Aus der Halbwelt in die Weltliteratur

Die frivole Kurtisane Marguerite wird zur reinen Liebenden und stirbt an Tuberkulose – Alexandre Dumas‘ Roman und Verdis Oper „La Traviata“ haben sie unsterblich gemacht. Dank der exzellenten deutschen Übersetzung von Andrea Spingler hat die Kameliendame nun einen neuen Auftritt.
Als Sohn eines gefeierten Schriftstellers selbst zur Feder zu greifen, ist ein heikles Unterfangen, und dies umso mehr, wenn der Herr Papa mit Romanen wie „Der Graf von Monte Christo“ (1843/44) oder den sprichwörtlich gewordenen „Drei Musketieren“ (1845/46) gerade auf dem Gipfel seines Ruhmes angelangt ist. Die Rede ist von Alexandre Dumas Vater (1802-1870) und Sohn (1824-1895), deren Verhältnis ein zumindest ambivalentes war: Dumas der Ältere, Enkel einer Sklavin, der mit vier Jahren den Vater verlor und zehn Jahre später als Schreiber bei einem Notar sein schriftstellerisches Talent entdeckte, schwängerte kaum volljährig seine Nachbarin, die Näherin Catherine Laure Labay, erkannte das Kind aber zunächst nicht an.

Somit litt sein Sohn unter dem doppelten Stigma, Bastard und farbig zu sein. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass er sich nicht den Helden und Herrschern vergangener Epochen, sondern dem anrührenden Schicksal einer Außenseiterin seiner Zeit, der Kurtisane Marie Duplessis, zuwendete, mit der er selbst ein Verhältnis unterhalten hatte.
Genau im Revolutionsjahr 1848 publizierte der noch sehr junge Autor seine „Dame aux Camélias“, in der Armand Duval dem Ich-Erzähler von seiner Liebe zu Marguerite Gautier, so Maries Name im Roman, ihrer Wandlung von einer frivolen Demi-Mondaine zu einer reinen Liebenden berichtet, die ihr Glück für dasjenige von Armands Schwester opfert und an Tuberkulose stirbt.

Um den Erfolg des Buches auszuschlachten, schreibt Dumas es zu einem Theaterstück um, dessen Premiere allerdings wegen moralischer Bedenken der Zeitgenossen wiederholt verschoben wurde. Als sie 1852 schließlich stattfand, wurde das Stück mehr als 100 Mal hintereinander aufgeführt und schließlich ab 1880 zu einer Paraderolle von Sarah Bernhardt. Doch wenn die Kameliendame trotz oder gerade wegen ihres traurigen Todes unsterblich wurde, so ist dies vor allem Verdis „Traviata“ zu verdanken, deren Libretto aus der Feder von Francesco Maria Piave auf der Dumasschen Vorlage basiert.

Diese über alle Maßen populäre Oper hat den Roman ein wenig in den Hintergrund verdrängt, doch nun findet er in der exzellenten Neuübersetzung Andrea Spinglers hoffentlich wieder etwas mehr Aufmerksamkeit beim deutschsprachigen Publikum. Natürlich sind Geschichte und Sprache von vorvorgestern, aber beide haben ihren Reiz bis heute nicht verloren, zumal Andrea Spingler der Balanceakt gelingt, die historische Distanz zu vermitteln, ohne antiquiert zu klingen. Dies gilt auch für die zahlreichen moralischen Kommentare des Erzählers, die von einer Toleranz und Menschlichkeit zeugen, die zu allen Zeiten ebenso selten wie wünschenswert waren. Und gerade die detaillierte Charakterisierung der diversen Figuren mit ihren Stärken und Schwächen, ihren Nöten und Fehlern, machen die besondere Stärke dieses bis heute lesenswerten Romans aus.

Besprochen von Carolin Fischer

Alexandre Dumas d. J.: Die Kameliendame
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Insel Verlag, Berlin 2012
247 Seiten, 21,95 Euro
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