, um Bilder von Weiblichkeit zu produzieren oder zu reproduzieren, die wir aus heutiger Sicht erst mal kritisieren würden. Die uns irritieren, weil wir eben die MeToo-Debatten kennen, weil es Sternchen in unserer Sprache gibt und so weiter, eine starke Kritik natürlich am sexistischen oder sexualisierten Blick des Mannes."
Dance Deluxe tritt in vielen verschiedenen Kostümen auf, auch schon mal mit langen, weiten, silbernen Hosen. Dieses Beinkleid gibt den Frauen und dem gesamten Auftritt gleich eine andere Ausstrahlung. Es ist immer noch ein Spiel mit der Verführung, aber es wirkt erwachsener, souveräner und auch das: sportlicher. Die übliche Uniform bleiben trotzdem die knappen Kleidchen.
"Also, ich finde es nicht schlimm, weil wir wissen ja, dass es für den Sport ist, und wir machen es ja nicht, weil wir uns in der Freizeit so anziehen würden, sondern es ist für den Sport, von daher kann man es einfach gut trennen."
Sagt Caro, die Cheerdance macht, seit sie zwölf Jahre alt ist. Und Maxi Biedenweg:
"Am liebsten würden die Mädels immer gerne ihre Trainingssachen anbehalten und sich einen Zopf machen, und ganz normal tanzen. Aber, na ja, wir wollen ja auch die Zuschauer ansprechen, da ist es natürlich auch wichtig, dass wir uns hübsch machen."

Missstände im professionellen Cheerleading

Und so fügen sie sich doch wieder in die tradierten Rollenbilder. Und tragen, was man eben trägt. Weil es schon immer so war. Maria Hänel:
"Wir tanzen eben nicht im Rollkragenpullover. Das gehört auch ein Stück weit einfach dazu. Das kommt eben aus dem Amerikanischen, da haben die Cheerleader teilweise sehr viel knappere Sachen an als wir hier in Deutschland."
In seinem Mutterland USA spiegelt das Cheerleading der Gegenwart die bizarre Bigotterie amerikanischen Seins und Scheins. Mädchen und Frauen werden gecastet und gedrillt, um am Spielfeldrand Choreografien zu präsentieren, die nicht selten die Grenze des Obszönen erreichen. Aber private Fotos mit Sexappeal sind verboten.
Die Frauen müssen für wenig Gage alles geben und sehr viel zeigen – solange sie der Sache der hochbezahlten Männer dienen. Darüber hinaus sollen sie stumm und unsichtbar sein. Das klappt allerdings nicht mehr so richtig.
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Das sind Meldungen der New York Times über Missstände und Aufbegehren im professionellen Cheerleading aus jüngster Zeit. Beschwerden gab es schon in früheren Jahren, aber die MeToo-Debatte hat wohl auch bei den US-amerikanischen Cheerleaderinnen den Mut gestärkt, Diskriminierungen anzuprangern. Wenngleich - noch - oft nur die Frauen die Konfrontation suchen, deren Karrieren an der Seitenlinie ohnehin vorbei sind.
Eine Möglichkeit für Cheerleaderinnen, Rollenklischees und Sexismus entgegenzutreten, ist es, sich vom Männersport zu emanzipieren. Die Cheerdancerinnen von Dance Deluxe machen noch den Spagat zwischen traditioneller Anfeuerungsshow und ihren eigenen Wettkämpfen. Andere haben sich von der Rolle am Rande bereits komplett verabschiedet.
"Und ich werde auch jedes Mal gefragt, für welches Team ich Cheerleading mache, und dann ist das immer ganz schwierig zu erklären, dass ich das für kein Team mache, sondern wir das Team sind, dass wir das für uns machen, das es ein Wettkampfsport ist und dass es nicht darum geht, jemand anders anzufeuern, außer uns selbst natürlich."
Patti, 22 Jahre, Jurastudentin und Cheerleaderin bei den Scorpions aus Berlin-Neukölln. Statt andere, sich selbst zu bejubeln, ist definitiv ein Akt der Befreiung. Da aber auch dieses Cheerleading weiter Cheerleading heißt, bleiben die Schmähungen von außen:
"Cheerleading hat eigentlich das Image von hübschen jungen Damen, die halt kurze Röcke tragen und viel tanzen und teilweise auch ein bisschen dumm sind."

Mitglied des Deutschen Olympischen Sportbunds

Steffanie Döring, 34, Trainerin und Vorsitzende der Scorpions.
Die Scorpions sind ein reiner Cheerleading-Verein mit ausschließlich weiblichen Akteuren. Sie kombinieren das Tanzen mit Turnen und Akrobatik. Ihr Cheerleading ist stärker auf Teamarbeit ausgerichtet als Cheerdance. An Tanzbewegungen kann jede Sportlerin auch alleine arbeiten, eine Pyramide kann niemand alleine bauen. Für solche Gebilde werden größere und kleinere, kräftigere und gelenkigere Mädchen und Frauen gebraucht. Eine Cheerleading-Gruppe ist eine ziemlich bunte Truppe. Aber auch die Scorpions legen die traditionelle Kostümierung nicht ab.
Steffanie Döring: "Ich denke, dass jeder Trainer dafür verantwortlich ist, für sein Team das beste Kostüm rauszusuchen. Wenn ich halt keine Mädchen habe, die halt alle 90-60-90-Maße haben, dann, bin ich der Meinung, kann ich mein Kind oder mein Mädchen auch nicht in ein bauchfreies Kostüm stecken."
Also gibt es bei den Scorpions keine bauchfreien Kostüme. Wozu sich anmerken lässt, dass auch eine Sportlerin mit den vermeintlichen Idealmaßen von Busen, Taille und Hüfte nicht notwendigerweise bauchfrei tragen muss. Nicht mal bei Showauftritten, die auch die Scorpions gelegentlich absolvieren, um für ihren Sport zu werben. Solche Auftritte sind eine spezielle Herausforderung. Zum Beispiel ein Gastauftritt bei Fußballspielen, wo Cheerleading ja nicht üblich ist.
Steffanie Döring: "Weil da das Publikum noch sehr diesen Cheerleader-Fokus hat, dass die halt sexy sein müssen und sich ausziehen - und pfeifen und rufen das auch. Deshalb haben wir als Verein beschlossen, bei solchen Veranstaltungen nicht mehr aufzutreten."

Durch den Tanz zu mehr Präsenz

Die mantraartigen acht Takte dominieren jede Übungseinheit. Bei den Scorpions ebenso wie bei Dance Deluxe. Woche für Woche an drei langen Trainingsabenden. Und bei allen Unterschieden, die es zwischen Cheerleaderinnen und Cheerdancerinnen gibt, durch ihren Sport wachsen, können sie alle.
Maxi Biedenweg: "Tanzen macht so viel zur eigenen Identitätsbildung. Das ist so schön, weil man sich einerseits körperlich ganz viel entwickeln kann, aber man auch seinen Körper viel besser kennen lernt, weiß, wie man ihn einzusetzen hat. Man sieht auch, dass Tänzer ganz oft eine ganz andere Präsenz haben, was einem im Leben viel helfen kann."
Und dem Cheerleading, dem verspotteten Puscheltanz, dem belächelten Seitenrandgehopse, was würde dem helfen, aus seiner Imagefalle zu entkommen? Ein anderer Name womöglich. Oder andere Kleidung. Sicher aber eine stärkere Präsenz als das, was es wirklich ist: Leistungssport.
Der Cheerdance und Cheerleading Verband Deutschland mit seinen knapp 18.000 Mitgliedern ist seit Dezember 2017 Mitglied des Deutschen Olympischen Sportbunds. Der Weltverband International Cheer Union wurde ein Jahr zuvor vom Internationalen Olympischen Komitee vorläufig anerkannt. Das ist nicht viel mehr als der Anfang eines sehr langen Weges, aber das Ziel ist klar: Eines Tages soll Cheerleading olympisch werden.
Als sportliche Disziplin, deren Athletinnen sich selbst genug sind.
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