Aus den Feuilletons

Zwischen allen Stühlen

04:09 Minuten
Der Rapper Drake bei einem Auftritt in der Londoner O2-Arena im Februar 2017the London O2 Arena, as part of his Boy Meets World world tour, 2017.
Möchte gerne mehr als Afroamerikaner wahrgenommen werden: Rapper Drake © imago images / ZUMA Press / Myles Wright
Von Gregor Sander · 09.06.2020
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Das Thema Rassismus beschäftigt die Feuilletons weiterhin. Ob afroamerikanischer Rapper oder "taz"-Kolumnistin mit chinesischen Wurzeln: Immer scheint Alltagsrassismus sie zu "den anderen" zu machen, die nicht so ganz dazu gehören.
"Haftbefehl brachte den deutschen Straßenrap ins Feuilleton", resümiert Antonia Baum in der Wochenzeitung DIE ZEIT, und damit das so bleibt, bespricht sie das neue Album des Frankfurter Rappers, nicht ohne vorher ihren Lesern ein wenig Nachhilfe bezüglich Haftbefehl zu geben:
"Er kombinierte Deutsch mit türkischen, kurdischen, arabischen, französischen, englischen Ausdrücken, er ließ Präpositionen und Artikel weg, er verwendete englische Satzkonstruktionen und übertrug sie ins Deutsche."
Soweit gecheckt ZEIT-Leser? Wenn nicht, dann zieh dir das hier über den Babo rein:
"Er gebrauchte Vokabeln, die sonst nur Leute kennen, die im Drogenmilieu arbeiten (‚Bianco Bolon‘ = weiße Steine, also Crack)", so Antonia Baum. Aber nach diesem Volkshochschulkurs im Straßenrap zeigt sich die Rezensentin vom neuen Album ganz angetan.

Brutaler Sound

Es sei "der brutale Sound dieses Albums, der ständig klingt, als ginge irgendwas kaputt, es sind die Lyrics, die den gleichen Eindruck erzeugen (inhaltlich wie auf der Vortragsebene: Kiefer werden zerstört; Haftbefehl rappt teilweise nicht auf den Takt; er brüllt und schreit), eine so anarchische Antithese zu dem, was deutschen Rap gegenwärtig sonst bestimmt, dass man als Hörerin gewissermaßen aufatmet."
Wir atmen mit und blättern rüber in die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, wo sich Adrian Schräder den kanadischen Rapper Drake vorknöpft:
"Beim genaueren Hinhören entpuppt sich seine Musik als ein steter Versuch, seine Komplexe zu bewältigen. Dazu zählen etwa die Anfänge als Teenie-TV-Idol und seine eher unspektakuläre Provenienz."

Kaum als Afroamerikaner wahrgenommen

Aber am meisten, so der Rezensent, leide der weltweit erfolgreiche Rapper darunter: "Dass er als Sohn einer jüdischen Kanadierin kaum als Afroamerikaner wahrgenommen wird." Was Adrian Schräder zu folgendem Schluss kommen lässt:
"Die bittere Ironie seines Schicksals: Einerseits sorgt seine helle Hautfarbe dafür, dass er sich als Rapper von der schwarzen Gemeinschaft nicht zu hundert Prozent akzeptiert fühlt. Andererseits ist sie Teil seines Erfolgs, weltweit identifizieren sich die weißen Fans mit ihm."
Aber warum sollten die weißen Fans den Musiker wegen seiner vergleichsweisen hellen Haut mögen, wollen wir an dieser Stelle zu bedenken geben. Es ist alles nicht so einfach mit den Hautfarben und vielleicht sollten wir gerade deshalb darauf achten, was wir schreiben oder sagen. Darauf weist auch Lin Hierse in ihrer Kolumne "Chinatown" in der TAZ hin:
"Ich habe erst später verstanden, dass ich immer so weiß bin, wie man mich gerade braucht. Das Spektrum reicht von ‚Wir sind doch alle gleich‘ über ‚Deine Haut ist ja gar nicht so gelb‘ bis hin zu ‚Gut, dass du gemischt bist‘".

Auch Asiaten werden in Deutschland angefeindet

Für Deutsche mit asiatischen Wurzeln zieht sie folgendes Fazit: "Eine Vorzeigeminderheit musste viel aushalten, betäubt von Opium seit 1839, beworfen mit Molotowcocktails 1992, überschüttet mit Desinfektionsmitteln 2020."
Den letzten Punkt erklärt Melanie Mühl in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG noch einmal genauer:
"Auch wenn der antiasiatische Rassismus meistens erst dann Schlagzeilen produziert, sobald es zu Handgreiflichkeiten kommt wie in München. Dort besprühte ein Mann seine asiatischstämmige Nachbarin mit Desinfektionsspray und drohte, ihr den Kopf abzuschneiden. Oder in Berlin, wo eine Koreanerin und ihr Freund auf einem Bahnsteig beleidigt und geschlagen wurden. Sie erstatteten Anzeige, ein für Koreaner mutiger Schritt. Seinen Landsleuten seien solche Vorfälle eher peinlich, sagte der koreanische Botschafter in Berlin."

Geburtstagsgruß für Theo Sommer

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG gratuliert dem ehemaligen ZEIT-Chefredakteur und Herausgeber Theo Sommer zum 90. Geburtstag. Und der Jubilar erklärt Willi Winkler: "Der Satz, dass die Zeit vergeht, ist Unsinn. Die Zeit bleibt, wir vergehen."
Und während man über diesen Satz noch nachdenkt, benennt Sommer die drei Dinge, die ihm das Leben lebenswert machen: "Erinnerung, Vernunft und Fantasie."
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